Wenn Ausländer die Behörden stressen

Während nach den Massensterben von Geflüchteten im Mittelmeer die Betroffenheit scheinbar groß ist, wird die Ablehnungskultur gegen die Menschen weiter praktiziert

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In der letzten Woche war die Betroffenheit über die fast 1.000 toten Flüchtlinge im Mittelmeer zumindest in linksliberalen Kreisen groß. Das konnte man an den Titelseiten der Taz der letzten Woche ablesen. Da fand sich eine Todesanzeige mit einem Bibelspruch, der durchaus zu kritischen Leserreaktionen anregte. Denn, warum sind denn Geflüchtete nur die geringsten der Brüder?

Ein anderes Titelbild der letzten Woche brachte ein Bild, in dem sämtliche Weltpolitiker, die sich nach den Anschlägen in Paris einige Meter vor den Massen fotografieren ließen, in ein kleines Boot im Mittelmeer montiert waren. Bei soviel Betroffenheit überrascht es dann doch, auf der Berlin-Seite der Taz einen Artikel mit der Überschrift "Ausländer überfordern Behörden" zu finden.

Die Kernaussage des Artikels lautet, dass die Ausländerbehörden mit zu wenig Personal ausgestattet sind und deshalb ihren Aufgaben nicht zeitgerecht nachkommen können. Schon mehrere Wochen kritisieren Flüchtlingsgruppen, dass Asylsuchende teilweise über mehrere Wochen ohne jegliche Unterstützung und Betreuung auskommen müssen.

Nun wäre da eigentlich die richtige Überschrift doch eher gewesen, Ausländerbehörden kommen ihren Aufgaben nicht nach, was die Geflüchteten auszubaden haben. Dass sie nun auch im Taz-Titel zum Subjekt der Störung werden, überrascht dann doch. Zudem wird nicht über die Strapazen und den zusätzlichen Stress berichtet, den die Geflüchteten durch den behördlichen Notstand haben. Vielmehr wird berichtet, dass die Flüchtlinge davon Vorteile haben.

Ärger, weil Geflüchtete nicht so oft zu den Behörden müssen

Weil die Mitarbeiter dem Ansturm von Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderen Migranten nicht mehr gewachsen sind, stellen sie offenbar seit Jahresbeginn Aufenthaltsgenehmigungen und Duldungen für einen längeren Zeitraum aus, als gesetzlich vorgesehen ist – damit die Betreffenden nicht so schnell wiederkommen müssen. Zudem wird bei Ausländern, die einen Antrag auf Niederlassungserlaubnis stellen, nicht mehr die obligate Anfrage an die Sicherheitsbehörden gestellt, ob die Antragsteller als Straftäter oder Extremisten bekannt sind.

Der Tenor des Artikels ist nicht verwunderlich, wenn man erfährt, dass der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Steve Feldmann, wesentlich an dem Lamento beteiligt ist, wonach Geflüchtete die Ämter stressen. Nun hätte ein Blick auf einen anderen Artikel vom selben Tag genügt, um zu erfahren, dass der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt die GDP eben wegen jenes Steve Feldmann und seiner politischen Vergangenheit in rechtspopulistischen Organisationen verlassen hat.

Der jetzige Pressesprecher der GDP steht deswegen seit Wochen in der Kritik. Selbst der linken Tendenzen gänzlich unverdächtige Berliner Kurier sparte nicht mit Kritik:

Die rechte Vergangenheit von Kriminalkommissar Steve Feldmann kam jetzt in einem Gerichts-Prozess an den Tag. Der "Bund freier Bürger" war seine politische Heimat. Er war Kreisvorsitzender Marzahn-Hellersdorf der Partei, die bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2000 unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand.

Im Anschluss versuchte Steve Feldmann, der bis zu seiner Heirat Schwittek hieß, eine Polit-Karriere als Bundesvorsitzender der rechtsorientierten Freiheitlichen Jugend (FJ), bis 2009. "In der Funktion nahm er an einer Demo gegen das Holocaust-Denkmal teil, das belegen Fotos“, heißt in einem Bericht des Kurier.

