War Strauß Agent des OSS?

Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht Studie zu möglichem "Abgrund von Landesverrat"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zum Hundertsten Geburtstag des kontroversen Politikers Franz Josef Strauß hat die Bundeszentrale für politische Bildung freigegebene Dokumente veröffentlicht, die den Verdacht nahe legen, dass Strauß während des Zweiten Weltkriegs taktische Informationen an den US-Kriegsgeheimdienst OSS weitergegeben hat. Die Kenntnis des DDR-Geheimdienstes hierüber wirft neues Licht auf das Verhältnis zum Kommunistenfresser Strauß, der durch den Milliardenkredit letztlich zum Überleben der DDR beitrug.

Das Office of Strategic Services (OSS) war ein neuartiger Geheimdienst, der 1941 nicht vom Militär, sondern von Wallstreet-Eliten gegründet wurde. Kernzelle des OSS war eine Clique patriotischer US-Industrieller um den rechtsgerichteten Kriegshelden General "Wild Bill“ Donovan, die einmal monatlich ihre Erkenntnisse austauschte. Die Führungsebene wurde von den Söhnen dieser Millionäre gestellt, die sich Ehre erwerben wollten. Per Fallschirm sollten OSS-Agenten hinter der Front abgesetzt werden, um mit unkonventionellen Mitteln wie Sabotage, Tarnwaffen und schallgedämpften Pistolen aus dem Hinterhalt zu kämpfen und den Widerstand zu unterstützen. Wirklich ertragreich war allerdings wohl nur der OSS-Agent mit der Nummer 110.

OSS 110 war der vormalige US-Diplomat Allen Welsh Dulles, der mit seinem Bruder John Foster Dulles die Wirtschaftskanzlei Sullivan&Cromwell leitete. Über diese Kanzlei wickelte die Wallstreet das Auslandsgeschäft ab. Sullivan&Cromwell war nach dem Ersten Weltkrieg an Wiederaufbaukrediten für Deutschland beteiligt ("Heidelberg Bonds“) und repräsentierte deutsche Firmen wie das Chemiekartell IG Farben. Bis zum Angriff auf Pearl Harbour hatte sich Allen Dulles gegen einen Kriegseintritt gegen Deutschland ausgesprochen. Aufgrund seiner Kontakte zu deutschen Geschäftsleuten reiste er als OSS 110 im Juni 1942 in die Schweiz, die gerade eingeschlossen wurde. In Bern eröffnete Dulles ein mäßig getarntes Büro als Anlaufstelle für Selbstanbieter und hörte sich in den Salons um.

Dulles erste Quelle aus Deutschland bildete ein Ring homosexueller Adeliger, der die Nazis hasste. Über den einstigen Wehrwirtschaftsführer Eduard Schulte erfuhr Dulles frühzeitig von deutschen Geheimwaffen wie der V2, aber auch vom Holocaust, was die US-Regierung allerdings nicht zu Reaktionen veranlasste. Dulles gewann auch den Agent der Abwehr Hans Bernd Gisevius als Informant. Dulles schätzte den Widerstandswillen der Deutschen unrealistisch hoch ein, was zu einer stretegisch unsinnigen Ausweitung der Luftangriffe auf zivile Ziele führte. Anlagen des Dulles-Freundes Henry Ford hingegen wurden verschont.

Der mit Abstand wichtigste Agent war jedoch der Mitarbeiter des deutschen Außenministeriums Fritz Kolbe, der beschlossen hatte, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Hierzu schmuggelte Kolbe unter Lebensgefahr massenhaft Material in die Schweiz. Dulles hatte auch mit deutschen Militärs und Industriellen über eine Kapitulation verhandelt, die im März 1943 an Präsident Roosevelt scheiterte. OSS 110 stand in Kontakt zum deutschen Widerstand, der Hitler mit Attentaten beseitigen wollte. In den letzten Kriegstagen verhandelte Dulles mit hochbelasteten SS-Leuten über ein Bündnis gegen die Sowjetunion, damals Waffenbruder der USA. Wie viele Militärs war auch Kommunisten-Hasser Dulles der Meinung, den Krieg gegen den falschen Gegner geführt zu haben. Etliche westliche Generäle waren gestimmt, den Krieg gegen die von Hitler geschwächte Rote Armee gemeinsam mit den Deutschen fortzusetzen. So hatte man Stalin die Entschlüsselung der Enigma und entsprechende Erkenntnisse vorenthalten, die der Roten Armee Verluste hätten ersparen können.

Nun hat der Berliner Prof. Enrico Brissa, Jurist und Lehrbeauftragter der Universität Jena, u.a. Akten des Ministeriums für Staatssicherheit und des BND ausgewertet, die den Schluss nahe legen, dass zu den Zuträgern von Dulles auch Franz Josef Strauß gehört haben soll. So soll Strauß im Oktober 1944 mit einer Gruppe von Offizieren der Luftverteidigung heimlich in den Schweizer Grenzort St. Margarethen gereist sein, um geheime Materialien zur Luftverteidigung, unter anderem "einen Luftverteidigungsplan von Würzburg" und "Skizzen der Standorte der Flakbatterien" an Agenten des OSS zu übergeben. Ein halbes Jahr später, am 16. März 1945, erfolgte der schwerste Angriff auf Würzburg, der etwa 5000 Tote forderte und 90 Prozent der Altstadt zerstörte. Bei Kriegsende soll Strauß auftragsgemäß die Sprengungen von Gruben bei Schongau verhindert und einen Teil der Einheiten an der Flakschule aufgelöst und schließlich gemeinsam mit anderen Offizieren eine Panzerabwehreinheit der Hitlerjugend entwaffnet haben.

