Geflüchtete, lasst uns mit den Pegida-Deutschen nicht allein

Politiker haben in den letzten Wochen verstärkt diskutiert, Geflüchtete in die schrumpfenden Städte Ostdeutschlands unterzubringen. Das würde aber nur klappen, wenn es die Betroffenen wollen

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Vom Sommer 2015 werden die Zeltstädte in Erinnerung bleiben, in denen Geflüchtete bei Temperaturen oft weit über 30 Grad Celsius leben müssen und der Witterung ziemlich schutzlos ausgeliefert sind. Von Dresden ausgehend haben diese Verhältnisse in vielen deutschen Städten Einzug gehalten. Doch zunehmend wächst die Kritik daran auch in Kreisen, die nicht in das Raster der Gutmenschen eingeordnet werden können.

„Situation im Dresdner Flüchtlingscamp ähnelt Kriegsverhältnissen“, titelt die FAZ und zitiert den wirtschaftsliberalen Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert:

Ich kann und werde es nicht akzeptieren, dass unser Heimatland, eine reiche Industrienation mit 81 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von drei Billionen Euro, sich überfordert gibt, in diesem Jahr 450.000 flüchtende Menschen angemessen unterzubringen.

Dabei sind die Verhältniss in anderen Städten für die Geflüchteten in den letzten Tagen nicht besser gewesen.

Warum werden keine Gebäude enteignet?

Wenn Dirk Hilbert seine Empörung darüber, dass Menschen in Zeltstädten leben müssen, ernst nimmt, müsste ihm auffallen, dass es genügend leerstehende Gebäude überall in der Republik gibt, in denen die Menschen leben könnten. Doch es ist das Eigentumsrecht, das eben verhindert, die Menschen, die ein Dach über den Kopf benötigen, dort unterzubringen.

Seit einigen Tagen wird das Verhalten der Deutschen Rentenversicherung Rheinland kritisch diskutiert, die ein leerstehendes geräumiges Schwesternwohnheim in Leichlingen nicht für Geflüchtete zur Verfügung stellen wollte. Doch die Rentenversicherung beharrt auf Abriss, weil man das Gebäude nicht mehr brauche. In diesen Sätzen drückt sich die Logik der kapitalistischen Verwertung klar aus. Es gäbe viele Menschen, die das Gebäude bräuchten, weil sie kein Dach über den Kopf haben, aber die Deutsche Rentenversicherung Rheinland braucht das Gebäude nicht zum Wohnen. Ihr Interesse ist eine möglichst lukrative Verwertung und wenn dort eine Einrichtung für Geflüchtete entstünde, könnte der Wert sinken.

Deshalb haben auch Grundstückseigentümer in anderen Städten gegen die Einrichtung von Flüchtlingseinrichtungen geklagt, weil der Wert ihrer Immobilien sinken könnte. Diese Denkweise, die Menschen nach der Nützlichkeit für die kapitalistische Verwertung aufteilt, richtet sich auch gegen einkommensarme oder obdachlose Menschen mit deutschem Pass. Doch auch in diesen Kreisen gibt es sehr starke rassistische Vorstellungen, die dazu führen, dass sie eher gegen Geflüchtete als gegen die kapitalistische Logik protestieren, der auch sie in einen subalternen Status hält.

Flüchtlinge in die geschrumpften Städte der ehemaligen DDR

Seit Monaten wird auch in der Antirassismusbewegung eine Debatte darüber geführt, ob es den Geflüchteten zugemutet werden kann, in Regionen untergebracht zu werden, in der sie sich weitab von größeren Städten befinden und einer Umgebung ausgesetzt sind, wo ihnen immer mit Gesten und Blicken deutlich gemacht wird, dass sie unerwünscht sind, selbst wenn es nicht zu tätlichen Angriffen kommt. Gibt man nicht dem rechten Mob nach, wenn man solche Regionen von der Unterbringung ausschließt? Oder mutet man den Geflüchteten, die selber nicht über ihre Unterkunft entscheiden können zu, in einer Region leben zu müssen, die viele Unterstützer meiden, wenn sie nur können?

