Bundestag rettet Griechenland wieder einmal

Während die außerparlamentarische Linke in Deutschland weiter über Niederlagen diskutiert, wächst im Ausland die Kritik an der deutschen Hegemonie in Europa

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Von Anfang war klar, dass eseine parlamentarische Mehrheit für die Aufnahme neuer Verhandlungen über ein neues Finanzpaket an Griechenland geben würde. Dazu traf sich der Bundestag zu einer Sondersitzung. Tatsächlich bekam das euphemistisch Stabilitätshilfe zugunsten Griechenland gennannte Paket eine Mehrheit von 439 Abgeordneten, 119 stimmten mit Nein und 40 enthielten sich.

Die Frage, wie viele Nein-Stimmen aus dem Regierungslager kamen, beschäftigte dann auch sofort die Kommentare. Schließlich war mit 60 Nein-Stimmen die Zahl der Gegner in der Union deutlich gewachsen. Dabei war allerdings den Gegnern der Vorlage klar, dass die Befürworter in der Mehrheit sind. So ist das Nein vor allem eine Warnung an Griechenland, sich noch mehr dem EU-Diktat zu unterwerfen und keinerlei Kritik mehr zu äußern.

Schon monieren Medien in Deutschland, dass Tsipras zwar das Abkommen im Athen verteidigt hat, aber auch klar machte, dass es eine Erpressung ist. Da fehlte manchen das Maß an innerer Unterwerfung. Daher wird noch immer über eine baldige Ablösung von Tsipras laut nachgedacht. Auch Merkel beflügelte sie in ihrer Rede im Parlament, wo in Frage stellte, ob Griechenland die Kraft habe wird, den von Deutsch-Europa vorgezeichneten Weg weiterzu Ende zu gehen.

Zu den Nein-Stimmen gehörte auch der SPD-Spitzenpolitiker Peer Steinbrück. In seiner Erklärung mischen sich wie bei vielen Grexit-Befürwortern in Deutschland richtige ökonomische Erkenntnisse mit Angriffen auf die griechische Regierung. Aus den Reihen der Grünen Bundestagsfraktion, die sich vehement für ein Halten Griechenlands im Euro aussprach, gab es zahlreiche Enthaltungen.

Gregor Gysi von der Linkspartei gab sich als gelernter Dialektiker. Der führende Linksparteipolitker hätte in Athen dafür gestimmt. In Berlin hat er mit fast der gesamten Linksparteifraktion gegen das neue Paket gestimmt. Nur der Realo Stefan Liebich scherte aus und stimmte für das Paket. Die Vermutung seiner Kritiker, dass er sich noch gerne als sozialdemokratischer Außenminister in Spe sieht, konnte er damit nicht wiederlegen.

Die Linkssozialdemokraten waren sich dieses Mal also fast einig. Doch Gysis Statement birgt Streit im Detail. Er verortet sich in Griechenland auf Seiten des realpolitischen Tsipras-Flügels von Syriza, der bekundet hat, von der EU erpresst worden zu sein und jetzt vehement einem Finanzpaket zustimmt, das nicht nur von einer Mehrheit der griechischen Bevölkerung beim Referendum vor zwei Wochen abgelehnt wurde. Er hält es auch selber sowohl politisch als auch ökonomisch für falsch. Damit ist sich Tsirpas einig mit bekannten Ökonomen von Paul Krugman bis Thomas Picketty, die alle vom Standpunkt der ökonomischen Vernunft argumentierten und die lag nun mal eindeutig bei den Vorschlägen der griechischen Regierung.

"Ein verschuldeter Staat braucht einen Schuldenschnitt"

In der Bundestagsdebatte brachte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Linkspartei Sahra Wagenknecht diese kapitalistische Logik noch einmal auf den Punkt: "Ein verschuldeter Staat braucht nicht neuer Kredite, sondern einen Schuldenschnitt." Diese Forderung ist schon alt und wird von der von vielen NGOs und christlichen Initiativen getragenen Erlassinitiative vertreten, die in London auch die Streichung griechischer Schulden forderte.

