Katalonien verzichtet auf offizielle Volksbefragung …

… und steuert auf plebiszitäre vorgezogene Neuwahlen und eine einseitige Unabhängigkeitserklärung zu

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Da das spanische Verfassungsgericht bis zur geplanten Volksbefragung über die Unabhängigkeit nicht bis zum 9. November entscheiden wird, hat die katalanische Regierung die geplante offizielle Abstimmung heute zurückgezogen.

Nachdem das Verfassungsgericht in einer Rekordzeit von nur zwei Tagen die Klage der Zentralregierung angenommen und zudem die Vorbereitungen verboten hatte, ist nun in Madrid bei den höchsten Richtern keine Eile mehr zu spüren. Schließlich wurde das Ziel mit der "vorläufigen" Maßnahme erreicht und eine legale Abstimmung im Sinne der Regierung ausgehebelt. Spanien will mit allen Mitteln sogar eine unverbindliche Volksbefragung verhindern, obwohl gerade die Schotten verbindlich, frei und demokratisch über die Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen konnten.

Deshalb gab der christdemokratische katalanische Regierungschef am frühen Dienstag bekannt, dass die offizielle Abstimmung zurückgezogen wird. Doch Artur Mas verzichtet nicht ganz auf eine Abstimmung, denn inoffiziell wird mit Freiwilligen von der Regierung eine Abstimmung über die Unabhängigkeit in dem Stil auf nationaler Ebene stattfinden, wie sie schon in zahlreichen Dörfern und Städten durchgeführt wurden. Die Kleinstadt Arenys de Munt hatte 2009 den Startschuss gegeben. 96% der Wähler hatten sich für die Unabhängigkeit Kataloniens ausgesprochen. Am 9. November werde es "Stimmzettel, Wahlurnen und eine Abstimmung geben", sagte Mas. Organisiert werde sie von der katalanischen Regierung, kündigte er an.

Wie Telepolis in Erwartung dieser Entwicklung vorhergesagt hatte, läuft nun alles auf plebiszitäre vorgezogene Neuwahlen hinaus. Mas erklärte, dass die "definitive Befragung nur über Wahlen stattfinden kann, die von den Parteien in ein Referendum verwandelt wird". Bestätigt hat er nun die Überlegungen, über die hier auch längst berichtet wurde, dass die Unabhängigkeitsbefürworter dafür auf "einer gemeinsamen Liste mit einem gemeinsamen Programm" antreten sollen.

Offiziell ist die Republikanische Linke (ERC) mit der Absage der Abstimmung unzufrieden. Doch sie fordert genau das, was Mas nun auf den Weg bringt: vorgezogene Neuwahlen, klare Mehrheit für die Unabhängigkeitsbefürworter und in der Folge eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat im Fall des Kosovo entschieden, dass das vom Völkerrechtgedeckt ist. Es war der Alptraum Spaniens, weshalb dieses Land diesen von der EU vorangetriebenen Prozess nicht anerkannt hat.

Der Versuch, den demokratischen Prozess in Katalonien abzutreiben, anders als in Quebec oder Schottland, wird sich als Rohrkrepierer für die Konservativen herausstellen. Mit ihrem Vorgehen nützen sie der Unabhängigkeitsbewegung sogar. Die ist ihren Zielen nun einen deutlichen Schritt näher gekommen. Statt wie in Schottland der Bevölkerung Angebote zu machen oder sie wie im bolivianischen Tiefland mit Verbesserungenund Wohlstand von einer Unabhängigkeit abzubringen, setzt Spanien nur auf Verbot und Repression.

Und das, so warnte auch die New York Times am Montag in einem Leitartikel, wird die Unabhängigkeitsbewegung nur weiter stärken. Schon jetzt spricht sich eine Mehrheit für die Unabhängigkeit aus, auch viele spanische Einwanderer in Katalonien bezeichnen das spanische Vorgehen schon als Maschine, die Unabhängigkeitsbefürworter erzeugt. Sogar die Sozialdemokraten (PSOE) hatte sich hinter die Verfassungsklage der rechten Regierung gestellt, während deren katalanische Sektion für das Gesetz zur Abstimmung über die Unabhängigkeit votierte. So sind in Organisationen wie "Súmate" (Schließ dich an) Einwanderer organisiert, die zunächst gegen die Unabhängigkeit waren, doch nun zu Befürwortern "gemacht wurden", weil ihnen im spanischen Staat keine Entscheidungsmöglichkeit gelassen wird.