Europäische Zentralbank verschießt letzte Patrone

Die EZB will nun für monatlich 60 Milliarden Euro Staatsanleihen aufkaufen, um die Wirtschaft und die Inflation anzukurbeln, bis 2016 werden nun mehr als 1,14 Billionen Euro gedruckt

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Eigentlich war es schon klar, dass die Europäische Zentralbank (EZB) nun ihre letzte Patrone in den Lauf schieben würde. Denn zuletzt wurde die offiziell gemessene Inflation im Euroraum im Dezember sogar negativ. Die offizielle Rate fiel auf -0,2%, nachdem sie im November noch 0,3% betragen hatte. Noch vor einem Jahr lag die Inflationsrate bei 0,8%, die die EZB eigentlich im Bereich von 2% halten soll.

Die Angst vor einer gefährlichen Deflation diente dem EZB-Chef Mario Draghi schon lange als Argument dafür, um die Geldschleusen noch stärker zu öffnen. Längst hat die EZB damit begonnen, Anleihen - auch gefährliche - zu kaufen, womit die Notenbank zur Bad Bank mutiert, ohne den angestrebten Zielen aber näher zu kommen.

Dass die offizielle Inflationsrate zuletzt negativ wurde, war das das stärkste Argument von Draghi. Denn damit konnte er nun das ohnehin schon angekündigte "Outright Monetary Transactions" (OMT)-Programm, im Notfall sogar "unbegrenzt" Staatsanleihen zu kaufen, als quasi alternativlos erscheinen lassen. Unbegrenzt werden die Gelddruckmaschinen (noch) nicht angeworfen, aber Draghi kündigte am Donnerstag wie erwartet den Einstieg in das ein, was im Fachjargon "quantitative easing" (QE) genannt wird.

Bis September 2016 will die EZB monatlich Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Umfang von 60 Milliarden Euro aufkaufen, womit 1,14 Billionen Euro über die EZB aus dem Nichts erschaffen werden.
Die Entscheidung fiel nicht einstimmig und offenbar wurden Bundesbankchef Jens Weidmann und Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger, die sich gegen das Programm ausgesprochen hatten, im EZB-Rat überstimmt.

Dass die nationalen Notenbanken 80% der eigenen Anleihen kaufen sollen und nur 20% von anderen Ländern gekauft werden sollen, war für sie offenbar nur ein schwacher Trost. Klar ist dass sich schon darüber eine gemeinsame Haftung für 20% des Volumens ergibt, die durch die Verflechtungen aber ohnehin noch deutlich größer wird.

Ohnehin habe man sich in der EZB an die Kernaufgabe gehalten, für Geldwertstabilität zu sorgen und habe nicht die Zinsen schon frühzeitig zur Ankurbelung der Konjunktur praktisch auf Null gesenkt, hieß es schon zuvor. Damit gebe es nun die Alternative, die eigentlich für diesen Fall vorgesehen ist. Doch der Leitzins kann nicht mehr weiter gesenkt werden, womit das traditionelle Werkzeug zur Deflationsbekämpfung für Konjunkturpolitik verschlissen wurde. Die EZB hat sich sogar schon auf Neuland begeben und kassiert einen Strafzins, wenn Banken ihr Geld bei der Notenbank parken.

Dass das umstrittene Ankaufprogramm gestartet werden würde, wurde auch darüber vereinfacht, weil der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg der Maßnahme sein Plazet gegeben hat. Damit wird die Aussicht der Kläger aus Deutschland schlecht, da die Richter in der großen Mehrzahl dem Gutachten folgen. Damit wurde der Weg für Draghis Gelddruck-Programm frei gemacht.

Ob das gefährliche Aufkaufen von Staatsanleihen aber große Wirkungen bringt, wird allseits bezweifelt. Schon die bisherige Geldschwemme hat weder die Wirtschaft ausreichend angekurbelt, noch hat sie bisher die Inflation angeheizt. Was die Wirtschaft angeht, ist das angesichts stark fallender Energiepreise ebenso ein Wunder, wie die Tatsache, dass die Geldpolitik Draghis den Euro massiv geschwächt hat, um in den Währungskrieg einzusteigen. Denn Waren aus dem Euroraum wurden damit deutlich billiger. Beide Faktoren wirken eigentlich wie zwei massive Konjunkturprogramme, doch die Wirtschaft im Euroraum kommt trotz allem nicht in Fahrt.

Und dass Deflationsgefahren wachsen, darüber muss man sich nicht wundern. Das hat nur wenig mit dem Ölpreis zu tun, sondern mit der Tatsache, dass allseits Lohnsenkungen durchgepeitscht werden, um die Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger zu machen. Sogar die OECD hatte im vergangenen Sommer festgestellt, dass Lohndumping in die Deflation führt. Denn wenn die Kaufkraft massiv sinkt, wirkt sich das eben dämpfend auf die Preise aus. Deshalb forderte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass Schluss sein müsse mit den Lohnkürzungen, die nicht nur Not für die Beschäftigten bringe, sondern in den gefährlichen Teufelskreis führe. Um die Deflation zu bekämpfen und gleichzeitig die Wirtschaft anzukurbeln, wären also Lohnerhöhungen zielführend.

