Mit Vollgas zum spanischen Atomlager

Über alle Zweifel hinweg versucht Spanien nun sein Atommülllager vor den Wahlen im Herbst als Faktum zu etablieren

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Die aufgekeimten Hoffnungen von Umweltschützern, dass das geplante zentrale atomare Zwischenlager (ATC) in Spanien nicht weiter vorangetrieben wird, sollen einen Dämpfer erhalten. Die gut informierte Zeitung El País schreibt am Freitag, dass die Atomsicherheitsbehörde CSN in der nächsten oder übernächsten Woche auf Druck der konservativen Regierung den Weg für eine Vorabgenehmigung freimachen werde, um die Arbeiten in der Nähe des Dorfs Villar de Cañas im zentralspanischen Kastilien-La Mancha weiterführen zu können.

Das Plazet des atomfreundlichen CSN ist nötig, damit die konservative Regierung die Umweltverträglichkeitserklärung abgeben kann. Zudem, so hebt auch die Zeitung hervor, ist es ein politisch besetztes Gremium, das entscheiden wird. Dort geben die Vertreter der regierenden Volkspartei (PP) den Ton an. Und die will, ähnlich wie die französischen Sozialisten im lothringischen Bure, nun offenbar Fakten schaffen.

Dabei war es genau die PP-Zentralregierung, die im Frühjahr noch verhinderte, dass die nächste Baustufe angegangen werden kann. Das Industrieministerium begründete das mit "gesundem Menschenverstand". Es sollte nicht weiter viel Geld unsinnig verbaut werden, weil die Eignung des Standorts in Frage steht, wo oberirdisch etwa 6.700 Tonnen hoch radioaktiver Müll für 60 Jahre sicher gelagert werden sollen.

Das führte zum Rücktritt des Enresa-Präsidenten. Francisco Gil-Ortega wollte die Arbeiten für die nächste Baustufe für insgesamt 260 Millionen Euro zuweisen. Der Chef des Nationalen Unternehmens für Radioaktive Abfälle (Enresa) trat wegen des damaligen Widerstands aus Madrid zurück.

Umweltschutzgruppen wie die Umweltschützer in Aktion sind nun entsetzt darüber, dass offenbar mit allen Mitteln noch Fakten vor den Parlamentswahlen im Herbst geschaffen werden sollen. Denn dann soll die konservative Volkspartei (PP) vermutlich abgewählt werden, sagen Prognosen vorher. Bei den Kommunal- und Regionalwahlen verlor sie praktisch im Mai in fast allen Regionen und sogar in der Hauptstadt die Macht und das schürte Hoffnungen auf das Aus für das ATC.

Ein geeigneter Untergrund für radioaktiven Müll?

"Es ist außergewöhnlich und unvernünftig die Umweltverträglichkeitserklärung zu erteilen, ohne wirklich zu wissen, wie der Untergrund aussieht", zitiert die größte Tageszeitung Spaniens Francisco Castejón von den Umweltschützern in Aktion. Auch El País verweist darauf, dass Enresa gerade erst eine Ausschreibung für Arbeiten gestartet hat, um den Untergrund "geotechnisch" zu untersuchen. Dazu soll ein Gutachten zur hydrologischen Situation erstellt werden. Eigentlich sollte man annehmen, dass solche Gutachten vorliegen, bevor ein solch heikles Projekt gestartet wird.

In Spanien ist das oft nicht der Fall. Erinnert sei zum Beispiel an das Projekt zur Einlagerung von Gas in ein ausgefördertes Erdölfeld vor der Küste Valencias. Als im Jahr 2013 damit begonnen wurde, das Lager zu befüllen, kam es zum Teil zu heftigen Erdstößen. Eine Verwerfung im Untergrund, die zuvor nicht geologisch untersucht worden war, war aktiviert worden. Das Projekt wurde gestoppt, die Steuerzahler kostete die Entschädigung der Betreiberfirma 1,3 Milliarden Euro.

Und mindestens so teuer könnte es erneut werden, wenn jetzt das Atomlager weitergebaut wird, obwohl die Eignung weder für den CSN noch für die Zentralregierung gesichert ist. Die Umweltschützer gehen davon aus, dass mit dem Weiterbau nicht nur Fakten geschaffen, sondern auch Stimmen in einer Region "gekauft" werden sollen, die unter einer hohen Arbeitslosigkeit leidet.

Erwartet wird, dass die Kosten für das Lager weiter durch die Decke schießen. Schon bei der Fundamentierung - der ersten Baustufe - tauchten massive Probleme auf, weshalb die Kosten dafür bereits gut 25 Prozent über den Planungen lagen. Denn der Untergrund wies viele Hohlräume auf und man stieß bei den Arbeiten immer wieder auf Wasser.

Das Vertrauen wurde auch nicht unbedingt dadurch gestärkt, dass vor gut einem Jahr das Gelände bei Regenfällen komplett überflutet wurde. Die Gegner hatten stets davor gewarnt, dass es sich um Überflutungsflächen handele. Dabei gab es längst Gutachten, die die Eignung des Gebiets schwer in Zweifel zogen. Die im Mai abgewählte konservative Regionalregierung hatte kritische Gutachten unter Verschluss gehalten, die schon frühzeitig vor unterirdischen Quellen warnten und festgestellt hatten, dass die Unterschicht durchlässig sei und bei einem Unfall das radioaktive Material schnell ins Trinkwasser gelangen und verteilt würde.

Milliarden-Kosten und eine nationale Notwendigkeit

Die neue sozialdemokratische Regionalregierung, die von der neuen Partei "Podemos" (Wir können es) gestützt wird, will nun alles unternehmen, um neue Arbeiten zu stoppen. Sie verweist darauf, dass das zentrale Argument für die Auswahl des Standorts die Zustimmung lokaler Behörden war. Die ist nun weitgehend weg. Nur der Bürgermeister des tristen Dorfs verteidigt das ATC noch und versucht seine Kollegen aus Nachbardörfern mit Millionenversprechen bei der Stange zu halten.

Dabei hat die Enresa schon jetzt ein riesiges Finanzierungsloch. Doch der PP-Bürgermeister José María Saiz argumentiert, dass schon viel Geld verbaut wurde und das Projekt "Geld und Arbeit" in die Region bringe. Die Regionalregierung habe dabei nichts zu sagen, da es eine "nationale Notwendigkeit" sei.

Angesichts massiver Probleme am Standort hatte sich der neue Regierungschef von Kastilien - La Mancha schon vor seiner Wahl gegen das Projekt ausgesprochen. Emiliano García-Page unterzeichnete mit Podemos und vier weiteren Parteien ein Manifest. Darin hatten sie sich verpflichtetet, "alle möglichen legalen Schritte zu unternehmen, um das ATC-Projekt definitiv zu stoppen". Erwartet wird zudem, dass neue Anforderungen der Kontrollbehörde die Kosten weiter in die Höhe treiben werden, die bisher mit etwa einer Milliarde Euro angesetzt wurden.

Unterstützung bekamen die Gegner zwischenzeitlich auch im Frühjahr vom Rechnungshof. Denn der warnte davor, dass sogar die bisherige Finanzierung des Projekts nicht gesichert sei, das von den Betreibern der Atomkraftwerke kommen soll. Hingewiesen wurde schon jetzt auf ein Loch von 1,8 Milliarden Euro bis 2085 in dem Fonds, der für die Lagerung des Atommülls vorgesehen ist. 28 Prozent der nötigen Finanzierung seien schon jetzt nicht gedeckt, weshalb der Rechnungshof vermutet, dass dafür der Steuerzahler aufkommen müsse.