Temperamentvolle Kritik an Richtern kann zulässige Meinungsäußerung sein

Bundesverfassungsgericht hebt Strafurteil wegen Richterbeleidigung auf

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Ein offenbar reizbarer Zeitgenosse hatte sich über eine Richterin geärgert und in eine Dienstaufsichtsbeschwerde „gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin“ protestiert. Zudem meinte er, die Richterin „müsse effizient bestraft werden, um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“.

Während Dienstaufsichtsbeschwerden als "form-, frist- und fruchtlos" gelten, zog diese jedoche eine Verturteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung nach sich. Insbesondere die Befürchtung, die Richterin werde auf die schiefe Bahn geraten, legten die geradebahnigen Richterinnen und Richter der am LG Duisburg und am OLG Düsseldorf dahingehend aus, dass der Mann der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten unterstelle.

Eine Äußerung ist dann als sogenannte "Schmähkritik" strafbar (und damit auch zivilrechtlich verbietbar), wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Letzteres war jedoch nach Ansicht des Bundesverfassungserichts nicht der Fall, denn auch die temperamentvolle Äußerung war vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

So hätten die Instanzgerichte "in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise angenommen", dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen um Schmähkritik handle. Hierbei seien die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkannt worden.

Eine Schmähkritik "muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Nur dann kann im Sinne einer Regelvermutung ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben".

Zudem war nicht ausreichend gewürdigt worden, dass die Dienstaufsichtsbeschwerde nur an einen beschränkten Personenkreis gerichtet und die darin enthaltene Äußerung im „Kampf ums Recht“ gefallen war.

Bei dieser Gelegenheit äußerten sich die Verfassungsrichter auch eindeutig zur Auslegung mehrdeutiger Äußerungen:

Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben.

Dies dürfte ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Hamburg sein, wo erst letzte Woche wieder eine Richterin die gegenteilige "Stolpe-Rechtsprechung" beschwor.

Bundesverfassungsgericht 1 BvR 482/13, Beschluss vom 28. Juli 2014