Straffreiheit für V-Leute

Wenn jemand auf einer rechten Demonstration den Hitlergruß zeigt, könnte er in Zukunft öfter straffrei ausgehen

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Das Bundesinnenministerium plant neue Regelungen zu Auswahl und den Einsatzbedingungen von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Dazu gehört, dass diese künftig für das Begehen bestimmter Delikte straffrei bleiben sollen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecher seiner Fraktion, Burkhard Lischka hat in einem Interview auf die Frage, welche Straftaten künftig für V-Leute straffrei bleiben sollen, erklärt:

Damit ist zum Beispiel die Verwendung von NS-Kennzeichen gemeint oder das Zeigen des Hitler-Grußes.

Kein Freibrief für den VS?

Da nun gerade die rechte Szene dicht mit V-Leuten besetzt ist, ist zu erwarten, dass die Anklagen wegen Zeigen eines Hitlergrußes zurückgehen, wenn die Vorschläge Gesetzeskraft hätten. Noch handelt es sich um einen Gesetzesentwurf in der Anfangsphase. Die Feinabstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts ist gerade angelaufen. Beobachter des politischen Geschehens sind sich nicht sicher, ob der Entwurf bald Gesetzeskraft bekommt. Vor allem die Länder hätten bisher immer eine Stärkung des Verfassungsschutzes verhindert.

Bisher hört man wenig von der vielzitierten Zivilgesellschaft zu dem Gesetzesentwurf, der eindeutig das Ziel hat, die Arbeit des Verfassungsschutzes zu stärken. Das macht der SPD-Politiker Lischka in dem Interview sehr deutlich. Ein Freibrief für den VS sei mit seiner Partei nicht zu machen, betonte er. Doch die Straffreiheit für szenetypischer Straftaten hält er mit dem Argument für sinnvoll, dass sonst der Einsatz von V-Leuten häufig gar nicht denkbar sei.

Das ist allerdings eine Aussage, die die Kritiker des Verfassungsschutzes bestätigt. Sie werfen dem VS vor, dass er schon von Berufs wegen szenetypische Straftaten begeht. Leider verlangt der Interviewer von dem SPD-Politiker dafür keine nähere Begründung. Die Nazikader, die für den VS eigentlich interessant sein müssten, zeigen durchaus nicht ständig in der Öffentlichkeit den Hitlergruß, schon weil sie nicht ständig dafür vor Gericht stehen wollen.

Für das "Fußvolk" auf rechten Demos hingegen sind Hitlergrüße und die Verwendung von verbotenen NS-Symbolen durchaus üblich. Warum aber hat der VS gerade für diese Klientel so besonderes Interesse? Und könnten die nicht regelrecht zu ihrem Tun motiviert werden, wenn V-Leute straffrei damit voran gehen können? Bestätigen sich hier nicht die Vorwürfe von VS-Kritikern, wonach die Geheimdienste eher zur Stabilisierung und Stärkung als zur Bekämpfung der rechten Szene beitragen?

Verletzt der Hitler-Gruß nicht die Grundrechte Anderer?

Zudem bleibt ein weiterer Widerspruch in den Ausführungen von Lischka unaufgeklärt. Er betont einerseits, dass szenetypisches Verhalten nur dann für V-Leute straffrei bleiben soll, wenn damit keine Grundrechte Dritter verletzt werden. Werden Überlebende der Shoah und ihre Angehörige aber nicht in ihren Grundrechten verletzt, wenn sie auf der Straße Nazis sehen, die den Hitler-Gruß zeigen?

Lischka betont auch, dass die Gründung und Steuerung von Neonazivereinigungen für V-Leute künftig ausgeschlossen werden sollen. Damit wird implizit gesagt, dass diese Methoden bisher möglich waren. Auch hier können sich die Kritiker des VS bestätigt fühlen.

Natürlich war der Geheimdienst nicht dafür verantwortlich, dass Menschen rechtes Gedankengut haben- Es wäre daher eine Verschwörungstheorie zu behaupten, dass es ohne den VS keine Neonazis geben würde. Doch sie haben vielleicht durch von V-Leuten gegründete oder gesteuerte Organisationen leichter die Möglichkeit gefunden, ihr Gedankengut in Aktionen umzusetzen. Sie haben vielleicht durch szenetypische Aktionen die Möglichkeit, sich zu radikalisieren. Hier würde der VS wiederum genau die Rolle einnehmen, die differenzierte Kritiker der Geheimdienste immer wieder erwähnen.

Geheimdienste erfinden und kreieren nicht den Neonazismus. Doch sie geben ihnen Aktionsmöglichkeiten, Erfolgserlebnisse und helfen bei der Radikalisierung. Nach der Rolle, die der VS bei der Beobachtung und Begleitung des NSU gespielt hat und für die viele den Begriff "Totalversagen" noch zu beschönigend finden, hat die Forderung nach Abschaffung des VS mehr Unterstützer bekommen und wurde auch in liberalen Kreisen diskutiert.

Der geplante Gesetzesentwurf geht in die entgegengesetzte Richtung. Die Arbeit des VS soll gestärkt werden. Das ist eine politische Antwort auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das entschieden hat, dass V-Leute nach der aktuellen Gesetzeslage keine Straffreiheit, sondern allenfalls eine Strafermäßigung bekommen können.

Die Politik will mit der Gesetzesinitiative deutlich machen, dass sie auf den VS nichts kommen lässt. Für die Kritiker des VS, die sich nach der Selbstaufdeckung des NSU lauter zu Wort gemeldet haben, ergäbe sich hier die Gelegenheit wieder stärker zu intervenieren. Die Befürworter des Gesetzesentwurfs argumentieren, dass er für eine VS-Arbeit unabdinglich ist. Die Gegner könnten nun versuchen, genau deshalb die Mobilisierung gegen den Gesetzentwurf verstärken, damit genau das eintritt.