Sollte der Sachverhalt, über den auch Strauß gesprochen haben soll, zutreffen, so hätte Strauß im Prinzip das Gleiche wie Kolbe getan. Anders als Kolbe, dem man nach dem Krieg als „Verräter“ eine Wiederanstellung versagte und erstmals 2004 posthum offiziell von der Bundesrepublik ehrte, scheint Strauß von seinem US-Kontakt profitiert zu haben.

Erkenntnisse zum Überlaufen des bayrischen Patrioten hatte das Ministerium für Staatssicherheit zusammengetragen und Minister Erich Mielke vorgelegt. Daher dürfte es sich eher nicht um eine vorbereitete Desinformationskampagne für den Westen gehandelt haben, was gegen Strauß nichts Ungewöhnliches gewesen wäre. Die DDR hielt Strauß für "den gefährlichsten und korruptesten Politiker der Bundesrepublik", der ein "Faschist reinsten Wassers“ sei. Seit 1946 etwa nahm Strauß das Geld des reichsten Deutschen Friedrich Flick, der vorher schon die NSdAP geschmiert hatte und bis zur Flickaffäre 1983 auch die westdeutschen Parteien geschmeidig machte.

Das Wissen der DDR über den „Vaterlandsverrat“ des patriotischen Bayern hatte die DDR stets in der Hinterhand behalten, obwohl sie damit dem Ansehen des konservativen Politikers extrem hätte schaden können. Ein Verteidigungsminister, der eigene Soldaten verraten hatte, hätte die Moral ruiniert. Daher liegt der Verdacht nahe, dass dieses Herrschaftswissen als Kompromat gehortet und möglicherweise auch eingesetzt wurde. Der Milliardenkredit und die Geschäfte im Dunstkreis der Straußfamilie mit der DDR erscheinen nun in einem anderen Licht.

Auch der BND war im Bilde. So berichtete der Strauß-Freund Ernest F. Hauser, zwischen 1966 und 1970 für den BND arbeitete, vom KGB zu einem Bericht befragt worden zu sein. So soll dem Bericht nach Leutnant Strauß viermal Agenten aufgesucht und "dem Amerikaner" Pläne von deutschen Flak-Radar-Geräten übergeben haben. Strauß habe selbst einmal gegenüber Hauser hierüber gesprochen. Hauser ist insoweit eine spannende Figur, als dass Hauser den Rüstungskonzern Lockheed-Martin vertreten hatte und im Lockheed-Skandal aussagte, Lockheed habe Strauß und seine Partei 1961 mit 10 Millionen Dollar geschmiert, um die Bundeswehr für den Starfighter zu begeistern. Das für Schönwetter konstruierte Flugzeug kostete 108 Bundeswehrpiloten das Leben.

Für Strauß hatte sich die Freundschaft mit den USA ausgezahlt, auch wenn ihm diese nicht in den vom Verteidigungsminister erstrebten Besitz des atomaren Feuers verschaffte. OSS-Agent Allen Dulles wurde zur grauen Eminenz des neuen US-Geheimdienstes CIA, den er zwischen 1954 und 1963 leitete, gleichzeitig jedoch die Interessen der Mandanten von Sullivan&Cromwell vertrat. Dulles Bruder John Foster Dulles, der die Republikanische Partei prägte, wurde Außenminister und maßgeblicher Architekt des Kalten Kriegs. Die Schwester der Dulles-Brüder Eleonore ging als "Mother of Berlin“ in die Geschichte ein. Über die Nachkriegsgeschichtsschreibung wachte nicht zuletzt das vom BND undercover gegründete Münchner Institut für Zeitgeschichte.

Brissa resümiert, nach derzeitigem Kenntnisstand sei eine Tätigkeit von Strauß für das OSS weder zu beweisen, noch zu widerlegen. Allerdings lässt sich aus internen Sperrvermerken der Dienste schließen, dass Verantwortliche die Anschuldigungen ernst genommen haben dürften. Zudem sind viele Akten vermutlich nicht grundlos vernichtet worden. So steht auch der Bayerische Verfassungsschutz im Verdacht, Anfang 1990 angeblich zum Schutze des Andenkens von Strauß geschreddert zu haben. Auch die der Forschung zugänglichen Archive des Schweizer Nachrichtendienstes waren bislang unergiebig, was erstaunlich ist. So hatten die Schweizer die Agententätigkeit von Dulles vor allem deshalb geduldet, weil die Eidgenossen dessen Telefon abhörten und dadurch als Zaungäste umfassend im Bilde waren.