Auf dem Weg zur wettbewerbsfähigen Solarenergie

Michael Grätzel, Chemiker am Eidgenössischen Polytechnikum Lausanne, über die von ihm entwickelte Nanosolarzelle und ihre Zukunftschancen im Wettbewerb mit herkömmlicher Fotovoltaik.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Kevin Bullis

Michael Grätzel lehrt am Eidgenössischen Polytechnikum Lausanne und ist in der Solarszene zu allerlei Berühmtheit gelangt. Seine so genannte Grätzel-Zelle, die vor 15 Jahren erstmals in Prototypenform vorlag, kostet deutlich weniger in der Herstellung als traditionelle Fotovoltaiktechnik. Sie wird inzwischen von dem US-Solarunternehmen Konarka aus Massachusetts in Kleinserie produziert und soll demnächst weitläufig erhältlich sein.

Gleichzeitig arbeitet Grätzel an der Verwendung von Nanokristallen, um die Effizienz von Solarzellen nochmals deutlich zu steigern. Technology Review sprach mit dem Photovoltaikexperten über die Herausforderungen bei der Produktion billiger Solarzellen und warum neue, energiesparende Produktionsmethoden wie die seine so wichtig sind.

Technology Review: Herr Grätzel, warum war es bisher so schwer, eine effiziente und gleichzeitig kostengünstige Solarzelle herzustellen, die bei der Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen tatsächlich konkurrieren kann?

Michael Grätzel: Das kam wohl einfach so. Silizium-basierte Solarzellen wurden anfangs für den Weltraum hergestellt und dafür gab's eben viel Geld, was dazu führte, dass man gleich zum Start eine teure Technologie entwickelte. Die Zelle, die wir entworfen haben, orientiert sich hingegen stärker an der Fotosynthese.

TR: Was sind hier die Ähnlichkeiten zu diesem biologischen Prozess?

Grätzel: Die haben mit der Absorption von Licht zu tun. Licht erzeugt Elektronen und positive Ladungsträger, die irgendwie transportiert werden müssen. Bei einer Silizium-Halbleiter-Solarzelle übernimmt das Siliziummaterial die Absorption des Lichts, gibt aber auch die negativen und positiven Ladungsträger weiter. Man braucht also ein elektrisches Feld, um diese Ladungen auseinander zu bringen. All dies muss mit Hilfe eines einzigen Materials geschehen. Das Silizium erfüllt also mindestens drei Aufgaben gleichzeitig. Um das zu erreichen, wird sehr reines Ausgangsmaterial benötigt, was den Preis deutlich erhöht.

Meine Solarzelle verwendet hingegen ein spezielles Molekül zur Lichtabsorption. Es ist wie das Chlorophyll in einer Pflanze bei der Fotosynthese - ein Molekül, das Licht absorbieren kann. Doch das Chlorophyll wird nicht auch noch dazu verwendet, Ladungen zu transportieren. Es absorbiert nur das Licht und generiert die Ladung, die dann mit Hilfe bekannter Mechanismen weitergegeben wird. Genauso arbeitet auch unser System.

Der echte Durchbruch kam dabei mit Nanopartikeln. Von diesen existieren Hunderte, die übereinander gestapelt sind - in jedem unserer Lichterntesysteme.

TR: Also verwenden sie quasi einen Stapel mit Nanopartikeln...

Grätzel: ...der mit einem Farbstoff überzogen ist.

TR: Der Farbstoff absorbiert also das Licht und das Elektron wird mit Hilfe der Nanopartikel weitertransportiert?

Grätzel: Ja.

TR: Das Bild der Solarzelle verändert sich. Früher steckten sie in hässlichen Kästen, die einem Dach erst nachträglich aufgesetzt wurden. Heute gibt es wesentlich attraktivere Verpackungen, sogar Solarziegel. Wird Ihre Solarzelle zu dieser Fortentwicklung beitragen?

Grätzel: Genau das ist einer der Hauptvorteile. Die Solarhersteller wollen alle eine integrierte Fotovoltaik bauen und dahin müssen wir auch kommen. Diese "hässlichen" Blöcke aufs Dach zu setzen ist unattraktiv und außerdem teuer. Die Befestigungsstruktur kostet neben den Zellen selbst jede Menge Geld, dementsprechend wichtig ist es, die Solartechnik gleich in den Bau zu integrieren.

Unsere Zellen setzen normalerweise auf Glas auf beiden Seiten und können so hergestellt werden, dass sie wie Colorglas aussehen. Dies ließe sich für stromerzeugende Fenster, Oberlichter oder Fassaden nutzen. Die Wand oder das Fenster sind dann selbst fotovoltaisch aktiv.

TR: Ihre Zellen lassen sich außerdem auf flexibler Folie installieren. Werden wir diese beispielsweise auf Zelten oder Kleidungsstücken sehen, um unsere tragbare Elektronik zu laden?

Grätzel: Definitiv. Konarka hat bereits zusammen mit dem Militär ein Programm aufgelegt, bei dem Zellen in Uniformen eingewebt werden sollen. Man kann sich vorstellen, warum man das haben will. Ein Soldat trägt soviel elektronische Geräte mit sich herum und deren Batterielaufzeit muss man verlängern. Akkus sind ein großes Problem wegen ihres Gewichts - und weil sie sehr teuer sind.

Konarka hat außerdem kürzlich eine 20-Megawatt-Fabrikation für folienbasierte Solarzellen angekündigt. Die würden aber zunächst ebenfalls aufs Dach kommen. Aber es gibt auch militärische Anwendungen im Bereich von Zelten, auch hier macht die Firma mit.

TR: Wann wird man Ihre Solarzellen kaufen können?

