Energiewende rückwärts in Frankreich?

Trotz eines Versprechens von Hollande wird es immer zweifelhafter, ob die Uralt-Atomreaktoren in Fessenheim bald abgeschaltet werden

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Wieder einmal liefert der Pannenreaktor am Oberrhein seit dem Wochenende keinen Strom, der in Fessenheim direkt an der Grenze zu Deutschland steht. Es hat sich erneut ein Zwischenfall ereignet, weshalb Block 1 ungeplant abgeschaltet wurde. Block 2 lieferte wegen des geplanten Austauschs der Brennstäbe ohnehin keinen Strom. Eigentlich sollte das älteste Atomkraftwerk Frankreichs sowieso abgeschaltet werden, hatte der französische Präsident François Hollande nicht nur im Wahlkampf versprochen. Umweltschützer fordern deshalb, den Reaktor gar nicht mehr anzufahren.

Hollande hatte nach einem Störfall im September 2012 erklärt, das alte AKW solle bis 2016 stillgelegt werden. Und Störfälle sind nur ein Grund, die für eine schnelle Abschaltung sprechen. Bekannt ist auch, dass die beiden Meiler praktisch nicht gegen Flugzeugabstürze und Terrorangriffe geschützt sind. Dieses Thema kam kürzlich wieder verstärkt angesichts islamistischer Anschläge in Paris und der Tatsache auf, dass Drohnen über verschiedene Atomkraftwerke flogen, auch über Fessenheim. Auch bei einem Erdbeben sind einige Schutzfunktionen nicht gewährleistet, hat die Atomaufsicht festgestellt. Und im Rheingraben bebt es zum Teil auch kräftig.

Doch trotz bekannter Gefahren bei Reaktoren, die seit 1978 (!) am Netz sind, hatten zunächst schon Hollandes sozialistische Parteifreunde die Ziele für eine Energiewende verwässert, die direkt mit der Abschaltung in Zusammenhang stehen. Die Energiewende war ohnehin nie ambitioniert, trotz allem blieben nach der Abstimmung in der Nationalversammlung sogar noch zwei konkrete Ziele im Gesetz in Bezug auf den Atomstrom. Dessen Anteil an der Stromversorgung sollte von 75% bis 2025 auf 50% gesenkt werden. Man beachte, dass Portugal schon fast zwei Drittel seines Stroms über erneuerbare Energiequellen erzeugt. Analog zum ersten Ziel sollte die Gesamtleistung der Atomkraftwerke auf 63,2 Gigawatt gedeckelt werden.

Doch nun hat am Dienstag der von den Konservativen dominierte Senat diese beiden Ziele kassiert. Es wird kein Datum mehr genannt, wann der Atomstromanteil auf 50% sinken soll und die Deckelung wurde auf 64,8 GW angehoben. Und das geschah mit Blick auf Fessenheim. So müssten die beiden Meiler nicht mehr abgeschaltet werden, falls der neue EPR in Flamanville tatsächlich 2017 ans Netz geht. Dieser Termin darf aber angezweifelt werden.

Wegen Problemen wird der EPR nicht nur immer teurer, auch die Inbetriebnahme wird immer wieder verschoben. Eigentlich sollte er schon seit gut zwei Jahren Strom liefern. Im finnischen Olkiluoto sollte der EPR eigentlich schon seit 2009 am Netz Strom liefern, für dessen Inbetriebnahme wird nun 2018 angepeilt.

Bleibt das Gesetz so, kann der Atomstromanteil in Frankreich also sogar noch wachsen. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass Hollande sein Versprechen einhalten kann. Die Umsetzung hat er ohnehin schon um ein Jahr verschoben. Am Montag erklärte er in Paris, die Meiler würden zum Ende der fünfjährigen Legislaturperiode 2017 geschlossen.

Doch daran zweifelt auch seine neue Umweltministerin. Ségolène Royal ist nicht mehr so kategorisch wie die von Hollande geschasste Vorgängerin Delphine Batho. Sie spricht nur noch davon, dass "zwei Reaktoren die abgeschaltet werden, wenn zwei Reaktoren angeschaltet werden". Sie legt sich aber nicht mehr wie früher auf Fessenheim fest. Sprach sie sich einst auch für einen langfristigen Atomausstieg aus, so tritt sie mit Blick auf den geplanten französischen Exportschlager EPR nun für den "Aufbau einer neuen Generation von Reaktoren" ein. Sie will auch nichts mehr von einer Laufzeitbegrenzung auf 40 Jahre für Atomkraftwerke. Die will der Energieriese EDF auf 60 Jahre ausweiten.

Und im Chor mit dem neuen EDF‑Chef Jean‑Bernard Lévy sagte Royal kürzlich, dass auch andere Reaktoren als die in Fessenheim für eine Abschaltung in Frage kämen. Längst wird auch darüber debattiert, in Fessenheim nur einen Meiler zu schließen, um ein klein wenig das Wahlversprechen einzuhalten. Damit würden zudem nicht alle Arbeitsplätze im Elsass verloren gehen. Das hat auch damit zu tun, dass EDF in den letzten Jahren für Nachbesserungen 500 Millionen Euro in die Uraltreaktor gesteckt hat. Und nun erklärt der EDF-Chef, auch mit Blick auf mögliche Entschädigungsforderungen an die Regierung, man habe angeboten, statt Fessenheim ein anderes Atomkraftwerk zu schließen. Er behauptet auch, dass auf "Bitte der Regierung" nun nach "alternative Lösungen" gesucht werde.

Doch die Atomenergiefrage ist nicht die einzige Rolle rückwärts, die sich Frankreich gerade unter dem Stichwort Energiewende leistet. Weil am Atomstrom festgehalten werden soll, werfen die Senatoren mit den Gesetzesänderungen den Windstromproduzenten Knüppel zwischen die Beine. So wurde am Dienstag der Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohnhäusern von 500 auf 1000 Meter verdoppelt. Damit scheiden nach Angaben der Anlagenhersteller etwa 85% des gesamten Landes als Standorte für Windkraftanlagen aus.

So ist es kein Wunder, dass in Frankreich davon gesprochen wird, dass das ohnehin wenig ambitionierte Gesetz seiner Inhalte "entleert" wurde. France Info zitiert auch Umweltschützer, die hoffen, dass dieses Gesetz eher scheitert, als auf dieser Basis zu einem faulen Kompromiss auszuarbeiten. Eigentlich kann die Nationalversammlung den Senat wieder überstimmen. Dass die Sozialisten die bisherigen Ziele wieder in das Gesetz schreiben, wird angesichts einer gebeutelten und zerstrittenen Partei eher als gering eingeschätzt.