Geheimdienste gegen Terrorismus?

Expertenanhörung im NSU-Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Rahmen des NSU-Untersuchungsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags wurden am Dienstag mehrere Experten für den Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz gehört. Das Thema erfuhr Aktualität durch eine nun bekannt gewordene Einlassung einer Zeugin, Uwe Bönhardt vor dem Attentat in der Kölner Keupstraße gesehen zu haben.

Der heutige Verfassungsschutzkritiker Winfried Ridder war von 1973 bis 1995 für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) tätig, wo er anfangs die NPD beobachtete, die er zuvor politisch für die Friedrich-Ebert-Stiftung bekämpft hatte. Dann wurde er Spezialist für den Linksterrorismus und war insbesondere für die Beobachtung der RAF und den Top-Terorristen Carlos zuständig. In seinem 2013 erschienenen Buch zieht Ridder das bittere Resümee, dass der Verfassungsschutz keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der RAF geleistet habe. Ridder ist heute ein vehementer Kritiker des einst von ihm befürworteten Einsatzes von V-Leuten, da diese unzuverlässig und nicht steuerbar seien. Es sei ohnehin nur in zwei Fällen gelungen, V-Leute bei der RAF zu platzieren (Peter Urbach und Klaus Steinmetz). Stattdessen sollten Undercover-Ermittler eingesetzt werden, die tatsächlichen Risiken für Gesundheit und Leben würden übertrieben.

In seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss beklagte Ridder, es habe stets Abstimmungs- und Kompetenzprobleme sowie Interessenkonflikte gegeben. So seien Beschaffung und Auswertung organisatorisch getrennt und rivalisierten. So seien die V-Mann-Führer gegenüber den von ihnen angeworbenen Quellen loyal und ließen sich nur ungern von den Auswertern dirigieren. Ein weiterer Zielkonflikt sei gegenüber der Polizei vorprogrammiert, da diese Straftäter festnehmen möchte, während Nachrichtendienste an langfristiger Vorfeldbeobachtung interessiert sind und folglich Informationen vor der Polizei zurückhalten. Ridder plädiert dafür, operative Aktionen vollständig der Polizei zu überlassen, welche über alle hierzu sinnvollen Instrumente verfüge. Auch zur Beurteilung der Informationen verfüge der Verfassungsschutz über keine höhere gesellschaftliche Kompetenz als etwa Fachjournalisten und Wissenschaftler. Gerade beim islamistischen Terror solle besser in Ursachenforschung investiert werden.

Die politische Perspektive lieferte Prof. Dr. Hans Peter Bull, der zwischen 1978 bis 1983 als „Bundesbeauftragter für den Datenschutz“ den Geheimdiensten Datenschutz vermittelte und zwischen 1988 und 1995 als Innenminister des Landes Schleswig-Holstein fungierte. In letzterer Funktion wurde er vom Ausschuss befragt, wie er denn das verfassungsrechtlich gebotene Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei eingehalten habe, die beide dem Innenministerium unterstanden. Bull zufolge stellte sich Problem in der Praxis gar nicht, da er nur von seinen Verfassungsschützern informiert worden sei. Die Polizei hingegen habe stets an die Staatsanwaltschaft berichtet, die wiederum dem Justizministerium unterstellt ist.

Auch Bull, der seinerzeit die Bundesregierung im NPD-Verbotsverfahren vertreten hatte, sieht das V-Mann-Wesen sehr kritisch. Bull erinnerte an einen Fall, als zwei eifrige Neo-Nazis, die im Hetzen konkurrierten und sich gegenseitig für echt hielten, für den Verfassungsschutz und für den BND tätig waren. Ein überzeugter Nazi könne nicht zu einer Vertrauensperson gemacht werden und sei nicht führbar, im Gegenteil sei es der V-Mann, der darüber entscheide, welche Informationen er preisgebe. Ein großes Problem sei die Kumpanei zwischen V-Mann-Führer und Quelle. So sei es vorgekommen, das Verfassungsschützer ihre Schützlinge etwa vor Telefonüberwachung durch das Landeskriminalamt warnten. Rätselhaft sei ihm jener V-Mann-Führer, der einen NSU-Mord nicht bemerkt haben wollte. Der Zielkonflikt zwischen Polizei und Geheimdienst habe letztlich auch zu dem Fiasko in Bad Kleinen beigetragen, da eine Festnahme die Tarnung des V-Manns gefährdete. Im NPD-Verbotsverfahren hätten Bundesländer die Kooperation verweigert, weil sie ihre Quellen schützen wollten.

Dritter Experte war der vormalige Grünen-Abgeordnete Roland Appel, seit 2000 Mitglied der G10-Kommission des Landtags zur Überwachung von Eingriffen in den Post- und Telekommunikationsverkehr. Appel riet Kritikern des V-Mann-Wesens, den Kosten-Aspekt zu betonen. Während in früheren Zeiten V-Leute höchstens Aussicht auf 400,- DM pro Monat gehabt hätten, sei er über die Beträge erstaunt, die in Thüringen V-Leuten im Umfeld des NSU gezahlt wurden. Letztlich hätten 21 im näheren Umfeld des NSU-Trios platzierte Agenten nicht dazu beigetragen, den Terror zu erkennen und zu verhindern. Appel erinnerte auch an den V-Mann Schmidt, dessen Rolle im Brandanschlag in Solingen noch immer ungeklärt sei. Appel hatte 1994 den Innenminister zur Deanonymisierung des rechtsextremen Kampfsportlers gedrängt.

Die Befragung einer weiteren Expertin, der Journalistin Heike Kleffner, musste abgebrochen werden. Der Untersuchungsausschuss kam zu dem Ergebnis, dass die für die militante Naziszene und das Umfeld von Blood&Honor kompetente Expertin als Zeugin in Betracht kommt, so dass sie nicht als Expertin auftreten durfte.