Wie Richterentscheidungen Vermieter begünstigen

Es sind nicht immer Gesetze, die Verschlechterungen für die Mieter bringen. Manchmal genügt dazu auch ein Gerichtsurteil

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Die Zahl der Menschen, deren Arbeitsplatz sich nicht mehr in einer Fabrik, sondern in der eigenen Wohnung befindet, ist in den letzten Jahren gewachsen. Da wirkt es besonders anachronistisch, dass der Bundesgerichtshof Kündigungen erleichtet hat, wenn Mieter ihren Arbeitsplatz in ihrer Wohnung einrichten.

Noch im Jahr 2009 hatte der Bundesgerichtshof eine berufliche Nutzung der eigenen Wohnung für unproblematisch gehalten, solange der Mieter keine Mitarbeiter beschäftigt und keine Kunden empfängt. 2013 entschied der BGH gegen einen Mieter, der einen Hausmeisterservice in seiner Wohnung unterhielt und sich darauf berief, dass er weder Mitarbeiter beschäftigt, noch durch das Gewerbe besondere Beeinträchtigungen ausgehen.

Wenn die Heimarbeit zum Kündigungsgrund wird

Das Gericht urteilte in diesen Fall gegen den Mieter und schrieb in der Begründung:

Der Beklagte hat sich allerdings darauf berufen, dass von seinem Betrieb bisher keine konkreten Störungen ausgegangen seien, weil er in dem vom Kläger gemieteten Einfamilienhaus in der Vergangenheit keine geschäftlichen Besuche von Mitarbeitern oder Kunden empfangen habe. Außerdem stelle er die für seinen Betrieb benötigten Fahrzeuge nicht auf dem Wohngrundstück oder auf der Straße in der Nähe des Grundstücks ab, sondern ausschließlich auf einem dafür gesondert angemieteten Platz. Darauf kommt es indessen nicht an. Bei geschäftlichen Aktivitäten freiberuflicher oder gewerblicher Art, die nach außen in Erscheinung treten, liegt eine Nutzung vor, die der Vermieter einer Wohnung ohne entsprechende Vereinbarung grundsätzlich nicht dulden muss.

Wie das Mietermagazin, die Mitgliederzeitschrift des Berliner Mietervereins, berichtete, wurde diese vermieterfreundliche Rechtssprechung sofort genutzt, um Mieter, die sich seit Langen im juristischen Streit mit ihren Eigentümern befinden, nun auf eine neuen Weg zu kündigen. Im Mietermagazin heißt es:

Ausgerechnet ein kommunales Wohnungsunternehmen, die Gewobag, geht derzeit gegen drei Mietparteien wegen unerlaubter gewerblicher Nutzung vor. Christoph Baumgarten, der seit 2007 einen Online-Handel mit Akkus betreibt, hat Ende März 2015 eine Abmahnung bekommen. Begründung: Auf seiner Internetseite habe er als Unternehmenssitz die Wohnadresse Schönhauser Allee 102 angegeben. Baumgarten hat sein Hauptlager in Köln, in seiner Wohnung bearbeitet er lediglich Bestellungen am Computer. Sein Nachbar Frank Volm wurde ebenfalls abgemahnt. Er betreibt als Kleinunternehmer einen Reparaturservice. „Zuhause schreibe ich höchstens mal Rechnungen“, sagt er. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er – ohne sein Wissen – auf Portalen wie „Pointoo“ oder „Meine Stadt“ mit seiner Wohnadresse gelistet war.

Das Unternehmen weist den Vorwurf zurück, dass über die Mieter eine Internetrecherche durchgeführt wurde. „Unsere Mitarbeiter haben festgestellt, dass die Mieter ihre Wohnung als Unternehmenssitz im Internet bewerben“, heißt es dort. Die Gewobag spricht von Zweckentfremdung einer Wohnung. Das aber würde voraussetzen, dass die Wohnung ausschließlich zu gewerblichen Zwecken genutzt wird. Doch Frank Volm und Christoph Baumgarten können nachweisen, dass sie dort wohnen.

