Netzneutralität und Datenschutz: EU-Kommission gegen bürgerorientierte Netzpolitik

Die Brüsseler Einigung auf eine Verordnung für einen einheitlichen Telekommunikationsmarkt macht deutlich, wo die neue EU-Kommission in der Netzpolitik ihre Prioritäten legt. Für die Bürger sind die ein Problem, analysiert Christiane Schulzki-Haddouti.

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(Bild: Sébastien Bertrand, CC BY 2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Die EU-Kommissare unter der Führung von Claude Juncker erweisen sich nach und nach als Alptraum für eine bürgerorientierte Netzpolitik. Deutlich wird dies, wenn man die aktuellen Kommissare mit ihren Vorgängern vergleicht: Während Günter Oettinger Kritiker teils ignoriert, teils beschimpft, findet Vera Jourova überhaupt keine Position in Sachen EU-Datenschutzreform.

Kommission, Rat und Parlament haben sich jetzt auf eine Verordnung für einen einheitlichen Telekommunikationsmarkt geeinigt – und von Netzneutralität ist nicht mehr ausdrücklich die Rede. Für Beobachter kommt dies wenig überraschend, denn in den vergangenen Monaten schenkte Kommissar Günter Oettinger ausschließlich den Argumenten der Telekomkonzerne Gehör. So soll es reservierte Bandbreiten für spezielle Zwecke geben.

Eine Analyse von Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti ist seit 1996 als freie Journalistin tätig. Für heise online schreibt sie über Bürgerrechte im Netz, Datenschutz, Cybersicherheit und Netzpolitik.

Oettingers Vorgängerin Neelie Kroes hingegen warb noch offensiv für das "offene Netz", in dem nicht gedrosselt werden darf. Zwar wollte auch sie Überholspuren für Spezialdienste erlauben, doch betonte sie, dass dies nur ausnahmsweise der Fall sein sollte. In der Sache unterschieden sich Oettinger und Kroes bei genauem Hinsehen nur wenig, in der Rhetorik hingegen sehr: Während Kroes noch im Konsultationsprozess die Zivilgesellschaft hörte und sie in kämpferischen Reden umwarb, bemühte sich Oettinger gar nicht mehr um die Kritiker und beschimpfte sie als Taliban.

Konträr zum industriefreundlichen Kurs der Kommission steht das Parlament, das sich in den Trilog-Verhandlungen aber kein Gehör verschaffen konnte. Im Ergebnis ist daher auch keine Rede mehr von der Netzneutralität, die das Parlament vor gut einem Jahr noch ausdrücklich eingefordert hatte. Das Parlament kann jetzt in den nächsten Tagen zwar noch Änderungsanträge einbringen, eine große Kursänderung wäre aber überraschend.

Ein noch ungleich dramatischeres Bild gibt derzeit die EU-Datenschutzreform ab. Während die frühere EU-Kommissarin Viviane Reding berühmt-berüchtigt war für klare Positionierungen, übt sich ihre Nachfolgerin Vera Jourova in der Rolle der aufmunternden Moderatorin. In den Papieren der Ratsverhandlungen finden sich nur gelegentlich die Stellungnahmen der Kommission, öffentliche Positionierungen gibt es keine. Stattdessen jede Menge Wohlfühl-Floskeln. Den Beginn des Trilogs moderierte Jourova lediglich an, statt kritische Punkte zu benennen.

Die frühere Kommissarin Reding setzte beim Datenschutz auf eine klare, starke, bürgerfreundliche Regulierung, die vom Parlament in einigen Punkten aufgeweicht, in anderen aber gestärkt wurde. Nach zwei Jahren Verhandlungen im Rat haben die Mitgliedstaaten davon aber nicht viel übrig gelassen. Unter anderem haben sich die Mitgliedstaaten in 30 wichtigen Punkten vorbehalten, eigene Regelungen zu finden. Von einer einheitlichen Regelung, von der jetzt Jourova und auch Bundesinnenminister Thomas de Maiziére reden, kann keine Rede mehr sein.

Wenn in den Trilog-Verhandlungen die Kommission aber keine eigene Position findet, wird sich letztlich der Rat mit seiner durchlöcherten Reform gegenüber dem Parlament durchsetzen. Traditionell ist nämlich der Rat stärker als das Parlament. Nur wenn die Kommission das Parlament stützt, kann das Ergebnis beeinflusst werden.

Wie prekär die Lage ist, zeigt sich an der Wortmeldung von Viviane Reding, die sie kürzlich im europäischen Nachrichtenportal Euractiv veröffentlichte. Darin kritisiert die konservative Parlamentarierin, dass die Mitgliedstaaten die Regulierung gleich "in mehreren Punkten ihrer Substanz beraubten". Sie spricht dabei ausdrücklich an, dass die Prinzipien der Zweckbindung und der Datensparsamkeit geschwächt wurden. Bei der Profiling-Regelung sieht sie klar eine "rote Linie" überschritten.

Ihre Nachfolgerin Jourova äußert sich zu den Problemlagen überhaupt nicht. "Rote Linien" kenne sie nicht, sie betont allein das, was alle Parteien verbindet. Der Berichterstatter des Parlaments, Jan Philipp Albrecht, "freut" sich deshalb, "dass Viviane Reding noch einmal deutlich macht, was das Kernanliegen dieser Reform ist und an welchen Stellen das Parlament in den nun anstehenden Verhandlungen hart bleiben muss." Wenn Jourova allerdings weiterhin die Moderatorin spielt, steht auch Albrecht auf verlorenem Posten. (mho)