Russischer "Gegenschlag" und die Folgen für Europatient 0

Die russischen Sanktionen gegen EU-Staaten bereiten den griechischen Politikern ernste Sorgen. Die Griechen liefern ihre verderbliche Ware, vor allem Früchte, ausgerechnet in den laufenden Wochen nach Russland. Der Schaden fürs die Bauern ist gewaltig

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Gleichzeitig leidet die "Hauptindustrie", der Tourismus, am Crash von sechs großen russischen Tourismusanbietern. Zehntausende Russen sitzen in Hellas fest. Die Rückreise und der Aufenthalt bis zum Abflug geht auf Kosten der Griechen. Als Kollateralschaden droht der Regierung Samaras außer den zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen eine Regierungskrise.

In blanken Zahlen sieht die Abhängigkeit Griechenlands zunächst nicht so dramatisch aus. Aus der ElStat -Statistik erschließt sich das Exportvolumen. Die Exporte Griechenlands nach Russland sehen demnach wie folgt aus:

Pelzwaren 87,45 Millionen Euro
Kiwis 25,70 Millionen Euro
Pfirsiche 24,50 Millionen Euro
Erdbeeren 23,50 Millionen Euro
Elektrische Aufzüge 16,60 Millionen Euro
Farben und Lacke 12,01 Millionen Euro
Aprikosen und Kirschen. 12,01 Millionen Euro
Nektarinen 10,0 Millionen Euro
Olivenöl 8,05 Millionen Euro
Fruchtgelee und Marmeladen 6,39 Millionen Euro
Fisch 5,26 Millionen Euro
Alkohole 5,04 Millionen Euro
Gurken 5,04 Millionen Euro
Metallprodukte 4,87 Millionen Euro
Oliven 4,87 Millionen Euro

Insgesamt machte 2013 das in dieser Statistik erfasste direkte Exportvolumen mit Russland also 251,29 Millionen Euro aus. Das entspricht knapp 2,3 Prozent des von der ElStat gemeldeten Gesamtvolumens und klingt nicht sehr bedrohlich. In dieser Statistik sind jedoch die über Drittstaaten nach Russland geschickten Exporte nicht erfasst. Ebenfalls nicht erfasst sind zum Beispiel die Ikonenmaler, die außer dem unter Finanznot leidenden Inland nur die Russen und Serben als Hauptabnehmer haben. Laut aktuellen Presseberichten beträgt das Exportvolumen nach Russland 401 Millionen Euro, 41 Prozent der Waren sind Agrarprodukte.

Die Statistik von 2013 sagt ebenfalls nichts darüber aus, dass die Griechen in der Krise vermehrt auf Agrarproduktion gesetzt haben und dass diese Branche mittlerweile den Hauptteil der Exporte liefert. Mit dem Ruf, die Griechen zurück auf die Felder zu schicken, wollte die Politik das Land retten.

Während der seit mehr als sechs Jahren anhaltenden Rezession waren Ackerbau und Viehzucht die einzigen Wachstumsbranchen der nahezu komplett brach liegenden griechischen Wirtschaft. Der Anteil am BIP stieg nach dem zwischenzeitlichen Tiefsstand von 1,7 Prozent zu Beginn der Krise wieder auf 4,5 Prozent.

Der russische Markt ist - bzw. war - zudem der Boom-Markt für die griechischen Exporte. 2012 sandte die nördliche Provinz Pieria knapp 53 Prozent ihrer Pfirsiche und Pfirsichprodukte nach Russland. 2014 waren durch Bestellungen mehr als 60 Prozent für Russland reserviert. Ausgerechnet jetzt, ironischerweise pünktlich zum Beginn des Embargos, ist die verderbliche Ware fertig für den Versand zum Kunden.

Insgesamt sind die vor allem im Norden, in der Region Zentralmakedonien, beheimateten Pfirsichbauern zu knapp 41 Prozent von Russland abhängig. Die Region hat beständig, aktuell mit 28,1 Prozent, die höchste Arbeitslosenquote im Land. Die regionale Abhängigkeit vom Agrarsektor beträgt mehr als zwanzig Prozent.

Dass Putins Embargo mit einer Ausnahmegenehmigung die Importe griechischen Olivenöls zulässt, hilft dem Norden des Landes nicht unbedingt. Olivenöl wird vor allem auf Kreta und auf dem Peloponnes, in der Heimatregion von Ministerpräsident Samaras gewonnen.

