Der solidarische Fußballklub in Madrid

Meist bleibt der fest im Arbeiterstadtteil Vallecas verankerte Club Rayo Vallecano zu Unrecht im Schatten von Real und Atlético

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Weder der Fußball noch tödliche Vorgänge am Stadion in der spanischen Hauptstadt Madrid am Sonntag, sondern das solidarischeVerhalten des Erstliga-Clubs Rayo Vallecano ließen ihn weltweit aus dem Schatten der großen Rivalen Real und Atlético Madrid treten. Trainer, Spieler und Verein wollten dem Drama, das in Spanien täglich Menschen aus ihren Wohnungen geworfen werden, nicht mehr zuschauen, wenn eine 85-jährige Anhängerin in dem Stadtteil Vallecas auf die Straße gesetzt wird, in dem der Club fest verankert ist.

Die inhumane Behandlung einer vor Verzweiflung weinenden Carmen Martínez Ayuso, die trotz massiver Proteste nach 50 Jahren vor einer Woche von der Polizei auf die Straße gesetzt wurde, konnte den Club nicht kalt lassen. Der Rayo sprang sofort dafür ein, wozu eigentlich staatliche Institutionen verantwortlich sind. "Wir werden nicht zuschauen und der Frau helfen", sagte der Trainer Paco Jémez, weil auch Martínez wie üblich kein Ersatzwohnraum angeboten wurde. "Nicht ich allein, sondern der gesamte Trainerstab, die Spieler, der Verein", würden dafür sorgen, dass sie bis ihr bis zu ihrem Lebensende eine Miete zahlen und in dem Arbeiterstadtteil im Süden Madrids "ein würdevolles Leben führen kann und sich nicht einsam fühlt".

Jémez musste nun am vergangenen Donnerstag einräumen, dass der Club von den Reaktionen fast überfordert wird. Man wollte keinen "Medienzirkus", doch an der Pressekonferenz nahmen 15 TV-Sender teil, auch aus Deutschland, Italien oder Mexiko, dazu Radios, Zeitungen und Fotografen. Ein Sender übertrug sogar live. "Es ist die größte Konferenz in der neueren Geschichte des Clubs", sagte Jémez, der dies davon kennt, wenn die großen Rivalen Real und Atlético einen Titel gewinnen.

Der Club hat nun ein Spendenkonto eingerichtet, das von Trainern und Spielern schon gefüllt wurde. "Als bescheidener Verein sind wir einen Schritt vorwärts gegangen, weil Solidarität und soziale Verantwortung zu unserem Erbgut gehören", sagte Jémez. Fünf Euro von jeder Eintrittskarte vom Spiel gegen Sevilla am 7. Dezember würden neben privaten Spenden zudem eingezahlt. Die Behörden nahm er in die Pflicht. Man wolle niemanden ersetzen, sondern nur helfen. "Wir hoffen dass das Stadion in Vallecas an diesem Tag voll ist", so der Rayo-Generaldirektor Luis Yañez auf der Pressekonferenz.

Der Verein, seine linken Fans und das Viertel bilden eine Symbiose

Davon kann man in dem Viertel ausgehen, in dem die Empörten-Partei Podemos (Wir können es) ihre Basis hat. Sie schickt sich nach Umfragen an, aus dem Stehgreif 2015 die Parlamentswahlen gegen die "Kaste" zu gewinnen. So nennt der neue Generalsekretär Pablo Iglesias die großen Parteien im Land, deren "Regime" er und Podemos stürzen wollen. Über das Stadtteilfernsehen "Tele K" wurde der 36‑jährige Politologe mit seiner Sendung "La Tuerka" (Die Schraube) bekannt. Er ist auch bei den Fans des Club beliebt. Auch viele Bukaneros sprechen auch von einer "Zweiparteiendiktatur der PPSOE", weil sich Sozialdemokraten (PSOE) und die in Korruption versinkende postfaschistische Volkspartei (PP) an der Macht ablösen.

Der Verein, seine linken Fans und das Viertel mit gut 300.000 Einwohnern bilden eine Symbiose, weshalb das Verhalten des Clubs nicht ungewöhnlich ist. Der 1924 als Stadtteilverein gegründete Rayo und seine Fans haben sich an Generalstreiks beteiligen, als 2012 gemeinsam mit Griechenland und Portugal gegen die Kürzungspolitik und die tiefen Einschnitte in die Sozialsysteme gestreikt wurde. Das steht in der Tradition des Vereins, der von 1931 bis zum Putsch der Generäle 1936 gegen die Republik in der Arbeiterliga spielte.