Feldmanns Vorgängerin als GdP-Sprecherin war Silvia Brinkhus. Ihr wurde gekündigt, weil sie eine Distanzierung von Feldmann forderte. Der war in die Kritik geraten, weil er in einem RBB-Gespräch am 17.April 2014 polnische Arbeiter als "alternative Spargelstecher" bezeichnete. Brinkhaus wurde gekündigt, Feldmann wurde ihr Nachfolger als Pressesprecher und hat es, wie der erwähnte Taz-Artikel zeigt, geschafft, rechtspopulistische Töne in den Diskurs um überlastete Ausländerbehörden zu bringen.

Nicht ihre mangelnde Ausstattung, sondern der Stress, der von den Hilfesuchenden ausgeht, steht im Mittelpunkt der Berichterstattung. Das ist nun nicht eine besondere Leistung eines rechten Marsches durch die Institutionen. Es zeigt vielmehr, wie nahe Positionen der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu rechtspopulistischen Erklärungsansätzen liegen. Ein GDP-Pressesprecher, der offene Grenzen in seinen Erklärungen fordern würde, wäre schlicht undenkbar.

Daher traf es auch nicht auf große Empörung als bekannt wurde, dass der Arzt Rainer Lerche in Berlin als Gutachter von Abschiebekandidaten auch persönlich profitiert hat. Nicht nur für Gutachten, sondern auch für die Abschiebebegleitung von kranken Menschen wurde Lerche bezahlt. Die Berliner Zeitung sprach von Gefälligkeitsgutachten des Rainer Lerche.

Ein Berliner Gericht erklärte eine durch Lerche begutachtete Abschiebung in die Türkei für rechtswidrig. Doch die betroffene Frau darf trotzdem nicht nach Deutschland zurück. Die Berliner CDU verweist auf Straftaten, die die Frau verübt haben soll. Dass sie wie deutsche Staatsbürger dafür bestraft, aber nicht ausgewiesen werden soll, wäre ein bürgerrechtlicher Ansatz, der allerdings trotz aller Empörung über die Toten im Mittelmeer hierzulande nicht mehrheitsfähig ist.

Flüchtlinge abschrecken, statt willkommen heißen

Im Gegenteil geht es führenden Politikern der Union, aber auch der SPD, darum, gerade keine Willkommenskultur für Geflüchtete aufkommen zu lassen. Denn das, so die konservative Begründung, würde sich womöglich in den afrikanischen oder asiatischen Ländern rumsprechen und mehr Menschen zur Migration ermutigen.

Dann aber würden sich noch mehr Menschen in die Gefahr einer Überfahrt in Flüchtlingsschiffen begeben und die Gefahr, dass noch mehr Geflüchtete umkommen sei groß. Dagegen steht das Konzept, den Menschen die Migration so unattraktiv zu machen, dass sie gar nicht auf den Gedanken kommen, in Europa ein besseres Leben zu erhoffen

Schon in den 1990er Jahren haben führende Unionspolitiker offen erklärt, es müsse sich bis in das kleinste afrikanische Dorf herumsprechen, dass sie in Deutschland nicht willkommen sind. Diese Ansage war ehrlicher als die Sonntagsreden über eine deutsche Willkommenskultur.

Elke Schmidt von der Antirassistischen Initiative Berlin hat in der Pressemitteilung zur gerade bis Ende 2014 aktualisierte Dokumentation "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen" die Folge der Abschreckungspolitik gut zusammengefasst:

"Es sind nicht nur die restriktiven Rahmenbedingungen, die die bundesdeutschen Asylgesetze vorgeben. Es sind auch die Mitarbeiter der Ämter, der Polizei, der Abschiebegefängnisse, die oft mit Allmachtgebaren, Willkür, Schikanen, Rechtsbruch und purer Gewalt gegen die Schutzsuchenden vorgehen“, zieht Schmidt ihr Resümee ihrer mehr als zwei Jahrzehnten dauernden Recherchearbeit über Gewalt gegen Geflüchtete in Deutschland.