Grätzel: Ich denke in den nächsten paar Jahren. Eine erste Produktionsmaschinerie existiert bereits. Konarka kann bis jetzt ein Megawatt Fotovoltaik-Kapazität pro Jahr herstellen.

TR: Wie sieht es bei Ihrer Technik in Sachen Effizienz im Vergleich zu konventionellen Solarzellen auf Siliziumbasis aus?

Grätzel: Silizium hat im Bereich der Zellen selbst ungefähr doppelt so viel Energieeffizienz. Unser Ansatz hat aber bei der Aufnahme der Sonnenenergie deutliche Vorteile: Die Zellen können das Licht früher am Morgen und später am Abend absorbieren. Es gibt auch keinen Temperatureffekt: Unsere Zellen arbeiten genauso gut bei 65 Grad Celsius wie bei 25 Grad. Silizium verliert hingegen bei Schwankungen mindestens 20 Prozent. Wenn man das alles zusammen nimmt, hat Silizium zwar immer noch einen Vorteil, aber der liegt höchstens bei 20 bis 30 Prozent, nicht mehr beim Doppelten.

TR: Der Hauptvorteil Ihrer Solarzellen sind also die geringen Kosten?

Grätzel: Hier ist ein Faktor von 4 oder 5 im Vergleich zu Siliziumzellen realistisch. Wenn man die Technik direkt ins Haus einbaut, erhält man zusätzliche Vorteile, wenn man z.B. normales Glas mit Glas mit unseren Zellen ersetzt. Das Glas müsste man ja sowieso bezahlen.

TR: Und wie sieht es mit der Konkurrenzfähigkeit zu fossilen Brennstoffen aus?

Grätzel: Die Leute sagen immer, dass man auf 50 US-Cent pro Watt in der Spitzenzeit herunterkommen soll. Unsere Kosten liegen bei etwas weniger als einem Dollar, wenn die Zellen in China hergestellt werden. Das hängt aber alles auch davon ab, wo man die Solarzellen nutzt. In Regionen mit viel Sonnenschein verändert sich die Gleichung - die Technik zahlt sich schneller aus.

TR: Siliziumzellen sind auch noch in Sachen Produktionskapazität vorne. Das erhöht die Eintrittshürde für neue Technologien, weil sich diese erst mit zunehmender Marktdurchdringung wirklich rechnen. Kann ein brandneuer Solarzellentyp tatsächlich gegen Silizium antreten?

Grätzel: Das renommierte Fachblatt Photon Consulting veröffentlichte kürzlich eine Preisvorhersage für Siliziummodule für die nächsten 10 Jahre. Danach sieht es so aus, dass sie in den ersten paar Jahren preislich noch ansteigen werden. Und auch in 10 Jahren werden sie immer noch bei über 3 Dollar liegen und das ist einfach nicht wettbewerbsfähig.

Natürlich werden die Hersteller versuchen, Siliziumzellen anders herzustellen, aber da gibt es noch ein anderes Problem: Die Energiebilanz. Man benötigt sehr viel Energie, um Silizium aus Sand herzustellen, weil Sand ein sehr stabiles Material ist. Wenn wir ein regelmäßiges Wachstum von 40 bis 50 Prozent haben wollen und es vier oder fünf Jahre dauert, bis wir diese Umwandlungsenergie mit Hilfe der Solarzelle wieder zurückgewinnen, wird die gesamte Energieausbeute der Technik nur für das Wachstum aufgefressen.

Damit gewinnt die Menschheit aber nichts. Es ist im Gegenteil eine negative Bilanz. Wenn es so lange dauert, bis die aufgebrauchte Energie "zurückgezahlt" ist, verbrauchen wir die Reserven unserer Erde. Nur wenn man meinen Ansatz oder die so genannten Dünnfilm-Solarzellen verwendet, kann man das große Wachstum vernünftig aufrechterhalten. Und das müssen wir, damit die gesamte Solartechnologie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.

TR: Warum verbraucht Ihre Technologie überhaupt weniger Energie?

Grätzel: Die Siliziumnutzer müssen ihren Rohstoff aus Siliziumoxid herstellen. Wir benutzen hingegen ein Material, das bereits existiert: Titanoxid. Wir müssen kein Titan aus Titanoxid herstellen.

TR: Ein spannender Forschungsbereich ist aktuell die Nanokristalltechnik, bei der mit Hilfe so genannter Quantenpunkte die Solarzelleneffizienz deutlich gesteigert werden könnte - über bisherige Grenzen hinaus. Kann Ihre Zelle in diesem Bereich eine Rolle spielen?

Grätzel: Wenn man Quantenpunkte verwendet, kann man gleich mehrere Elektronen mit einem Photon ernten. Nur wie sammelt man diese dann auf? Die Quantenpunkte könnte man beispielsweise statt dem Farbstoff einsetzen, den wir derzeit verwenden. Wenn man sie auf eine Titanoxidschicht aufträgt, geben die Quantenpunkte Elektronen sehr schnell ab. Wir haben bereits gezeigt, dass das geht.

TR: Sie setzen sich stark für mehr Forschungsgelder für die Solartechnik ein - und zwar nicht nur für die Grätzel-Zelle.

Grätzel: In diesem Markt ist Platz für alle. Ich freue mich sehr, dass man sich in den USA inzwischen wieder verstärkt für die Solartechnologie interessiert, nachdem sich 20 Jahre lange nichts getan hatte. Die Carter-Regierung unterstützte die Technologie, aber während der Reagan-Präsidentschaft ging die Förderung auf ein Zehntel zurück. Einrichtungen wie das wichtige National Renewable Energy Laboratory konnten kaum überleben. Aber jetzt wird es wohl wieder mehr Geld geben.

Übersetzung: Ben Schwan. (nbo)