Terror- und Flüchtlingsabwehr im Vordergrund der Mittelmeerunion

Ein neuer Anlauf nach acht Jahren und dem Zerfall von Anrainerstaaten wie Syrien und Libyen

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Unter dem Eindruck islamistischer Anschläge auch in Europa – von Paris bis Kopenhagen – und der Ausweitung der Bedrohung durch Terrormilizen des "Islamischen Staates" (IS) kam am Montag in Barcelona die Gruppe der Mittelmeeranrainer zusammen. Vor acht Jahren wurde diese Mittelmeerunion gestartet, schlief aber schnell wieder ein. Eigentlich wollte die EU seit 2008 mit den acht Anrainern - von Ägypten im Osten bis Marokko im Westen – eng kooperieren.

Das Treffen der Außenminister verdeutlichte, dass es erst einer massiven Bedrohung bedurfte, um die Idee aufzuwärmen. So sprach der spanische Regierungschef vom IS als "größte Bedrohung der EU". Dabei hatte er auch die zerfallenden Staaten Syrien und Libyen im Blick, die nicht erneut eingeladen wurden, deren Flüchtlinge aber nun an den Grenzen auftauchen und zurückgetrieben werden.

Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, deren italienische Heimat und Spanien hinter der Initiative standen, stellte Sicherheitsfragen in den Vordergrund, auch wenn sie erneut eine angeblich geplante engere Kooperation auf wirtschaftlicher, kultureller und politischer Ebene aufwärmte, mit der die Mittelmeerunion einst angepriesen wurde: "Alle Länder in der Region sehen sich einer angespannten Sicherheitslage ausgesetzt, die sich durch mehrere bewaffnete Konflikte, vor allem in Syrien und Libyen, weiter verschlechtert hat", sagte sie. Man müsse zusammenarbeiten, weil man "weltweit die meisten Probleme hat". Damit meinte Mogherini auch Flüchtlinge, die von Italien und Spanien ebenfalls vor allem als Bedrohung angesehen werden. Bisweilen endet das Vorgehen der Guardia Civil tödlich für die, die Grenzen zu den Exklaven Melilla und Ceuta zu überwinden versuchen, was sogar die EU-Kommission empört.

Unkonkret versprach Mogherini nun jährliche Gruppentreffen und man darf gespannt sein, was daraus wird. Dazu solle nun ein "interreligöser Dialog" angestoßen werden. Spanien schlug zudem vor, ein internationales Tribunal für Extremismusfälle zu schaffen, um "sehr wichtigen Länder" einbinden zu können, die den Internationalen Strafgerichtshof (CPI) in Den Haag wie die USA, China und Israel ablehnen. Das erstaunt, denn es war gerade die konservative spanische Regierung, die angesichts des Drucks aus China, den USA und Israel eingeknickt ist, nachdem spanische Richter Ermittlungen aufgenommen hatten. Extra wurde dafür die universelle Gerichtsbarkeit geschleift. Spanische Richter dürfen gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur noch ermitteln, wenn auch Spanier betroffen waren.

Marokko im Visier

Aber ohne es zu sagen, schielte Spanien bei dem Vorstoß auch auf Marokko. Auch das autoritäre Königreich untersteht nicht dem CPI, weil es den entsprechenden Vertrag bisher nicht ratifiziert hat. Nun soll also auch für Marokko ein Instrument geschaffen werden, dass das Vorgehen auf internationaler Ebene gegen Terroristen ermöglicht, aber gleichzeitig die regierungsoffiziellen Verbrecher schützt. Denn Marokko muss selbst eine CPI-Anklage fürchten.

So war das Treffen in Barcelona auch davon überschattet, dass der spanische Ermittlungsrichter Pablo Ruz gerade elf hochrangige Vertreter des Landes wegen "Völkermord" anklagt und sieben internationale Haftbefehle ausgestellt hat. Die Klage konnte nicht über die Reform der universellen Gerichtsbarkeit wie viele andere ausgehebelt haben, da die Betroffenen aus der ehemaligen Kolonie spanische Pässe hatten. Denn es geht um Vorgänge, nachdem Spanien seine ehemalige Kolonie 1975 nach dem Tod des Diktators Franco fluchtartig verlassen hat und die Westsahara schließlich von Marokko völkerrechtswidrig besetzt wurde.

Die Verbrechen von Militär und Polizei hätten sich allein gegen die Saharauis gerichtet. Die würden "verfolgt, weil sie die Ursprungsbevölkerung des Gebiets sind", schreibt der Richter des Nationalen Gerichtshof und bezieht sich auf Vorgänge bis 1992. Das "Ziel sei ihre Vernichtung über Ermordung, Verschwindenlassen oder auch durch Inhaftierung über lange Zeit", begründet er die Völkermordanschuldigung. Er nennt auch Massenerschießungen, Napalm-Bombardierungen und Folter, bei der Saharauis auch bei lebendigem Leib verbrannt worden seien, wie es heute auch der IS tut.

Marokko hält diese Vorwürfe trotz gefundener Massengräber "absurd". Dabei geht das Regime weiter mit extremer Gewalt gegen die Saharauis vor, wie das Vorgehen gegen ein Protestlager 2010 zeigten, das schlicht niedergebrannt wurde und die harten Strafen für die Aktivsten danach. Das Land verhindert seit 1991 weiter die Durchführung des Referendums über die Unabhängigkeit der Westsahara, die eine UNO-Mission zu überwachen versucht. Marokko wehrt sich sogar weiter dagegen, dass die Mission auch die Lage der Menschenrechte in der letzten Kolonie Afrikas überwachen kann.