Münkler-Watch: Neue Form studentischen Protestes?

In Berlin befassen sich Kommilitonen kritisch mit dem Wirken eines Professors und werden von diesem heftig gescholten

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Eigentlich müssten sich doch Dozenten und Professoren über Studierende freuen, die ihre Vorlesungen nicht nur genau verfolgen, sondern sie auch transkribieren, der Öffentlichkeit zugänglich machen und kritisch diskutieren. Doch dem Sozialwissenschaftler Herfried Münkler ist so viel kritische Beobachtung von interessierten Kommilitonen höchst suspekt. Sie haben einen Blog eingerichtet, auf dem sie die Lehrveranstaltungen Münklers nicht nur dokumentieren, sondern auch kommentieren.

Der Professor steht spätestens nach seinem Büchern "Neue Kriege" und "Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten" als Propagandist eines modernes Militarismus immer wieder in der Kritik. Auch Münklers Kritik an US-Whistleblower Assange stieß häufig auf Unverständnis und Ablehnung.

Erbärmlich und feige?

Im Münkler-Watch gehen die Kommilitonen nun genauer auf die Vorlesungen des umstrittenen Professors ein. So habe er in seinen "Einführung in die Politische Theorie und Ideengeschichte" deutlich gemacht, dass er sich keinen Diskurs mit Studierenden wünsche. Fragen werde er nicht zulassen, dazu seien die Grundkurse da: "Ich muss hier ein Programm durchziehen!"

Damit wird ein Wesensmerkmal der Wissensfabrik Universität in Zeiten von Bachelor- und Masterstudiengängen deutlich. Die Kommilitonen sollen mit Wissensmodulen abgefüllt werden. Kritische Diskussion wird als Störung empfunden.

Dass die kritischen Kommilitonen durchaus nicht nur Negatives an den Vorlesungen Münklers suchen, zeigen ihre Kommentare zu einer Vorlesung zu Nation und Staat: "Kaum Rassismus, kaum Sexismus, eine kritische Distanz zu Eurozentrismus und jede Menge Anknüpfpunkte für emanzipatorisches Handeln. Fast liest sich Münkler als Theoretiker der Subversion." Auch die Reaktionen Münklers auf das Blog fließen dort wiederum ein:


"In der Vorlesung zu 'Verfassungsmodell und Verfassungsnormen' kritisiert der Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie an der HU, Prof. Dr. Herfried Münkler, das studentische Projekt "Münkler-Watch" u.a. als "erbärmlich" und "feige". Zudem sieht er bei den Blog-Betreuenden eine Nähe zu den Methoden des NSA. Es ist schon merkwürdig, dass ein Professor, der kritische Fragen von Studierenden bei seinen Vorstellungen nicht wünscht, erstaunt ist, dass die Auseinandersetzung an anderer Stelle geführt wird."

Aus Angst vor Repression anonym

Die anonymen Blog-Verantwortlichen begründen erst sehr vage, warum sie nicht namentlich auftreten. Danach wird die Entscheidung der Anonymität schon verständlicher:

"Wir stehen zusammen mit Euch allen am untersten Ende der akademischen Hierarchie. Von hier möchten wir alle einen Abschluss, einen Job und uns den Zugang zu Einkommen wahren. Wir möchten eine Zukunft mit unseren Kindern und Wohnraum und so weiter, um das hier entworfene Gedankenkonstrukt zu reproduzieren, damit unsere Nachkommen dies weiter kultivieren können. Ihr kennt das ja…Leider zeigen jüngste Entwicklungen im online- und offline-Datenschutz, dass das nicht mehr so einfach sein wird. Potentielle Arbeitgeber_innen würden unsere Namen recherchieren können und dabei feststellen, dass wir in unserer Studienzeit kritische Diskurse organisiert haben – Heutzutage ist das Vertreten einer Meinung leider nicht sehr karrierefördernd."

Diese hier formulierten durchaus berechtigten Ängste zeigen den Druck an, der auf kritische Studierenden heute lastet. Schließlich schaffte es die Kritische Uni Rostock, die durchaus Ähnlichkeiten mit dem Projekt in Berlin hat, sogar in den Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg Vorpommern. Auch diese Initiative befasste sich kritisch mit dem universitären und politischen Agieren der Dozenten. In Dresden beschäftigte sich eine studentische Initiative mit dem universitären und politischen Wirken des umtriebigen Professors WernerPatzelt.

Insofern könnten auch die Kommilitonen, die jetzt auch Münkler kritisch unter die Lupe nehmen,Beispiele für eine neue Form des Studierendenprotestes mit den heute möglichen technischen Mitteln sein. Seit Jahren gab es keine größere Studierendenbewegung mehr, was auch die Räume zum Diskutieren und Ausbrechen aus dem Korsett einer Lernfabrik mindert. Proteste haben solche Räume oft erst geschaffen - und sei es auch ganz praktisch durch die Besetzung von universitären Räumen. Da in den Vorlesungen, wie das Beispiel Münkler zeigt, solche Diskussionen ebenfalls nicht erwünscht sind, suchen die wenigen kritischen Kommilitonen neue Formen der kritischen Debatte, an denen auch Nichtstudierende partizipieren können. Die Professoren werden sich daran wohl gewöhnen müssen.