Ist Dublin II bereits Geschichte?

Das voraussehbare Ende des Dublin-Regelsystems ist ein Erfolg der Flüchtlingsbewegung

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Nun hat kann es auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Markus Ferber nicht mehr verleugnen. Das Regelsystem Dublin II, das dafür sorgte, dass die meisten Flüchtlinge in Deutschland keine Chance hatten, eine Aufenthaltsbestimmung zu bekommen, funktioniert nicht mehr.

Das betonte die selbsternannte Stimme aus Bayern, die bisher die Devise: "Unbequeme Regeln kann man nicht einfach abschaffen" besonders dann hoch gehalten hat, wenn es dem deutschen Standort nutzte. Das war auch so, als Ferber darauf beharrte, dass die griechische Regierung sich aus dem Austeritätskorsett befreien wollte.

Unbequem vor allem für die Geflüchteten

Zu den unbequemen Regeln, die man nach Meinung von Politikern wie Ferber nicht einfach verlassen kann, gehörte auch das gesamte Dublin II-Regelsystem. Unbequem war das Regelwerk in erster Linie für Geflüchtete, die ebenso wie Flüchtlings- und Antirassismusgruppen seit Jahren die Abschaffung fordern.

Die Dublin-Verordnungen regeln die Frage der Zuständigkeiten der EU-Länder für die Asylverfahren der Geflüchteten. Das Land innerhalb des EU-Raums, in dem die Menschen zuerst behördlich erfasst, also registriert werden, sollte für das Prozedere verantwortlich sein. Diese Regelung hatte zur Folge, dass die Geflüchteten oft über Jahre unter katastrophalen Bedingungen in den Ländern ausharren mussten, in denen sie zuerst EU-Boden betreten haben. Das betraf aus geografischen Gründen natürlich viel häufiger Länder wie Italien und Griechenland, aber kaum Deutschland.

Schon vor einigen Jahren setzte die italienische Rechtsregierung unter Berlusconi die Dublin-Verordnungen außer Kraft. Sie ging dazu über, die Geflüchteten ohne Kontrollen Richtung Deutschland weiterfahren zu lassen. Deutschland und Frankreich reagierten mit der Aussetzung des Schengen-Abkommens und führten an der Grenze zu Italien Kontrollen ein: Zudem beschuldigten sie Italien, vertragsbrüchig geworden zu sein.

Gegenüber Griechenland waren die Reaktionen aus Deutschland noch harscher, als die Linksregierung nur in Erwägung zog, die Flüchtlinge in die Länder reisen zu lassen, in die sie wollten. Doch deren Wille zählte bei den Dublin-Verordnungen nie. So waren die Menschen in den sogenannten Erstaufnahmeländern gezwungen, unter den schlimmsten hygienischen und sozialen Bedingungen zu leben, in denen sie nicht bleiben wollten.

Gerade heute wurde die italienische Regierung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu hohen Schadenersatzzahlungen an tunesische Geflüchtete verurteilt, weil diese unter unmenschlichen Umständen in Lampedusa leben mussten und dann ohne Prüfung ihrer Asylanträge nach Tunesien zurück geschickt wurden. Die Zustände in Italien hätten die Würde der Flüchtlinge verletzt, urteilten die Richter.

Die Autonomie der Migration bereitet Deutschland eine Niederlage

"Gegen Dublin III – Für Flüchtlingsschutz" lautete auch das Motto einer der vielen Initiativen, die in den letzten Jahren gegen ein Regelwerk protestierten, das Deutschland nutzte und vielen tausend Menschen Nachteile brachte. Lange Zeit haben Politiker von CDU/CSU und SPD das Dublin-System verteidigt und weigerten sich, über Änderungen auch nur zu diskutieren.

Dass Geflüchtete nun in München oder Budapest den Ruf "Deutschland – Deutschland" skandieren, ist ein Zeichen für die Niederlage der deutschen Politik. Sie drücken damit das Ziel ihrer Flucht aus und die Gewissheit, dass sie es erreichen werden, auch gegen den Willen der deutschen Politik. Mit Ferber hat auch Bayern diese Niederlage zumindest konstatiert, wenn sicher auch nicht akzeptiert.

Es waren die Geflüchteten, die mit ihrer Autonomie der Migration das Regelwerk gekippt haben. So haben sie auch Residenzpflicht weitgehend durchlöchert, die in Deutschland Geflüchteten ein Leben in dem Landkreis verordnen wollte, in dem die zuständige Ausländerbehörde ihren Sitz hat. Jedes unerlaubte Entfernen aus dem Landkreis wurde strafrechtlich geahndet. Doch diese Verordnung wurde ebenso tausendfach gebrochen wie das Dubliner-Regelwerk.

Jetzt wird die Politik natürlich neue Regulationsinstrumente suchen und sicher auch finden, die die Flüchtlingspolitik im Interesse des Standortes Deutschlands lenken sollen. Dabei sollen vor allem die Wirtschaftsinteressen bedient und gut ausgebildete Menschen gleich dem deutschen Arbeitsmarkt zu geführt werden. Doch es ist wichtig, gerade auch am Beispiel Dublin II, den Widerstand der Geflüchteten in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich hat die Bewegung der Refugees und Geflüchteten in den letzten zwei Jahren in Deutschland eine enorme Kraft entfaltet.

In den letzten Wochen schien dieses Bild in den Hintergrund zu treten und Geflüchtete wurden fast ausschließlich als hilfsbedürftige Menschen dargestellt, die von karitativen Einrichtungen versorgt werden müssen. Daher ist es umso wichtiger, deutlich zu machen, dass gerade diese Menschen und ihr Widerstand Dublin II außer Kraft gesetzt haben. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass auch die Macht Deutschlands nicht grenzenlos ist.