In Berlin gab es auch kleinere Proteste einer wesentlich durch das vom Blockupy-Bündnis getragenen außerparlamentarischen Griechenland-Solidarität. Bereits am vergangenen Mittwoch zogen ca. 1500 Menschen zum Sitz des Bundesfinanzministeriums, um ihre Proteste gegen die Rolle des dortigen Amtsinhabers auszudrücken. Zu der Aktion wurde ausschließlich über Facebook aufgerufen. Zuvor hatten bei einer Veranstaltung der Blockupy-Aktivisten ihre Erlebnisse auf einer Griechenlandreise geschildert. Sie berichteten über die Euphorie und die Hoffnungen, die nach dem eindeutigen Nein beim Referendum in großen Teilen der Bevölkerung zu spüren waren. Wenige Tage später folgte die große Enttäuschung, als der griechische Ministerpräsident an Deutsch-Europa scheiterte. Auf den Veranstaltungen und Aktionen der letzten Tage zu Griechenland wurde viel mit Begriffen wie einem Staatsstreich reagiert.

Deutschland ist das Problem

Bei den jungen Linken, diesich mit dem Wahlsieg von Syriza politisiert hatten,sind die aktuellen Ereignisse besonders schmerzhaft. Schließlich war damit die Hoffnung verbunden, in Europa könnte sich ein sozialeres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem über Wahlen und eine starke außerparlamentarische Bewegung, die eine linke Regierung kritisch begleitet, umsetzen.

Griechenland sollte als schwächstes Kettenglied den Vorreiter spielen, Spanien und vielleicht Italien sollte folgen und am Ende könnte es sogar in Deutschland mit der vielzitierten aber selten bewiesenen Mehrheit links von der Union noch etwas werden. Die letzten Wochen zeigten nun deutlich, dass dieses Modells einer neuen Sozialdemokratie an Deutschland scheitert. Dabei ist Finanzminister Schäuble der Kopf der neuen Heiligen Allianz. Das machte der zurückgetretene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in einem Interview mit einer britischen Zeitung, das das Neue Deutschland nachdruckte, noch einmal deutlich.

Dabei geht Yanis Varoufakis auch auf das Agieren derEurogruppe ein. Auf die Frage des Journalisten, ob "diese Gruppe von der deutschen Position dominiert" wird, sagte der Ex-Minister: "Komplett und restlos. Aber nicht von Einstellungen – sondern vom deutschen Finanzminister. Es funktioniert alles wie in einem gut abgestimmten Orchester, in dem er der Dirigent ist. Alles passiert in Abstimmung miteinander. Es gibt Momente, in denen das Orchester verstimmt ist, aber er holt es zusammen und bringt es zurück auf Linie."

Doch der SPD-Vorsitzende Gabriel hat sich in den vergangenen Wochen redlich bemüht, Schäuble noch rechts zu überholen. Damit wurde nun auch dem größten Realpolitiker deutlich, dass es vorerst mit rot-rot-grünen Regierungsspielchen vorerst nichts wird. Nun beginnt in der Solidaritätsbewegung die Diskussion über das Verhalten der griechischen Regierung, aber auch über die Niederlage der Kräfte, die weitergehende politische Hoffnungen mit dem Wahlerfolg von Syriza verbunden hatten.

Schon melden sich in der außerparlamentarischen Linken Stimmen zu Wort, die daraus die Konsequenz ziehen, noch mehr auf sozialdemokratische Realpolitikzu setzen. Der Philosoph Thomas Seibert, der sowohl in deraußerparlamentarischen Interventionistischen Linken wie im sozialdemokratischen Institut der Moderne aktiv ist, lieferte mit seiner Polemik gegen die linken Grexit-Befürworter auch eine Absage an einen grundlegenden gesellschaftlichen Bruch. Statt Argumente zu liefern, bleibt Seibert bei nicht bewiesenen Schreckensszenarien.

