Lohndumping führt in die Deflation

Die OECD hat lange sinkende Löhne gefordert, nun warnt die Organisation, dass sie "kontraproduktiv" wirken

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Man hört erstaunliche Töne im Beschäftigungsausblick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Und erstaunlich ist auch, dass entscheidende Wendungen in der OECD-Argumentation den deutschen Medien offenbar nicht aufgefallen sind. So wurde zum Beispiel herausgestellt, dass die "Industriestaaten-Organisation" vor allem kritisiere, dass "Deutsche unter stressigen Arbeitsbedingungen leiden". Insgesamt wird dazu noch auf die Frage abgestellt, dass die 34 Mitgliedsstaaten die Langzeitarbeitslosigkeit nicht in den Griff bekämen.

Dabei ist das eigentlich Entscheidende an dem Bericht etwas ganz anderes. Deutlich wird das am Vergleich zu den Schlagzeilen aus dem Frühjahr. Damals wurde getitelt: "OECD dringt auf sinkende Löhne und Gehälter". Doch die bezeichnet die OECD nun sogar kontraproduktiv. Deshalb hört man ganz neue Töne und wird sogar der Mindestlohn in Deutschland nun von der Organisation gefeiert, die bisher Lohndumping forderte: "Die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland wird dazu beitragen, die Einkommen der Geringverdiener zu erhöhen und die Zahl der Arbeitnehmer in Armut zu senken."

Und die veränderte Argumentation kann noch deutlicher an der Argumentation zu Krisenländern wie Spanien nachverfolgt werden, wo lange Zeit Lohndumping über die Politik der Troika im Rahmen der Bankenrettung durchgedrückt wurde. Nun weist die OECD darauf hin, dass die Löhne in Spanien seit 2009 im Durchschnitt pro Jahr um 1,8% gesunken sind. Spanien wird darin nur von Griechenland übertroffen. "Das ist eine deutlich stärkere Anpassung als in der gesamten Eurozone." Da man nicht einräumen will, dass auch das schon ein Fehler war, wird nun weiter behauptet, dass Spanien so Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen habe.

Doch diametral entgegengesetzt zu den Forderungen aus dem Frühjahr meint die OECD nun, dass Schluss sein müsse mit sinkenden Löhnen. Durch sie seien angeblich viele Kündigungen verhindert worden. Künftig sei es sogar "kontraproduktiv", Löhne einzufrieren oder zu senken, erklärte Stefano Scarpetta, der für die Studie der zuständige OECD-Direktor. Denn auch ihm ist nun offenbar klar, dass damit der Konsum weiter abgewürgt wird, was seit Jahren kritisiert wird. Auch die OECD macht nun wegen Lohnkürzungen auf breiter Ebene in der Eurozone einen Nachfragemangel aus.

Plötzlich weist sie auch darauf hin, dass die Politik, die auf Lohnsenkungen zielt, nur dazu führt, dass Arbeiter weiter verarmen. Die Lohnsenkungen führten zu "klarer Not der Arbeiter und ihrer Familien". Der ausfallende Konsum könne die Probleme der Wirtschaften zuspitzen. Jede neue Lohnsenkung führe in den Teufelskreis der Deflation warnte er.

So wären anstatt der absurden Leitzinssenkungen und gefährlichen Ankäufe von Staatsanleihen, womit die Europäische Zentralbank (EZB) nun die Notenpresse anlaufen lässt, deutliche Reallohnsteigerungen wirksamer, wenn es darum geht, die Inflation zu erhöhen und die Wirtschaften anzukurbeln. Fakt ist, dass die Wirtschaft im Euroraum schon stagniert und droht, wieder in die Rezession abzugleiten, wie Eurostat eben bestätigt hat. Der deutsche Motor stottert, die Wirtschaft ist im 2. Quartal 0,2% geschrumpft. Dabei bildet sich in diesen Zahlen die gefährliche Sanktionsspirale noch nicht einmal ab, die erst im dritten Quartal durchschlagen wird.

52 Prozent der spanischen Arbeitslosen sind mittlerweile Langzeitarbeitslose

Fast schon absurd ist, dass Medien wie der Deutschlandfunk vor allem im OECD-Bericht "ermutigende Signale aus Spanien und Griechenland" ausmachen. Herausgestellt wird, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien zuletzt besonders stark gefallen sei. Doch ist das ein Wunder, wenn sie im oder vor dem Tourismussommer in den beiden Urlaubsländern fällt, nachdem sie in beiden Ländern auf Rekordwerte deutlich über 25% gestiegen war? Und was bedeutet eine Absenkung, wenn in Spanien noch immer 24,5% der aktiven Bevölkerung und in Griechenland 27,2% keinen Job haben?

Dass massiv Stellen in Spanien geschaffen wurden, ist schlicht an den Haaren herbeigezogen. Es sind vor allem befristete und prekäre Jobs in der Tourismusindustrie entstanden. Und sogar die OECD weist darauf hin, dass inzwischen ein Viertel aller Verträge befristet sind. Und man kann es kaum als Erfolg bezeichnen, dass auch nach OECD-Angaben zu Beginn der Krise 2007 gut 19% der Arbeitslosen Langzeitarbeitslose waren, die Zahl nun aber auf gut 52% explodiert ist.

Ohnehin hat der Abbau der angeblich geschaffenen Stellen schon längst wieder begonnen. Die Arbeitslosigkeit ist auch offiziell ausgerechnet im Tourismus-Sommermonat August nach sechs Monaten erstmals wieder gestiegen, obwohl die Zahl der Touristen neue Rekordwerte erreicht. Offiziell wurden zwar nur gut 8000 neue Arbeitslose registriert, doch die Sozialversicherung hat fast 100.000 Beitragszahler verloren. Diese Zahl ist aussagekräftiger. Da viele Arbeitslose keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld haben, melden sie sich nicht bei den Arbeitsämtern, die ohnehin keine Jobs vermitteln.

Man muss kein Wahrsager sein, um vorherzusagen, dass die Arbeitslosenzahlen im Herbst wieder deutlich steigen werden, wenn die Verträge in der Tourismusindustrie auslaufen. Zudem hat sich das Importverbot Russlands noch nicht ausgewirkt. In der Landwirtschaft hat im August die Beschäftigung sogar noch zugenommen. Da mit Russland einer der großen Abnehmer ausfällt, wird das deutliche Spuren in der spanischen Landwirtschaft hinterlassen.