Middelhoff-Urteil: Sieg des Populismus

Hinter der hämischen Freude darüber, dass jetzt auch "die Großen" mal zur Verantwortung gezogen werden, steckt eine Haltung, der vor allem am harten Durchgreifen liegt, weniger an gerechteren Verhältnissen

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Big Trouble für Big T, war bei Spiegel Online zu lesen und auch andere Medien übten sich in Häme. Schließlich geschieht es dem oft arrogant auftretenden Konzernchef recht, dass er am Freitag vom Landgericht Essen nicht nur zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt wurde, sondern auch im Gericht noch, wenigstens vorübergehend, festgenommen wurde. Schließlich hat ein gut vernetzter Konzernchef mit Wohnungen in verschiedenen Ländern immer die Möglichkeit, sich rechtzeitig abzusetzen.

Recht so, wird es von deutschen Stammtischen genau so tönen wie von Linken mit oder ohne Parteibuch. Schließlich hat da ein Richter einem Big Man mal gezeigt, dass auch er nicht über dem Gesetz steht. Doch, was wie Gerechtigkeit klingt, ist Populismus. Und hinter der Vorstellung, jetzt werden auch die Großen mal zur Verantwortung gezogen, steckt keine Utopie einer egalitären Gesellschaft.

Vielmehr wird hier eine Gesellschaft vorausgesetzt, in der es oben und unten gibt, aber alle müssen ihr Maß kennen und wenn sie über die Stränge schlagen, sollen sie von einer strafenden Instanz zur Rechenschaft gezogen werden.

Wehe, jemand bringt keine Opfer

Deswegen werden viele, die sich jetzt über das harte Urteil gegen Middelhoff freuen, auch in den Chor derer einstimmen, die Erwerbslose, die nicht bereit sind, allen Zumutungen des Hartz IV-Regime klaglos zu folgen, mit harten Sanktionen und Strafen drohen wollen.

Man braucht nur im Buch "Faul, frech und dreist" zu lesen, wie Ressentiments gegen "Deutschlands frechsten Erwerbslosen" freien Lauf gelassen wurde und wie die Kommentare bis hin zu Todesdrohungen reichten, um sich nicht mit denen gemein zu machen, die jetzt auch über die harte Strafe gegen Middelhoff jubeln. Denn in beiden Fällen geht es nicht um Überwindung unvernünftiger und ungerechter Verhältnisse, sondern um das sich Hineinfügen in diese.

Nur muss es dann eben gerecht zugehen, was in dieser Lesart meint, ein Erwerbsloser, der sich erdreistet, etwas Besseres als Arbeit um jeden Preis zu fordern, muss genau so hart rangenommen werden wie ein Manager, der einen Hubschrauber zum Arbeitsplatz nimmt.

Dann müssen sie eben früher aufstehen

In der Urteilsbegründung des Richters Jörg Schmidt wird das ganze Elend dieser populistischen Gerechtigkeitsvorstellungen deutlich. Da erklärt er, Middelhoff habe kein Recht gehabt, mit den Hubschrauber auf Firmenkosten zu seinem Arbeitsplatz zu fliegen, auch wenn es auf der Strecke große Staus gegeben habe. Die müsse er einkalkulieren und dann müsse er eben früher aufstehen, erklärte der Richter gegenüber Middelhoff.

Eher aufstehen, das ist übrigens eine Grundtugend aller der Menschen, für die ganz selbstverständlich ist, dass wir alle Opfer bringen müssen. Früh aufstehen sollen natürlich auch Arbeitnehmer und Arbeitslose, die morgens um 9 Uhr zum Termin im Jobcenter bestellt werden, sollen sie sich bloß auch nicht damit rausreden können, dass ihr Bus Verspätung hatte.

Notfalls müssen sie eben um 4 Uhr aufstehen, Hauptsache, sie sind punkt 9 Uhr im Amt. Es ist klar, dass ein Middelhoff wohl nie in die Situation kommen wird, um 9 Uhr am Jobcenter erscheinen zu müssen. Aber genau das sind die Wünsche derer, die sich oft als die kleinen Leute inszenieren, die immer Opfer gebracht haben. Das Essener Urteil bringt ihnen nun vorübergehend Erleichterung.

Jetzt hat es auch mal einen der Big Men erwischt und bald wird wieder ein Erwerbsloser denunziert, der auch nicht so früh aufstehen wollte, wie von den Behörden gewünscht.

Klar ist nur, dass alle diese Freunde des harten Durchgreifens und frühen Aufstehens alles Mögliche wollen, nur nicht eine Gesellschaft, in der alle ein gutes Leben haben. Im Gegenteil, es müssen ja Opfer gebracht werden aber bitte für Alle. Deswegen werden auch die meisten derjenigen, die das Middelhoff-Urteil feiern, nicht zu denen gehört haben, die das streikende GDL-Personal in der letzten Woche unterstützt haben.

Sie werden sich eher am Shitstorm gegen den GDL-Vorsitzenden und streikenden Gewerkschafter beteiligt haben. Als der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky dann ziemlich verunglückt von Pogromstimmung sprach, war das ein Anlass, die Kampagne gegen ihn gleich weiterzutreiben.
Durch die falsche Wortwahl trat Weselskys Begründung in den Hintergrund.

Volker Beck, der innenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion kommentierte dies damit, dass sich die Boulevardzeitungen wie "Bild" und "BZ" sowie das Magazin "Focus" "alle Mühe gegeben (hätten), ein ganzes Land gegen einen Gewerkschaftsführer aufzustacheln und ihn samt Familie durch Veröffentlichung von Telefonnummer und Wohnort geradezu für vogelfrei erklärt".

Die Streikenden haben vielleicht früh angefangen, aber sie haben eben nicht Opfer für das große Ganze gebracht, sondern für ihre Interessen gestreikt. Hier liegt der Grund für die Hetze gegen sie und die Freude über die Verurteilung von Middelhoff.