Das kann auch Martina Lannatewitz nachweisen Sie lebt seit 30 Jahren in einer Dreizimmerwohnung in der Raumerstraße 11. Auch dieses Haus gehört der Gewobag. Nach einer Modernsierung sollte die Miete bei Frau Lannatewitz um über 120 Prozent von 284 Euro kalt auf 632 Euro steigen. Die Mieterin wehrte sich und ging an die Öffentlichkeit. Weil die Gewobag herausgefunden hat, dass auch Frau Lannatewitz von ihrem Computer aus für eine Agentur arbeitet, wurde sie ebenfalls wegen gewerblicher Nutzung abgemahnt. Weil die Mieterin weiterhin mit ihrer Privatadresse im Internet zu finden ist, hat die Gewobag mittlerweile eine Räumungsklage eingeleitet.

Eine solche rechtliche Verschlechterung für die Mieter, in einer Zeit, in der die Zahl der Berufe wächst, die vom häuslichen PC aus erledigt werden, ist besonders unverständlich. Die Gewobag ist nicht der einzige Haubesitzer, der die rechtlichen Möglichkeiten, die ihm hier an die Hand gegeben wurden, ausgiebig nutzt. So sollen die Mieter gezwungen werden, für ihren Arbeitsplatz ein weiteres Büro oder zumindest einen Arbeitsplatz zu mieten, was sich vor allem Beschäftigte im prekären Bereich oft schon finanziell nicht leisten können.

Die Vermieter profitieren von den Urteilen gleich mehrmals. Sie haben einen weiteren Kündigungsgrund, um Mieter loszuwerden und können nun auch noch Wohnraum als Büros vermieten. Ein Beitrag zur Behebung der Wohnungsnot in vielen Städten ist das allerdings keineswegs. Frau Lannatewitz hat sich bei ihren Vermietern bestimmt keine Freunde gemacht, als sie wegen der drohenden Mieterhöhung an die Öffentlichkeit ging.

Wenn die Telefonnummer des Vermieters zur Geheimsache wird

Auch die Rentnerin Irmgard Warnke ging wegen der Kündigung ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg an die Öffentlichkeit. Doch sie bekam neuen Ärger. Im Mieterecho, der Zeitschrift der Berliner Mietergemeinschaft, wurde ihr Fall so kommentiert:

Frau Warnke ist eine gebildete Frau, die sich zu wehren weiß, Unterstützung gesucht und auch gefunden hat. Trotzdem wird sie nicht in ihrer Wohnung bleiben können. Zudem wird sie für einen über ihre Situation berichtenden Beitrag im Berliner Kurier verklagt. Nicht nur sie empfindet dies alles als große Ungerechtigkeit.

Mittlerweile ist die Frau umgezogen. 500 Euro Strafe muss sie zahlen, weil sie einem Redakteur des Berliner Kurier die Telefonnummer ihres Vermieters weitergegeben hat. Dabei hat sie ihm dadurch nur seine Arbeit erleichtern und ermöglichen wollen, auch die Gegenseite in den Konflikt anzuhören. Doch viele Eigentümer haben überhaupt kein Interesse, dass auch ihre Position in einen Beitrag dargestelltwird. Sie wollen überhaupt keine Berichterstattung über Mieterhöhungen und Kündigungen und sie wollen auch nicht erreichbar sei.

Die Zeiten, als man einfach zum Telefonbuch greifen oder sich bei der Telefonauskunft nach einer Telefonnummer erkundigen konnte, sind lange vorbei. Wenn nun eine Seite des Konflikts nicht erreichbar ist, werden sich viele Medien überlegen, ob sie überhaupt darüber berichten. Entscheiden sie sich doch dazu, gibt es in letzter Zeit häufiger Versuche, auch dagegen juristisch vorzugehen. Sie seien keine Personen der Zeitgeschichte, lautet die Argumentation. Zudem zeige schon, dass eine Stellungnahme des Vermieters fehle, dass es sich nicht um einen ausgewogenen Beitrag gehandelt habe, wird oft noch nachgeschoben.

Der ehemalige Vermieter von Frau Warnke hätte nun die Möglichkeit einer Stellungnahme gehabt, machte davon aber keinen Gebrauch und fand Richter, die die Mieterin tatsächlich zu einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilten, weil sie eine Telefonnummer an einen Journalisten weitergaben. Es wäre zu wünschen, dass solche juristischen Absurditäten, die im Ergebnis nicht nur eine Einschränkung der Mieterrechte, sondern auch der Pressefreiheit darstellen, kritischer betrachtet werden. Vielleicht führt die Keule des Landesverrats gegen kritische Journalisten dazu, dass auch die Sensibilität für die vielfältigen scheinbar unspektakulären Reglementierungen im Alltag größer wird.