Faule Deutsche, fleißige Griechen

Irgendwie passt die Statistik so gar nicht zu des Deutschen Selbstbild und zu seinen liebsten Vorurteilen

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Einige Stereotype sind in Bezug auf Griechenland in den letzten Jahren von den hiesigen Medien so oft wiederholt worden, dass sie inzwischen von der großen Mehrheit der Bevölkerung kaum noch hinterfragt werden. Eines davon ist die Figur des "faulen Griechen“.

Wir haben einmal die Statistik der OECD, der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, befragt, ob es in der ökonomische Realität für das inzwischen fest ins öffentliche Unterbewusstsein eingebrannte Vorurteil Belege gibt, nach dem in Griechenland viel zu wenig gearbeitet wird und die Menschen viel zu früh in Rente gehen.

Nach OECD-Angaben wurden in Deutschland 2014 im Durchschnitt 1371 Stunden gearbeitet. In Griechenland betrug die mittlere Jahresarbeitszeitzeit hingegen 2042 Stunden. Die fleißigen Deutschen haben übrigens von allen OECD-Ländern die kürzeste jährliche Arbeitszeit. Die Griechen hingegen werden in der OECD-Statistik nur noch von den Mexikanern und Costa Ricanern übertroffen. Und wie lange wird in der Woche gearbeitet? In Deutschland kommt man, Vollzeit- und Teilzeitjobs gleichzeitig betrachtet, im Schnitt auf 35,3 Stunden Arbeit in der Woche. In Griechenland sind es hingegen 41,9.

Bei so langen Wochen- und Jahresarbeitszeiten kommt natürlich im Arbeitsleben ganz schön was zusammen. Nach dieser Tabelle betrug die Jahresarbeitszeit in Deutschland (vermutlich ist Westdeutschland gemeint) 1960 2.144, 1973 1.808, 1980 1.696 und im Jahre 2000 1.463 Stunden. Wer also 1965 im Alter von 15 Jahren – wie es damals in Westdeutschland noch für viele Arbeiter üblich war – sein Erwerbsleben begonnen hat und 2015 dann im Alter von 65 Jahren in Rente geht – was die wenigsten Arbeiter wirklich gesundheitlich durchhalten – wird also jährlich in etwa durchschnittlich 1.550 Stunden gearbeitet haben, multipliziert mit 50 Arbeitsjahren ergibt das 77.500 Stunden.

In Griechenland hat man früher übrigens auch länger gearbeitet – noch länger –, aber wir gehen der Einfachheit halber vom aktuellen Wert aus. Teilen wir also die deutsche Lebensarbeitszeit durch die aktuelle griechische Jahresarbeitszeit von 2.042 Stunden pro Jahr, so erhalten wir knapp 38 Jahre. Mit anderen Worten: Ein Grieche, der mit 15 Jahren angefangen hat zu arbeiten, hat im Alter von 53 die gleiche Lebensarbeitszeit wie ein Deutscher mit 65 Jahren erreicht. Natürlich haben nicht alle schon mit 15 angefangen, aber das gilt für Griechenland wie für Deutschland gleichermaßen.

Übrigens: Zu den sogenannten Reformen, die das Schäuble-Diktat dem griechischen Parlament abverlangt, gehört auch die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 so wie es in Deutschland auch schrittweise eingeführt wird. Hierzulande wird der Jahrgang 1964 der erste sein, der bis 67 arbeiten muss. Für die Jahrgänge davor gibt es eine stufenweise Anpassung. Die hiesige Umverteilungslobby hat allerdings schon angekündigt, dass ihr das keinesfalls reicht. Unter anderem vom Bundesverband der Deutschen Industrie kommt die Forderung, das Renteneintrittsalter auf 70 anzuheben.