Dämpfer für die rechte Volksfront auf der Straße

Seit einigen Wochen geht in verschiedenen Städten Deutschlands eine rechte Querfront auf die Straße, die von neonazistischen Kameradschaften bis zu Teilen der CDU reicht

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"Ein Desaster für Neonazis, Flüchtlingsgegner und besorgte Anwohner". So wie
die Taz kommentierten auch zahlreiche andere Medien angesichts der Versuche, die von bekannten Kadern der NPD und der Partei "Die Rechte" unterstützten Proteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Marzahn auszuweiten.

Nachdem bei drei Montagsdemonstrationen die Zahl der Teilnehmer zugenommen hatte und einige Anwohner sich offen mit den Rechten solidarisierten, sollte der Protest am 22. November auf eine neue Stufe gehoben werden. Unter dem Motto "Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen" wurde am frühen Samstagnachmittag zu einer Demonstration aufgerufen, die den Anspruch hatte, "Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft" anzusprechen. Deshalb war auf Parteifahnen verzichtet worden.

Wie bei den drei Montagsdemonstrationen zuvor waren auch am Samstag Deutschlandfahnen in verschiedenen Größen zu sehen. Doch in der Diktion des Aufrufs zeigte sich die rechte Handschrift deutlich. Die Abrechnung mit einer "asozialen Politik" wird gefordert und "Identität" und "eine solidarische Gemeinschaft" dagegen gesetzt. Schon bald zeigte sich, dass die Teilnehmerzahl der als "besorgte Bürger" firmierenden Gegner der Flüchtlingsunterkunft mit knapp 800 Menschen hinter ihren Erwartungengeblieben zurückgeblieben ist. Zudem hatte ein großes Bündnis zu Protesten aufgerufen und Teile der geplanten Demoroute besetzt. Die eigentlich 8 Kilometer lange Demoroute musste daher auf eine ganz kurze Strecke gekürzt werden.

Die lange Wartezeit führte dazu, dass die Demo der Flüchtlingsgegner auf knapp 200 Menschen schrumpfte. Dafür wurden die Ansprachen am offenen Mikrofon immer aggressiver. "Wir Deutschen haben auch Rechte und zwar mehr Rechte als sogenannte Flüchtlinge", rief ein Redner. Eine Rednerin echauffierte sich, dass "Deutschlandimmer mehr zu einem Selbstbedienungsladen für kriminelle Ausländerbanden verkommt". Doch da war schon klar,dass die geplante Verbreiterung des Protests gegen die Flüchtlingsunterkunft nicht gelungen ist. Statt der geplanten Route von fast 8 Kilometer war am Samstagabend nach 800 Metern Schluss.

Wenn Rechte zu besorgten oder engagierte Bürger werden

Die Rechten hatten gehofft, unter dem Label "besorgte Bürger" und dem Verzicht auf Parteifahnen wieder größere Aufmärsche organisieren zu können. In den letzten Jahren verhinderten demokratische Bündnisse und administrative Entscheidungen rechte Aufmärsche in Dresden gegen die alliierte Bombardierung oder in Wunsiedel zum Todestag von Rudolf Hess.

Mit den Protesten gegen die Flüchtlingsunterkünfte sollte sich auch die zerstrittene Rechte auf ein Thema konzentrieren, bei dem es unter ihnen keine Differenzen gibt. Im Aufruf zur Demo in Marzahn wird das ganz klar benannt: "Es wird Zeit, die Kräfte bestmöglich zu bündeln und ein Zeichen im Namen aller Betroffenen zu setzen." Das Kalkül schien aufzugehen. So hoffte man auf der rechtspopulistischen Internetseite PI nach der dritten Montagsdemonstration gegen Flüchtlingsunterkünfte: "In Berlin bewegt sich was."

