Bundesregierung will nicht mehr über EU-Politik informieren

Abgeordnete der Linken klagen über Blockade und sprechen von rechtswidrigem Verhalten, das Grundgesetz verlangt umfassende und frühestmögliche Unterrichtung

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Inmitten der Affäre um mutmaßliche Falschinformationen der Bundesregierung über die Spionagetätigkeiten des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland droht ihr nun neuer Ärger: Nach Ansicht der Opposition verletzt die Bundesregierung auch an anderer Stelle ihre Informationspflichten gegenüber dem Bundestag. In einem immer größeren Maße würden Abgeordneten Informationen über EU-Angelegenheiten verweigert, heißt es aus mehreren Büros der Linksfraktion. Dies betreffe Informationen über Lateinamerika, Afghanistan und auch den Umgang mit der Flüchtlingskrise im Mittelmeer.

Die mutmaßlichen Rechtsverstöße der Bundesregierung wurden in dieser Woche nach Informationen von Telepolis in Ausschusssitzungen und Gesprächen der Obleute der Fraktionen thematisiert. Dabei sei deutlich geworden, dass die Informationsblockade der Regierung nicht nur die Linken betrifft, berichteten Teilnehmer. Auch Vertreter anderer Fraktionen und die Bundestagsverwaltung haben offenbar ein Problem mit der mangelhaften Transparenz in der deutschen EU-Politik.

"Die Bundesregierung verstößt in zunehmendem Maße gegen das Recht des Bundestags, an politischen Abläufen der Europäischen Union teilzuhaben", kritisierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht. Ihre Fraktion habe in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Abgeordneten angeforderte Informationen vorenthalten wurden. Teilweise sei dies von der Bundesregierung "laienhaft" begründet worden. Die Linksfraktion werde "umso mehr auf das Informationsrecht des Bundestags bestehen, um die Prinzipien von Transparenz und Demokratie zu schützen", so Wagenknecht zur Informationspraxis der Bundesregierung.

Was zunächst wie ein gewöhnliches parlamentarisches Geplänkel wirkt, birgt politisches Konfliktpotential. Immerhin geht es bei der Ausgrenzung des Parlaments nicht um nebensächliche Themen, sondern unter anderem um Handelsverträge, internationale Abkommen und etwaige Militäreinsätze. Weil immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verschoben werden, regelt bereits das Grundgesetz das Informations- und Mitbestimmungsrecht von Bundestag und Bundesrat. So heißt es in dem "Europaartikel" des Grundgesetzes: "In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit." Die Bundesregierung habe Bundestag und Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

Konkreter noch wird das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in EU-Angelegenheiten (EUZBBG). Die Bundesregierung muss den Bundestag demnach "in Angelegenheiten der Europäischen Union umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend" unterrichten. Diese Information erfolge grundsätzlich schriftlich durch die Weiterleitung von Dokumenten oder die Abgabe von eigenen Berichten der Bundesregierung.

An sich ist die Situation also rechtlich geklärt. Aber die parlamentarische Realität in Zeiten einer ohnehin übermächtigen Großen Koalition sieht anders aus. Das betrifft etwa die Sitzungen der der Eurogruppe zu Griechenland. So weigerte sich das Finanzministerium, einen Brief des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis so rechtzeitig vorzulegen, dass die Bundestagsabgeordneten die Position hätten zur Kenntnis nehmen können. Das Kanzleramt weigerte sich indes unter Verweis auf die Vertraulichkeit der Korrespondenz von Angela Merkel, dem Bundestag einen Brief des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras von Mitte März zuzuleiten. Darin kritisierte der linke Regierungschef unter anderem die Politik der Europäischen Zentralbank.

Dabei ist die Vertraulichkeit der Information kein Grund, die Auskunft zu verweigern: Der Bundestag verfügt über eine Geheimschutzstelle mit reglementiertem Zugang. Verweigert wurden aber auch Dokumente über die EU-Politik gegenüber lateinamerikanischen Staaten oder das Krisenmanagement-Konzept der EU in Libyen. Teilweise war die Presse besser informiert als die Abgeordneten des Bundestags.

Hinter den Kulissen sorgt die Häufung der Fälle nun für erheblichen Unmut. Nicht nur Linke, sondern auch Vertreter der Grünen und der Regierungsfraktionen sind offenbar bereit, auf die Rechte des Parlaments zu pochen. Experten sehen dafür zwei Wege: Entweder können die Abgeordneten selbst das EUZBBG verändern sowie deutlicher formulieren und die Bundesregierung damit zur Herausgabe von Informationen zwingen. Oder, und diese Option stellt sich vor allem für die beiden Oppositionsfraktionen, man strengt eine sogenannte Organklage gegen die Bundesregierung an. Schlichtende Gespräche zwischen Vertretern der Fraktionen, der Bundestagsverwaltung und der Regierung sind bisher jedenfalls gescheitert.
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