IWF: Rezepte für ein Desaster in Spanien

Höhere Steuern, billigere Kündigungen und private Zuzahlungen bei Bildung und Gesundheit sollen das Land aus der Krise führen

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Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte für Spanien eine positive Botschaft. Eigentlich gibt der Fonds keine neuen Wachstumsprognosen nach den Besuchen seiner Prüfer ab. Doch in diesem Fall korrigierte er die bisherige Prognose hinauf.

Er glaubt nun, die spanische Wirtschaft werde im laufenden Jahr um 3,1% wachsen und 2016 um 2,5%. Damit versüßt er optimistische Prognosen der konservativen Regierung vor den Wahlen im kommenden Herbst, nachdem sich die Regierung gerade bei den Regional- und Kommunalwahlen eine blutige Nase geholt hat. Angesichts der Tatsache, dass die regierende Volkspartei (PP) praktisch alle Regionen verloren hat, befürchtet der IWF wegen einer deutlich gestärkten Linken, dass die Konservativen vor den Wahlen umsteuern könnten.

Als hätten die bisherigen Empfehlungen positive Wirkungen gezeigt, die auch Spanien von der Troika unter IWF-Mitwirkung im Rahmen der Bankenrettung aufgezwungen wurden, sollen sie sogar weiter verschärft werden. Mit Arbeitsmarktreformen wurde der Kündigungsschutz längst praktisch beseitigt und Abfindungen deutlich verbilligt. Damit fehlt den Menschen, angesichts fehlender Sozialhilfe, das Geld schnell, wenn das Arbeitslosengeld nach spätestens zwei Jahren ausläuft. Auch deshalb ist in der Krise seit 2008 die Zahl der Zwangsräumungen explodiert.

Es ist klar, dass der fragwürdige Export-Aufschwung nicht bei den Familien ankommt. Er beruht auch in Spanien nicht auf einer Stärkung der Wirtschaft, sondern vor allem darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) offen in einen Währungskrieg eingestiegen ist und die Zinsen und den Euro-Kurs heruntergeprügelt hat.

Dazu kommt als externer Faktor das billige Öl, das Waren zusätzlich billiger macht. Weil viele vom Wachstum nichts spüren, bekam die regierende PP die rote Karte dafür, dass die Arbeitslosenquote zuletzt sogar auf knapp 24% gestiegen ist. Sie liegt nur in Griechenland noch höher.

Riesige Löcher im spanischen Sozialsystem sorgen dafür, dass 3,8 Millionen Arbeitslose keine staatliche Unterstützung mehr erhalten. Nach Angaben der spanischen Statistiker bekommen nur noch 36% Arbeitslosen- oder das auf sechs Monate befristete Sozialgeld.

Hatten die Konservativen mit der Arbeitsmarktreform eine Belebung des Arbeitsmarkts und einen Abbau der zahllosen Zeitverträge (oft nur für Stunden) propagiert, hat sich real nichts geändert. Im Mai wurden nur 7,9% aller Verträge unbefristet geschlossen. 25% der in den ersten vier Monaten des Jahres unterzeichneten Verträge waren auf höchstens eine Woche limitiert.

Statt einer Revision dieses Wegs, kennt der IWF nur eine Richtung. Daran ändert auch nichts, dass er bisweilen Krokodilstränen wegen der massiven Ausbreitung der Verarmung in Europa oder anderen Problemen vergießt, die Ergebnisse seiner Rezepte sind. Die zeigten nur deshalb keinen durchschlagenden Erfolg, weil sie zu zaghaft umgesetzt würden, meint der IWF.

Das ist das Resümee, das die IWF-Vertreter Helge Berger und Sebastián Sosa gestern praktisch in Madrid gezogen haben. So ist es auch kein Wunder, dass der IWF nun fordert, Abfindungen in Spanien noch weiter zu senken, da sie eine Behinderung für Festanstellungen sein sollen. Schön ist schon fast, wie offen sie angesichts schon deregulierter Arbeitsbedingungen für eine weitere Absenkung argumentieren:

Die Kosten für die Kündigung bei Festverträgen ist weiterhin zu hoch im Vergleich zu Zeitverträgen.