Am vergangenen Samstag war hingegen bei der rechten Demo vor allem Stillstand angesagt.
Die neue rechte Demostrategie hat einen Dämpfer erlitten. Gescheitert ist sie damit aber noch nicht. Denn es sind die Bedingungen für Proteste gegen rechte und rechtspopulistische Aufmärsche nicht überall so ideal wie in der Metropole. Zumindest die Antifaschisten in Dresden wollen sich daran ein Beispiel nehmen.Dort ist bereits fünfmal immer am Montagabend ein Bündnis "Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße gegangen. Auch dort wurde das gleiche Konzept wie in Marzahn und an anderen möglichen Standorten für Flüchtlingsunterkünfte gefahren.

Parteifahnen bleiben zu Hause und unter dem Label besorgter Bürger formiert sich eine Volksfront von Rechts, die auf parlamentarischer Ebene derzeit nicht zu Stande kommt. Auf diesen neuen Demonstrationen marschieren neben rechten Mitgliedern vonKameradschaften oder der NPD auch Anhänger von rechtspopulistischen Gruppen, die bisher immer sehr auf Distanz zu den offenen
Nazistrukturen bedacht waren.

Dass selbst bei Teilen der CDU die Distanz gegen Rechtaußen zumindest auf der Straße abnimmt, zeigte sich am 9. November dieses Jahres in Erfurt. Ausgerechnet am Jahrestag der Reichspogromnacht gingen CDU-Mitglieder mit Rechtspopulisten und Neonazis gegen eine von der Linkspartei gestellte thüringische Landesregierung auf die Straße. Die Erfurter Jusos sprachen von einer deutschnationalen Querfront.

Die zahlreichen kritischen Berichte über diesen neuen rechten Schulterschluss scheinen zumindest führende Thüringer CDU-Funktionäre wenig zu beeindrucken. Der CDU-Landesvorsitzende von Thüringen, Mike Mohring, kündigte an, wenn es sein Terminkalender erlaubt, bei schon angekündigten weiteren Protesten gegen eine linksreformistische Koalition in Erfurt dabei zu sein. Die rechte Volksfront bezeichnete Mohring als engagierte Bürger und übernimmt damit bis in die Diktion die Lesart der neuen rechten Volksfront.

Unter dem Label besorgte oder engagierte Bürger verschwindet die Tatsache, dass darunter Kader rechter und teilweise sogar neonazistischer Gruppierungen sind, die bisher selbst bei Rechtskonservativen nicht als bündnisfähig galten. Dass es hier Aufweichungen gibt, zeigte sich auch bei der HoGeSa-Demonstration am vorletzten Samstag in Hannover, der von den rechtspopulistischen PI Vorbildcharakter für die rechte Volksfront auf der Straße zugeschrieben wird. Als Redner trat auch der umtriebige Politiker der Partei "Die Freiheit", Michael Stürzenberger, auf. Die Partei hatte lange Zeit zumindest offiziell von diesen Milieu Abstand gehalten.

Umsichgreifen von marktförmigen Extremismus

Die Versuche des Aufbaus einer rechten Volksfront auf der Straße stehen auch nicht im Widerspruch zur jüngsten Studie der SPD-nahen Friedrich Ebert Stiftung, die in diesen Tagen unter dem Titel "Fragile Mitte –Feindselige Zustände" veröffentlicht wurde. Danach sind die offen rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Doch die Zustimmung zu einzelnen Facetten extrem rechter Ideologeme wie der Abwertung von erwerbslosen Menschen und Geflüchteten ist nach wie vor sehr hoch.

Der Ko-Autor der neuen Studie Andreas Hövermann konstatierte das Umsichgreifen eines "marktförmigen Extremismus, der Selbstoptimierung, Wettbewerbsideologie und ökonomistische Werthaltungen propagiert. Chauvinismus und Sozialdarwismus sind Elemente des marktförmigen Extremismus", erläutert der Forscher und stellt damit eine Verbindung zwischen dem neuen rechten Denken und den Zumutungen des Kapitalismus her, wie es bereits vor einigen Jahren mehrere Bündnisse gegen Sozialchauvinismus getan haben.

Die Ergebnisse dieser Studie korrespondieren durchaus mit den neuen rechten Bewegungen auf der Straße, die eben gerade diese rechten Elemente des marktförmigen Extremismus herausgreifen und damit bündnisfähig auch bei Menschen werden wollen, die sich nicht als Rechte verstehen.