Fotoserie über Berliner Straßenpunks

Punks, Ausreißer, Arbeitslose: Göran Gnaudschun traf vier Jahre lang Menschen, die auf dem Berliner Alexanderplatz herumlungern, machte Fotos – und erzählt so von den Außenseitern im Herzen der Hauptstadt.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Kristin Haug

Göran Gnaudschun wurde 1971 in Potsdam geboren. Er arbeitet als freischaffender Fotograf in Potsdam und Berlin. Kristin Haug hat ihn für unsere Kollegen von seen.by interviewt:

Herr Gnaudschun, vier Jahre lang sind Sie immer dienstags zu den Punks auf den Alexanderplatz in Berlin gegangen. Wie viel Bier haben Sie dort getrunken?

Gnaudschun: Mitunter waren das schon sieben bis acht Flaschen – von nachmittags bis in die Nacht. Ich musste mich auf die gleiche Ebene begeben, sonst hätte ich nicht so intensiv arbeiten können.

Auf Ihren Bildern zeigen Sie Punks, die saufen und auf dem Alex und in der U-Bahn auf Pappen herumlungern. War es möglich, dort einfach loszufotografieren?

Gnaudschun: Ich habe angefangen an einem Tag im Frühling, an dem zum ersten Mal im Jahr die Sonne richtig schien. Da waren die Leute irgendwie gut drauf. Ich kam dann mit einer Gruppe ins Gespräch. Denen habe ich erzählt, wo ich herkomme und was ich machen will.

Was denn?

Gnaudschun : Dass ich früher mal Häuser besetzt habe und Gitarrist bei 44 Leningrad war. Wir haben so eine Mischung aus Punk, russischer Folklore und Liedern aus der Stalinzeit gespielt. Die Leute auf dem Alex waren dann ganz aufgeschlossen und sagten, ich könne ja das nächste Mal eine CD mitbringen. Irgendwie durfte ich schnell ein Porträt machen. Da war so eine junge Frau mit bunten Haaren und Verband am Arm.

Und?

Gnaudschun: Sie hat mit so einer majestätischen Würde in die Kamera geguckt. Da habe ich gemerkt, hier ist was Neues, das ist interessant: diese Erhabenheit und zugleich diese Heimatlosigkeit im Herzen. Ich hab ihr dann gesagt, dass ich nächsten Dienstag wiederkomme und sie sich die Fotos bei mir abholen kann. Das hat sich herum gesprochen. Dadurch habe ich mich so sicher gefühlt, dass ich auch mal ohne zu fragen fotografiert habe. Wenn mich dann mal einer komisch angeschaut hat, haben mir die anderen Rückendeckung gegeben.

Wie sah der Rückhalt aus?

Gnaudschun: Sie meinten: "Hey, das ist Göran, der Alex-Fotograf. Lass den mal machen." Ich hatte einen Vertrauensvorschuss.

Warum kommen die Leute auf den Alex?

Gnaudschun: Sie suchen Anschluss. Ja, es ist wirklich so banal. Viele wurden in ihrer Kindheit traumatisiert. Da gab es Schläge, Vergewaltigungen, Ausgrenzungen. Manche hatten aber auch eine gute Kindheit. Irgendwann sind sie dann nicht mehr klar gekommen – die waren zu sensibel für die Welt. Leute, die denken, dass sie nicht gebraucht werden, denen das Hartz IV gestrichen wurde, weil sie ein paar Mal nicht zu Terminen erschienen sind. Es sind Leute, die in Ruhe gelassen werden wollen. Viele kommen jeden Tag auf den Alex, andere fahren schwarz durch Europa und landen irgendwann in Berlin. Und es gibt die, die frisch aus dem Knast kommen.

Wie sind Sie mit den Menschen umgegangen?

Gnaudschun: Als sie von ihrer Kindheit erzählt haben, konnte ich ziemlich weit in die dunkle Seele des Lebens blicken. Ich dachte mir dann oft, es gibt so viel, was man als Schutzbefohlener falsch machen kann. Es hat meinen Horizont erweitert.

Inwiefern?

Gnaudschun: Mich haben die Schicksale sehr berührt. Ich habe vielleicht zu viel Fantasie und kann mir manches, was sie erzählen, zu genau vorstellen. Doch ich habe auch gemerkt, dass es etwas gibt, das man nicht zerstören kann, dass die Leute einen starken Kern haben und zusammenhalten. Das hat mich beeindruckt. Das Straßenleben ist anstrengend, erfordert Flexibilität, Offenheit und Erfindungsreichtum. Am Anfang fühlen sie sich noch ziemlich frei und sind froh, irgendwelchen Zwängen entflohen zu sein und sich bei der Arbeitsagentur nicht mehr rechtfertigen zu müssen. Doch diejenigen, die richtig auf der Straße sind, leben auch in Ungewissheit und Kälte.

Haben Sie bei den Punks übernachtet?

Gnaudschun: Es gab mehrmals das Angebot. "Göran komm doch mal mit, wir machen Platte." Aber das habe ich immer abgelehnt. Ich habe ja Familie, drei Kinder. Der Alex ist wie ein Sog, da muss man aufpassen, dass man sich nicht zu sehr verliert. Ich finde zwar die Vorstellung, einen auf Günter Wallraff zu machen nett, aber das bin ich einfach nicht.

Wurden Sie eigentlich angeschnorrt?

Gnaudschun: Es kam schon vor, dass jemand gefragt hat, ob ich mal 3,50 Euro für einen Döner habe oder ein Bier mitbringen kann. Das Verhältnis war echt herzlich, da ging es nicht drum mich zu schröpfen. Einmal aber hat mich einer angehauen, ob ich ihm fünf Euro geben könnte. Doch ich war selbst auch fast blank. Ich habe dann gefragt, wofür er das Geld denn jetzt brauche und er sagte, er wolle in den Swingerclub gehen. Da war ich sehr verblüfft und gab ihm alles, was ich noch in der Tasche hatte. Das waren so drei oder vier Euro.

Und, war er da?

Gnaudschun : Er meinte, es wäre ganz schön gewesen. (keh)