Bedrohung für eine komplette Industrie

Für den Norden kommt erschwerend hinzu, dass dort die griechische Aufzugindustrie beheimatet ist. Das Exportvolumen von 16,6 Millionen Euro entspricht 17,5 Prozent des Gesamtumsatzes von Griechenlands Aufzugexporteur Kleemann Hellas. Die Firma, Hauptarbeitgeber der Provinz Kilkis, hatte in der Krise wegen des komplett eingebrochenen inländischen Marktes vor allem auf Exporte gesetzt.

Ähnlich sieht es bei den Pelzen aus, hier stammt die Produktion fast ausschließlich aus der Provinz Kastoria, die im wahrsten Sinn des Wortes vor allem von Pelzprodukten lebt. Die Liste ließe sich beliebig für alle Produkte fortsetzen. Dem Land wird zum Verhängnis, dass die Provinzen im Gegensatz zu den Großstadtregionen Athen, Thessaloniki und Patras sehr dünn besiedelt sind und meist als komplette Regionen von einer Branche abhängig sind. Es ist kaum zu erwarten, dass der griechische Staat in der Lage ist, die vom Embargo betroffenen Unternehmer und Bauern zu entschädigen.

Zudem wurmt die Exporteure vor allem, dass Putins Truppe auf der Suche nach neuen Lieferanten sofort in der Türkei fündig wurde. Sie fürchten, dass sie ihre Kunden auch nach dem Ende des Embargos los sind.

Vollständiger Wegfall der Tourismuseinnahmen

Innerhalb der vergangenen acht Tage gingen insgesamt sechs Tourismusanbieter aus Rußland pleite. Die zahlungsunfähigen Unternehmen haben zehntausende russische Touristen in Griechenland stranden lassen. Die Ausfallversicherungen aus Russland sind nicht so organisiert und so solvent wie es bei westeuropäischen Anbietern Standard ist.

Für die Hoteliers kommt erschwerend hinzu, dass sie den Zahlungsausfall mitten in der Hauptsaison verkraften müssen. Die Russen galten bislang als gute Kunden und lieferten in der Regel mehr Einnahmen als westeuropäische Pauschaltouristen.

Allein für die Rückreisen der 8.000 Touristen der Firma Labirint, die in Griechenland festsitzen, ist ein Schaden von acht bis zehn Millionen Euro registriert worden. Die Gestrandeten aller sechs Anbieter werden von der privaten, griechischen Fluglinie Aegean Air wieder ausgeflogen. Die Hoteliers haben sich derweil darauf geeinigt, den Touristen, die sich im Land befinden, den Resturlaub zu genehmigen. Sie werden die Zimmer nun eh nicht mehr los.

Es werden weitere Pleiten erwartet und im Land beginnen die Verschwörungstheoretiker darüber zu philosophieren, dass die Zahlungsunfähigkeiten vielleicht nur eine weitere Retourkutsche aus dem Kreml sein könnten. Fakt ist jedenfalls, dass dem vor wenigen Tagen mit breitem Grinsen vorgetragenem Jubel über den als Success Story präsentierten Boom im Tourismus nun Heulen und Wehklagen über verlorene Einnahmen folgt.

Politische Konsequenzen

Außer der profanen Schlussfolgerung, dass Premier Antonis Samaras nun mitten in der Krise ein weiteres wirtschaftliches Problem hat, gibt es weitere Aspekte. Die Regierung hatte den Aufschwung über den Tourismus und die Agrarproduktion propagiert. Sie hat sich mit amateurhaft berechneten Immobiliensteuern in die Nesseln gesetzt. Begünstigungen für inländische Großunternehmer brachten ebenfalls schlechte PR.

Der Streit mit den russischen, orthodoxen Glaubensbrüdern ist unter den Griechen nicht sehr populär. Zudem herrscht die Meinung vor, dass die Krise in der Ukraine durch die EU zumindest mit ausgelöst wurde. All das liefert den Verschwörungstheorien liebenden Griechen genug Stoff, wirre Geschichten zu spinnen.

"War es nicht Außenminister und Vizepremier Venizelos, der als erster nach Kiew reiste, um die neue Regierung anzuerkennen", wird in nahezu jeder Kaffeehausrunde zum Thema philosophiert. Dass Venizelos seine Reise als Außenminister des Landes machte, welches den EU-Ratsvorsitz innehatte, wird dabei gern vergessen.

Die gesamte Opposition verlangt nun unisono ein Ausscheren der griechischen Regierung aus der gemeinsamen europäischen Front. Für die ohnehin bereits wackelige Regierung Samaras könnte dies alles im Fall einer durch Putins Embargo verursachten Wirtschaftskrise den Todesstoß bedeuten. Es sei denn, dass Berlin ihm die Teilnahme an den Sanktionen gegen Russland mit frischen Euros versüßt.