Dagegen erklärte zum Beispiel der Manager von Real Madrid während eines Generalstreiks, Gewerkschaftler gehörten "einer nach dem anderen an die Wand gestellt". Der Rayo sei kein einfacher Fußballclub, sondern "der Klassenstolz und die Stimme des Bewusstseins", meint Pedro Roiz. Der Sohn des Präsidenten von 1965 bis 1972 definiert den Stadtteil so: "Vallecas ist die Erde der einfachen und engagierten Leute." Es seien Zuzügler aus allen Teilen Spaniens und Einwanderer, die sich mit großer Mühe ihr Brot verdienten und "Kämpfer". Es ist kein Zufall, dass am Generalstreik im November 2012 in ganz Spanien nur eine Person verhaftet wurde. Ein Freibeuter aus Vallekas, wie die Bewohner liebevoll ihr "Barrio" nennen.

Der 21-jährige Alfonso Fernández Ortega (Alfon) wurde schon verhaftet, bevor er Streikposten sein konnte. Mit schwammigen Anschuldigungen wurde er fast zwei Monate in Untersuchungshaft gesteckt. Es sei eine "Inszenierung der Polizei", um ein Exempel zu statuieren, erklärte seine Mutter Elena Ortega immer wieder auch bei Veranstaltungen in Deutschland. Man habe ihm einen Rucksack mit Utensilien zum Bau von Molotow-Cocktails zugeordnet, der im Stadtteil gefunden wurde. Ihm drohen wegen "Besitz von Explosivstoffen" fünfeinhalb Jahre Knast.

Beweise dafür gibt es offenbar nicht. Weder wurden seine Fingerabdrücke auf den Rucksack oder den Utensilien gefunden, noch belastendes Material bei Hausdurchsuchungen. Im Prozess sagte Alfon am vergangenen Dienstag, von der Polizei erpresst worden zu sein. Die habe ihm mit dieser harten Anklage gedroht, wenn er nicht andere Bukaneros und Mitglieder der "Antifaschistischen Brigaden" identifiziere.

"Politik des Sozialterrorismus"

Im Fall der geräumten "Carmen" Frau will der Verein nun ihre genaue Lage klären, denn angesichts der Empörung über die Räumung und die weltweiten Schlagzeilen hat ihr nun auch die Bürgermeisterin Ana Botella eine Sozialwohnung angeboten. Dabei hätte das vor der Räumung passieren müssen. Denn die Verfassung garantiert in Artikel 47 "das Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung". Immer wieder stoppt sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Räumungen, weil sogar Familien mit Kleinkindern einfach auf die Straße gesetzt werden. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) hat zudem geurteilt, dass viele Zwangsräumungen illegal sind, weil sie oft auf "missbräuchlichen Klauseln" in Kreditverträgen basieren.

Der Anwalt der Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH) spricht von einer "Politik des Sozialterrorismus", denn die Stadt versilbere ihre Sozialwohnungen an "Geierfonds". Ein Drittel stünde leer, während zahllose geräumte Familien "kein Angebot erhalten", sagt Manuel San Pastor. Die 85-Jährige ist wahrlich kein Einzelfall für die PAH. Auch sie wurde geräumt, da sie für einen Kredit ihres Sohns über 40.000 Euro mit ihrer Wohnung gebürgt hatte. Das hatte sie nicht verstanden. "Ich kann weder lesen noch schreiben und habe die Unterlagen einfach unterzeichnet", erklärt sie. Mit überhöhten Zinsen eines "Kredithais", stiegen die Schulden des Sohns mit Verfahrenskosten auf 77.000 Euro an. Dafür habe der sich nun die Wohnung im Wert von 160.000 Euro unter den Nagel gerissen, meinen viele in Vallecas. "Wenn die Institutionen nun Carmen eine würdige Wohnung geben, werden wir anderen helfen, erklärte derweil der Rayo-Trainer. Das gespendete Geld werde dann anderen bedürftigen Menschen im Stadtteil helfen.