"Kreativität braucht Isolation"

In einem bisher unveröffentlichten Essay von 1959 beschreibt der berühmte Science-Fiction-Autor Isaac Asimov, wie sich Kreativität anregen lässt.

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  • Isaac Asimov
Inhaltsverzeichnis

In einem bisher unveröffentlichten Essay von 1959 beschreibt der berühmte Science-Fiction-Autor Isaac Asimov, wie sich Kreativität anregen lässt.

1959 wurde der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov von seinem Freund Arthur Obermayer als externer Berater zu einem Projekt der US-Regierung eingeladen. Es ging darum, kreative Konzepte für ein Raketenabwehrsystem zu entwickeln. Asimov kam zu einigen Sitzungen, entschied sich dann aber gegen eine Mitarbeit, weil er keinen Zugriff auf geheime Informationen haben wollte – das hätte seine Redefreiheit eingeschränkt. Vor seinem Abschied schrieb er als einzigen offiziellen Beitrag diese Abhandlung. Sie blieb unveröffentlicht, bis Obermayer sie vor Kurzem beim Aufräumen alter Akten wiederentdeckte.

Worin auch immer der Prozess der Kreativität genau bestehen mag, er ist in allen Bereichen im Wesentlichen derselbe. Ob also eine neue Kunstform, ein neues Gerät oder ein neues wissenschaftliches Prinzip erschaffen wird, immer sind ähnliche Faktoren im Spiel.

Um das Phänomen zu verstehen, kann man sich anschauen, wie die großen Ideen der Vergangenheit entstanden sind. Leider aber ist den Erschaffenden selbst niemals klar, mit welcher Methode sie vorgegangen sind.

Was aber, wenn zwei Personen gleichzeitig und unabhängig voneinander auf dieselbe bahnbrechende Idee kommen? Ihre Gemeinsamkeiten könnten sehr erhellend sein. Nehmen wir die Theorie der Evolution durch natürliche Selektion, unabhängig voneinander erdacht von Charles Darwin und Alfred Wallace.

Gemeinsamkeiten gibt es hier reichlich. Beide Männer reisten an weit entfernte Orte und beobachteten, wie sich seltsame Pflanzen und Tiere von Ort zu Ort unterschieden. Beide waren überaus interessiert daran, Erklärungen dafür zu finden – und beide kamen dabei nicht weiter, bis sie den "Essay on Population" von Thomas Robert Malthus lasen. Dann erkannten beide, dass sich das Konzept von Überbevölkerung und Auslese (das Malthus auf die Menschen angewandt hatte) auch auf die Evolution durch natürliche Selektion übertragen ließ – und zwar bei allen Arten.

Was offensichtlich also gebraucht wird, sind nicht nur Menschen mit solidem Fachwissen, sondern auch Menschen, die einen verborgenen Zusammenhang zwischen Information 1 und Information 2 erkennen können. Ohne Zweifel haben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr viele Naturforscher versucht herauszufinden, wie es zu Unterschieden innerhalb der Arten kommt. Und sehr viele Menschen haben Malthus gelesen. Manche haben auch beides getan. Was aber gebraucht wurde, war jemand, der Arten untersuchte, Malthus las und Querverbindungen erkennen konnte. Wenn die Querverbindung erst einmal erkannt ist, scheint sie offensichtlich. Nach der Lektüre von Darwins "On the Origin of Species" soll Thomas H. Huxley ausgerufen haben: "Wie dumm von mir, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin!"

Aber warum ist er nicht darauf gekommen? Die Geschichte des menschlichen Denkens zeigt, wie schwierig es ist, auf eine neue Idee zu kommen, selbst wenn alle nötigen Fakten auf dem Tisch liegen. Eine Querverbindung herzustellen erfordert eine gewisse Verwegenheit. Andernfalls wäre sie bereits von vielen anderen gesehen worden und wäre somit keine neue Idee mehr, sondern bloß die logische Folge einer alten Idee. Eine neue Idee wird erst später als vernünftig empfunden. Anfangs wirkt sie meist irrational. So schien es wie der Gipfel der Irrationalität, anzunehmen, dass die Erde rund ist, sich um die Sonne bewegt und so weiter.

Wer bereit ist, Vernunft, Autoritäten und gesundem Menschenverstand ins Gesicht zu lachen, muss großes Selbstbewusstsein haben. Weil so etwas selten ist, dürfte eine solche Person außerdem (zumindest in dieser Hinsicht) auf den Rest von uns exzentrisch wirken. Und wer in einer Hinsicht exzentrisch ist, ist es häufig auch in anderen.

Daraus lässt sich ableiten: Eine Person wird am ehesten dann auf neue Ideen kommen, wenn sie solides Wissen in einem bestimmten Gebiet hat und sich durch unkonventionelle Angewohnheiten auszeichnet. (Einfach ein Spinner zu sein reicht allerdings nicht aus.)

Hat man die geeigneten Menschen gefunden, lautet die nächste Frage: Sollte man sie zusammenbringen, damit sie das Problem untereinander besprechen, oder sollte man jeden Einzelnen isoliert an einer Lösung arbeiten lassen? Mein Gefühl ist, dass Kreativität Isolation erfordert. Eine kreative Person ist ohnehin die ganze Zeit mit einem Problem beschäftigt. Im Geist geht sie die vorliegenden Informationen ständig durch, auch wenn es ihr nicht bewusst ist. (Ein berühmtes Beispiel dafür ist August Kekulé, dem die Formel für Benzol im Schlaf kam.)

Die Anwesenheit anderer kann diesen Prozess nur stören, denn Kreativität ist auch peinlich. Auf jede gute neue Idee kommen 100 oder 10000 blöde, die man natürlich lieber für sich behalten möchte.

Trotzdem kann ein Zusammentreffen kreativer Menschen Vorteile haben, wenn auch nicht für den Akt der Kreativität selbst. Keine zwei Personen haben jemals exakt dasselbe im Kopf. Die eine mag A wissen, aber nicht B, eine andere B, aber nicht A. Beide könnten zwar auch allein auf die richtige Spur kommen – aber womöglich nicht so bald.