Der mühsame Gang

Metallische Skorpione, Stabheuschrecken und ein Arm mit pneumatisch betriebenen Muskeln aus dicken schwarzen Schläuchen. Bionik gibt der Robotik neue Impulse.

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Metallische Skorpione, Roboter-Salamander, künstliche Beine auf Laufbändern, ein Arm mit pneumatisch betriebenen Muskeln aus dicken schwarzen Schläuchen. Was auf den ersten Blick wirkt wie aus dem Kabinett des Doktor Caligari, repräsentiert — wenn auch nur in Ausschnitten — das Arbeitsgebiet der bionisch inspirierten Robotik. Rund hundert Experten sind noch bis Freitag im thüringischen Ilmenau versammelt, um über bionisch inspirierte Maschinen und Adaptive Motion in Animals and Machines zu diskutieren.

Denn der scheinbar simple und selbstverständliche Bewegungsapparat von Mensch und Tier gibt der Wissenschaft noch immer eine Menge Rätsel auf. Robotiker sind von den Leistungen der Natur besonders beeindruckt, denn die Bewegungsabläufe sind in der Regel hochgradig adaptiv — passen sich also leicht veränderten Bedingungen an — und sind sehr robust gegenüber Störungen. Zwei Eigenschaften, die gerade in der Robotik sehr gefragt sind.

Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass der Bewegungsapparat von Wirbeltieren weitgehend über das Rückgrat geregelt wird, indem die Muskeln mit Bewegungs-Grundmustern angesteuert werden. Um dieses System im Detail zu verstehen, muss man allerdings noch immer auf recht einfach gebaute Modellwesen wie das Neunauge zurückgreifen. Wie Sten Grillner vom schwedischen Karolinska Institute erläuterte, ist der "Central Pattern Generator” — also die Kombination von Neuronen in der Wirbelsäule, die die Muskeln des Tieres periodisch ansteuern, mittlerweile einigermaßen verstanden. Bis zum Verständnis von Säugetieren ist es allerdings noch ein weiter Schritt. Immerhin hat die Gruppe um Auke Jan Ijspeert von der EPFL Lausanne das Prinzip der Pattern Generation verwendet, um einen verblüffend effizienten und robusten Salamander-Roboter zu konstruieren. Während die CPG-Steuerung vor einigen Jahren noch als exotisch galt, greifen nun immer mehr Gruppen darauf zurück.

Obgleich Tagungspräsident Hartmut Witte mit scherzhaftem Unterton erzählt, die AMAM sei "ursprünglich als eine Art Selbsthilfegruppe gegründet, weil uns ja keiner ernst genommen hat", gibt sich die Community mittlerweile recht selbstsicher. Man ist davon überzeugt, dass die deutsche Forschung auf diesem Gebiet "zur Weltspitze” gehört, denn selbst "die Japaner registrieren aufmerksam, was wir hier machen.”

Auch Professor Oskar von Stryk von der Universität Darmstadt, der unter anderem am humanoiden Roboterfußball-Team Darmstadt Dribblers mitarbeitet, ist davon überzeugt: "Wir können einen Prototypen bauen, der innerhalb von zehn Jahren den japanischen Robotern davondribbelt und dann natürlich auch Weltmeister wird".

Dahinter steckt natürlich weit mehr als nur rein sportlicher Ehrgeiz. Konzepte, die die Community seit Jahren propagiert und austestet wie beispielsweise die Verwendung elastischer Materialien, werden im Roboterbau langsam salonfähig und bieten faszinierende Möglichkeiten. Notwendig dazu war allerdings unter anderem ein in interdisziplinären Projekten wie dem DFG-Schwerpunkt "autonomes Laufen” erarbeitetes Wissen über Steuerung. Kombiniert man dies beispielsweise mit künstlichen pneumatischen Muskeln, erhält man einen Roboterarm, dessen Last/Eigengewicht-Verhältnis die traditionelle Technologie weit in den Schatten stellt.

Kein Zufall also, dass die Tagungsleitung diesmal besonderen Wert auf die Querverbindung der Robotiker zur Bionik legte. Rudolf Bannasch, Leiter des Kompetenznetzwerks BioKoN ist davon überzeugt, dass "die Technik immer organischer wird”. Möglich werde dies durch verbesserte analytische Möglichkeiten "mittlerweile bis hinunter in atomare Auflösungen” und neue "generative Werkstoffe”, die maßgeschneidert molekular hergestellt würden, "statt einfach spanabhebend in das Material reinzugehen”.

Bionik-Altmeister Werner Nachtigall betrachtet die Bionik mittlerweile allerdings mehr als "eine Methode des Denkens” und "Lebensmaxime” denn als eigenständige Wissenschaft oder gar "als Produktplattform”. Um wirklich Fortschritte zu erzielen, sei es notwendig, interdisziplinär zu arbeiten und wieder "konkrete kreative Ideen" zu entwickeln. "Der Ingenieur von heute hat zu wenig Visionen”, schrieb der emeritierte Professor seinem Publikum ins Stammbuch, um dann vehement eine Lanze für die scheinbar zweckfreie Grundlagenforschung zu brechen: "Man darf nicht vergessen, auch wenn man einen Rechercheauftrag aus der Industrie annimmt, dass unsere Hauptaufgabe ist, nicht Bekanntes aus der Biologie bekannt zu machen. Das lässt sich ganz schwer verkaufen, ist aber eine Kulturaufgabe und wir sind eine Kulturnation. Das geht einfach nicht, dass in der Natur Dinge sind, die man nicht kennt. Das gehört sich nicht und ist einfach unakzeptabel.”

Von Wolfgang Stieler (wst)