"Allein im ersten Halbjahr 2015 wurden 84 Vorfälle gezählt, was eine Verdoppelung zum Vorjahr darstellt. Im gesamten Jahr 2014 wurden lediglich 85 Vorfälle von der Registerstelle für den Bezirk dokumentiert. Insgesamt finden sich für 2015 bisher 109 Vorfälle in der Chronik des Registers“, meldete kürzlich die antirassistische Registrierstelle an der Alice Salomon Hochschule über die Verhältnisse in dem Bezirk. Sollen Antirassisten mit dabei helfen, dass Geflüchtete in solchen Gegenden leben müssen?

Diese Frage wird noch aktueller, wenn man die Forderungen von Politkern vor allem aus Westdeutschland hört, die eine stärkere Unterbringung von Geflüchteten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR befürworten. Sie verweisen dabei auf die vielen dort leerstehenden Gebäude und die schrumpfenden Städte. Gleichzeitig könnte der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland durch oft gut ausgebildete und hoch motivierte Geflüchtete profitieren, lautet eine weitere Begründung ,die allerdings bereits Menschen nach Nützlichkeit einteilt? Hat der Geflüchtete ohne Ausbildung nicht genau so ein Recht wie der angehende Arzt aus Syrien, der jetzt immer herangezogen wird?

Wenn aus Flüchtlingen Nachbarn und Kollegen werden

Doch die Debatte um die Ansiedlung der Geflüchteten in der ehemaligen DDR leidet an einem grundsätzlichen Fehler. Sie wird über den Köpfen der Betroffenen geführt, die wie Pakete hin- und her geschoben werden sollen. Sie wurde schließlich nicht von Ungefähr von Politikern aus Westdeutschland initiiert, die damit bereits signalisieren, dass sie die Menschen eben nicht in ihrer Nähe haben wollen.

So wie radioaktives Material nach dem Wunsch vieler Politiker überall, nur nicht in ihren Bundesland, gelagert werden soll, will man auch die Geflüchteten weit weg schicken, damit das Wahlverhalten im eigenen Wahlkreis möglichst wenig beeinflusst wird. Diese Vorbehalte bedeuten nicht, dass die Ansiedlung von Geflüchteten auch im Osten Deutschlands unmöglich ist. Sie müsste die Betroffenen berücksichtigen.

Dazu gehören natürlich in erster Linie die Geflüchteten und die Menschen, die sie in vielfältiger Form unterstützen. Es sind oft Menschen, die selber darunter leiden, in Regionen zu leben, in denen Pegida das geistige Klima bestimmt. Viele verlassen solche Gegenden. Andere wollen aber den Rechten nebenan nicht das Feld überlassen. Sie könnten gemeinsam mit Geflüchteten, zu denen ja oft ein Vertrauensverhältnis entstanden ist, dazu beitragen, dass sich in den Regionen tatsächlich etwas ändert.

Vor 30 Jahren, als Autoaufkleber noch angesagt waren, konnte man öfter den Sponti-Spruch "Lasst und mit diesen Deutsche nicht allen" lesen. Neben der eigenen Selbstvergewisserung sollte er an die Arbeitsmigranten gerichtet sein, die damals oft noch unter im NS sozialisierten Deutschen zu leiden hatten. Heute müsste der Spruch etwas aktualisiert werden: "Lasst uns mit diesen Pegida-Deutschen nicht allein“, könnte die Parole von den Menschen sein, die in den letzten Monaten Geflüchtete auf unterschiedliche Weise unterstützt haben.

Dabei müssten sie allerdings einen Perspektivwechsel vornehmen. Sie müssten die Rolle der wohlmeinenden Unterstützer verlassen und akzeptieren, dass die Geflüchteten zu Nachbarn und Kollegen werden. Dafür könnte dann doch noch in abgewandelter Form eine Utopie zumindest in Ansätzen Gestalt annehmen, die einige Linke im Herbst 1989 im Westen und im Osten hatten, als sie von einer unabhängigen sozialistischen, basisdemokratischen, ökologischen, neutralen DDR träumten. Damals zerstoben solche Vorstellungen innerhalb weniger Wochen, weil dafür die Menschen fehlten, die solche Vorstellungen umsetzen wollten. Vielleicht hat sich das im Jahr 2015 geändert.