"Das linke Grexit-Griechenland würde im 21. Jahrhundert den Sozialismen des 20. Jahrhunderts ein Nachzugsprojekt hinzufügen: die autoritär-sozialistische Verwaltung eines Elendszustands, dessen Befürworter*innen eine ideologischen Dividende ('sozialistisches Griechenland, voran, voran, die Zukunft wird strahlend sein!') ausgezahlt wird, die immer weniger Leute zufriedenstellt, je länger der Zustand andauert."

Ein Referent der Blockupy-Delegation in Griechenland begründete das Einknicken der griechischen Regierung vor der Deutsch-EU mit Tausenden Leben, die in Gefahr gewesen wären. Auch hier wurde nicht begründet, wie er zu solchen Aussagen kommt.Besonders bei den Ausführungen von Seibert erstaunt, dass die soziale Bewegung in Griechenland überhaupt nicht vorkommt. Dabei hat sie am Abend des Referendums die Straßen Athens gefüllt und siehätte auch einen Umschwung in der diffusen Pro-EU-Haltung in Teilen der Bevölkerung bewirken können, wenn die griechische Regierung mit der Position in die Verhandlungen mit der EU gegangen wäre, Griechenland im Euro zu halten zu versuchen, aber nicht um jeden Preis.

Die soziale Dynamik, die ein solcher Schritt nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Ländern der europäischen Peripherie hätte haben können, kommt ausgerechnet in der Erklärung des Aktivisten der außerparlamentarischen Linken gar nicht vor. Da bleibt nur die Flucht in die ominöse solidarische Moderne, die in der realen Politik der SPD wohl kaum zu finden sein dürfte.

Erster Deutschlandboykott angekündigt

Während die außerparlamentarische Linke in Deutschland weiter in der Defensive ist und im Parlament über Deutschlands Schulden bei Griechenland bei der aktuellen Debatte nicht geredet wurde, wächst im Ausland die Wut gegen Deutschlands Rolle im Streit um Griechenland.

Der italienische Schriftsteller und Wissenschaftler Franco Berardi hat angekündigt, Deutschland nicht mehr zu betreten, und deshalb die schon zugesagte Teilnahme an einem Literaturfestival abgesagt. Als Sohn eines italienischen Antifaschisten, der 1943 verhaftet und in Nazigefängnissen festgehalten wurde, könne er in diesem Moment nicht nach Deutschland reisen, erklärte Berardi. In seiner Absagebegründung lieferte er eine Kritik an Deutschland, wie man sie hierzulande selbst von deraußerparlamentarischen Opposition kaum hört.

"Ich glaube, dass für jeden europäischen Demokraten nun der Moment gekommen ist, einer tief schmerzlichen und erschreckenden Wahrheit ins Auge zu sehen: Siebzig Jahre nach dem Ende des Naziregimes, zweiundsechzig Jahre nach der Londoner Akte, in der die Schulden, die Deutschland gegenüber der Menschheit hatte, erlassen wurden, zeigt die Nation dieselben kulturellen, psychologischen und politischen Züge, die sie in ihrer dunkelsten Vergangenheit charakterisiert haben.
Die moralische Schuld, die der griechische Staat gegenüber der Europäischen Union hat, besteht in der Fälschung der Rechnungsbücher. Die moralische Schuld, die der deutsche Staat gegenüber der Welt trägt, besteht in der physischen Auslöschung von sechs Millionen Juden, zwei Millionen Roma, dreihunderttausend deutscher Kommunisten, dreiundzwanzig Millionen Russen, dreihunderttausend Jugoslawen, und weitere werden nicht genannt. An der obengenannten Schuld jedoch ist das griechische Volk unschuldig, denn für die Fälschung sind die Finanzgesellschaften verantwortlich, die die Funktionäre von Nea Demokratia und Pasok unterstützt haben. Das deutsche Volk hingegen ist keinesfalls unschuldig an den undenkbaren Verbrechen des Nazismus, denn ein Großteil der deutschen Bürger war aktiv oder passiv Mittäter."