Es gelte nun, diesen Unterschied abzubauen, obwohl die Abfindungen schon halbiert wurden. Das zielt, wie andere IWF-Forderungen, auf weiteres Lohndumping ab. Stammbelegschaften sollen noch billiger gekündigt werden, um billig neue Beschäftigte unter schlechteren Bedingungen verdingen zu können. "Juristische und gesetzliche Unwägbarkeiten für Massenentlassungen zu beseitigen", sorgen dafür, "unbefristete Beschäftigung zu fördern", wiederholt der IWF einen seiner Glaubenssätze. Was eine "unbefristete Stelle" wert sein soll, die jederzeit billig gekündigt werden kann, steht zudem auf einem anderen Blatt.

Geringere Lohnkosten sollen Spanien wettbewerbsfähiger machen. Doch wohin will man das treiben? Löhne und Arbeitsbedingungen wie in China, Indien oder Bangladesch, um mit ihnen konkurrieren zu können? Weitere Lohnsenkungen werden vom IWF auch darüber gefordert, dass Unternehmen sich noch einfacher aus Rahmentarifverträgen ausklinken können, um Verhandlungen über Löhne und Bedingungen mit den Betriebsräten direkt führen zu können, auf die sie einfacher Druck ausüben können.

In Spanien, wo immer weniger Menschen noch von ihrem Lohn - der Mindestlohn beträgt 650€ - leben können, zielt das alles weiter darauf, die Abwärtsspirale anzutreiben, die sich natürlich auch auf direkte Konkurrenten wie Portugal, Griechenland… auswirken. Nebenbei sollen aber auch Steuern und Abgaben für die breite Masse erhöht werden.

Ganz oben steht da die IWF-Forderung nach Anhebung der Mehrwertsteuer, für die im Land nur die neue rechte Partei Ciudadanos (Bürger) eintritt. Den abgesenkten Satz abzuschaffen oder die Liste auszudünnen, sorgt dafür, dass sich Grundnahrungsmittel und Güter zur Grundversorgung stark verteuern, wenn für sie der allgemeine Satz (21%) gilt. Das träfe die einfache Bevölkerung wieder besonders hart und würde den internen Konsum weiter schwächen.

Im Gegenzug fordert der IWF schon lange, das Steuerdumping zu verstärken und Unternehmenssteuern weiter zu senken. Dabei sind die Konservativen den Rufen des IWF längst gefolgt. Steuern für Großunternehmen wurden gesenkt, um wiederum mit Dumpingmodellen in Irland, Portugal… mithalten zu können. Wohin das führt, dürfte genauso klar sein, wie im Fall des Lohndumpings und des Währungskriegs.

Die "Erfolge" sind begrenzt und bestenfalls temporär. Es ist klar, dass dem Staat zunehmend das Geld fehlen wird. Deshalb fordert der IWF auch weitere Einschnitte im Gesundheitssystem und im Bildungssystem. Dem Land wird die Zukunft damit genauso genommen, wie durch die massive Jugendarbeitslosigkeit von 50%, die weiter eine Auswanderungswelle versorgt.

Deshalb sollen private Zuzahlungen im Gesundheits- und im Bildungswesen ausgeweitet werden, weil das Land bisher auch sein Defizit nicht in den Griff bekommt. Die Schulden wachsen weiter, stellt auch der IWF fest. Die sind praktisch nur durch die Nullzinspolitik der EZB bezahlbar.

Zu eklatanten und sich auswachsenden Problemen im Land, die wie Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung krisenfördernd sind und bis hinauf zum Ministerpräsidenten reichen, hört man dagegen nichts vom IWF. Insgesamt, so lässt sich kurz zusammenzufassen, verbreitet er weiter Rezepte für ein Desaster.