Denn dass die gefährlichen Anleihekäufe das schaffen, das wird allgemein bezweifelt. Nicht einmal Draghi ist davon überzeugt. "Um die Investitionen zu steigern, das Jobwachstum zu erhöhen und das Produktivitätswachstum zu erhöhen, müssen andere Politikbereiche einen bedeutenden Beitrag leisten", erklärte er auf der Pressekonferenz nach der Ratssitzung. Die Länder müssten ihren verfügbaren Spielraum für eine wachstumsfreundlichere Zusammensetzung der Finanzpolitik nutzen. "Die Geldpolitik kann die Basis für Wachstum legen", sagte Draghi:

Es braucht Investitionen, und dafür braucht es Vertrauen.

Woher das kommen soll, wenn auch die EZB-Notmaßnahmen immer fragwürdiger werden, sagte er nicht.

In Deutschland ist die Ablehnungsfront der EZB-Politik enorm breit und reicht von der CSU bis zur Linkspartei. Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) meint, die Notenbank beschwöre dieselben Risiken, "die uns schon einmal in extremste Turbulenzen gebracht haben". Die Ankäufe seien "Medikamente mit gefährlicher Nebenwirkung" und der unbegrenzte Anleihekauf bringe "das ganze System ins Wanken". Er sieht darin auch eine verbotene Staatsfinanzierung, die Sparer belastet, weil sie keine Zinsen mehr erhalten. Insgesamt würde diese Politik dazu führen, dass vermehrt die Risiken eingegangen würden, "die schon einmal zur Finanzkrise geführt haben".

Auch die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, hält das OMT-Programm für völlig falsch, denn es handele sich tatsächlich um "neues riesiges Bankensanierungsprogramm". Für sie ist der Vorwurf falsch, dass damit Schuldenstaaten finanziert würden:

Das Schlimme an diesem Programm ist: Das Geld fließt überhaupt nicht an irgendeinen Staat. Es fließt auch nicht in die reale Wirtschaft. Es fließt auf die Finanzmärkte, es fließt in die Banken.

Sie ist sich mit Söder einig, dass die EZB-Geldpolitik dazu führt, dass die "Mittelschicht, also der normale Sparer, immer weniger Geld auf dem Konto hat, weil seine Zinsen noch nicht mal die Inflationsrate abdecken". Wagenknecht beklagt, dass die Politik die Reichen immer reicher mache. Bei ihnen müsste das Geld aber geholt werden, um Investitionen zu tätigen, wie für die Sanierung von Straßen und Brücken. Dafür könnte auch das EZB-Geld eingesetzt werden, denn "dann wäre das tatsächlich eine Ankurbelung der Wirtschaft, was dann auch auf die private Wirtschaft übergehen würde, weil die natürlich wieder mehr Nachfrage hätte und dann auch einen Anreiz zu investieren".

In den Chor stimmte auch Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, ein. Für ihn sind die Ängste vor einer Deflation, mit der das OMT-Programm begründet wird, "nur vorgeschoben". Tatsächlich sei das Ziel, die Banken Südeuropas zu entlasten, "die sich mit toxischen Staatspapieren vollgestopft" hätten. Denn genau diese Staatsanleihen werden den Banken nun von der EZB abgekauft, die anders als die FED in den USA ja nicht direkt Staatsanleihen kauft.

Für Sinn dient das Programm ebenfalls dazu, die Banken zu entlasten:

Die können ihren Schrott da bei ihren Notenbanken abladen und können ihre Bilanzen bereinigen. Das werden sie im großen Umfang tun.

Doch auch er glaubt nicht, dass die damit geschaffene Liquidität in großem Stil zur Kreditvergabe und zur Ankurbelung der Wirtschaft führt, wie gehofft oder vorgegeben wird. Die werde ins Ausland getragen und es komme zur weiteren Euro-Abwertung und Aufwertung anderer Währungen wie dem Schweizer Franken.

Die Schweiz war nicht in der Lage, diesem Trend sich noch zu widersetzen.

Tatsächlich ist der Euro nach der Bekanntgabe der Entscheidung weiter abgestürzt, während an den Börsen neue Rekorde aufgestellt werden.

Auch bei der deutschen Wirtschaft stieß der Ankauf auf schwere Kritik. "Die EZB ist zum Gefangenen der eigenen Ankündigungen geworden", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. Er warf der Notenbank vor, "ohne Not nun ihren letzten Trumpf ausgespielt" zu haben. Auch für Wansleben überwiegen eindeutig die Risiken:

Die Wirkung des Ankaufs von Staatsanleihen auf die Preisentwicklung in der Eurozone ist unsicher.

Seiner Meinung nach steigt auch "die Gefahr von Spekulationsblasen an den Finanzmärkten" weiter, vor der sogar ohne das Programm schon in der EZB gewarnt wurde.