Stresstest bei AKWs in Deutschland mangelhaft

Eine bislang verschwiegene Notfallprüfung endete im Desaster, berichtet die taz

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Eine Debatte über die Gefahren durch einen Unfall in einen Atomkraftwerk ist in diesen Tagen in Deutschland in einer größeren Öffentlichkeit kaum zu hören. Das ist erstaunlich, wo doch nach dem GAU im japanischen Fukushima im März 2011 die öffentliche Diskussion teilweise so geführt worden war, als hätte sich der Unfall in einem AKW in Deutschland abgespielt. Als dann durch eine ganz große Koalition ein schnelleres Abschalten der Atomkraftwerke in Deutschland beschlossen wurde, verschwand das ganze Thema wieder auf die Webseiten von Umweltinitiativen. "Rette sich, wer kann", beschreibt die ökologische Initiative, was nach einem GAU im AKW Brokdorf passieren würde.

Die Kritiker können sich jetzt bestätigt sehen. Wie die Taz am Wochenende
enthüllte, endete eine Notfallprüfung im Desaster. Bund und Länder wollten proben, was passieren würde, wenn in einem AKW in Deutschland tatsächlich der gefürchtete Super-GAU eintreten sollte. Bisher war nicht einmal bekannt, dass es diese Übungen überhaupt gibt. Die Taz konnte sich bei ihrer Recherche auf ca. 1.000 Seiten mit internen Unterlagen wie E-Mails, Protokolle, Karten und Auswertungsberichte stützten, über deren Herkunft sie selbstverständlich Stillschweigen bewahrt.

Die Informationen über die Gefahren kamen in der Geschwindigkeit der radioaktiven Wolke

Die Taz fasst die Ergebnisse so zusammen:

"Ein halbes Jahr hatten die Behörden Zeit, sich auf die Übung vorzubereiten. Trotzdem geht sie gründlich schief: Bund und Länder streiten sich über Kompetenzen, die Koordinierung der Beteiligten untereinander dauert viel zu lange, und dann gibt es auch noch technische Probleme bei den Telefonkonferenzen. Die Folge: Die Bevölkerung wird erst informiert, als die radioaktive Wolke in dem fiktiven Szenario schon Millionen Menschen erreicht hat."

Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein desaströses Ergebnis. Für die Übung hatten die verantwortlichen Behörden immerhin ein halbes Jahr Zeit. In der Realität kann es sich um Minuten handeln. Dennoch hätte die Gefahrenmeldung trotz aller Kommunikationstechnik die Geschwindigkeit der radioaktiven Wolke gehabt. Damit hat die simulierte Realität noch die Vorstellungen von erklärten AKW-Gegnern wie der Schriftstellerin Gudrun Pausewang übertroffen, die in ihrem Ende der 80er Jahre nach dem GAU in Tschernobyl geschriebenen, viel gelesenen, aber auch heftig kritisierten Bestseller "Die Wolke" noch davon ausgegangen war, dass den Menschen eine geringe Zeit zwischen dem GAU und dem Eintreffen der radioaktiven Wolke bleibt.

Konsequenz des Desasters bei der Notfallübung?

AKW-Gegner wird das Ergebnis der Übung nicht überraschen. Sie haben schon immer betont, dass nur eine schnelle und vollständige Abschaltung aller AKW weltweit die Gewähr dafür bietet, dass nicht ständig weiter gefährliches radioaktives Material produziert wird.

Wie mit dem bisher angefallenen radioaktiven Abfall, für den es keine gesicherte Endlagerung gibt, umgegangen werden soll, ist dann noch immer eine offene Frage. Doch selbst die Forderung nach sofortiger Abschaltung aller AKWs ist noch interpretationsfähig. Fällt darunter auch der Forschungsreaktor BER II am Rande von Berlin? Berliner AKW-Gegner fordern seine sofortige Abschaltung und warnen davor, dass ein Störfall massive Auswirkungen auf die Bevölkerung in Berlin haben könnte. Nun soll er im Jahr 2020 abgeschaltet werden.

Es zeigt sich also, dass es selbst nach der Abschaltung aller AKWs weltweit weiterhin Ernstfallübungen nötig sein werden. Doch selbst kleine Schritte zu dieser weltweiten Abschaltung in einzelnen Ländern werden dadurch konterkariert, wenn beispielsweise die EU zulässt, dass der Bau und Betrieb von zwei britischen Atomreaktoren staatlich gefördert werden kann. Die Reaktionen auf die Pannen bei der Notfallübung sollten sich daher nicht in kurzfristigen aufgeregten Aktionismus erschöpfen, wie er vor allen nach dem GAU in Japan zu beobachten war. Viel wichtiger wäre, sich zu vergegenwärtigen, dass in Deutschland heute noch AKWs weiter im Betrieb sind und daher ein Störfall immer möglich ist, in anderen Teilen Europas und der Welt sogar neue AKWs gebaut werden und unabhängig davon ein permanentes strahlendes Problem bleiben wird.