Repression gegen Fluchthelfer

Während die Willkommenskultur gefeiert wird, werden Menschen kriminalisiert, die Migranten auf den Weg nach Deutschland unterstützen

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Am 2.Oktober wurden wieder einmal Fluchthelfer geehrt. Es ging um Menschen, die vor 1989 DDR-Bürger nach Westberlin gebracht haben. Diese Fluchthelfer sind sehr anerkannt. Aktuelle Fluchthelfer hingegen können kaum mit Lob und Zuspruch rechnen, obwohl doch in den letzten Wochen tausende Menschen froh gewesen wären, wenn sie einfach kostenlos im Auto mitgenommen worden wären. Das bekam beispielsweise ein Oberösterreicher zu spüren.

Nach einem beruflichen Termin entdeckte Produktdesigner Wolfgang Wurm (47) eine Flüchtlingsfamilie beim Autobahnknoten Salzburg-Mitte auf dem Weg nach Deutschland. Er hatte Mitleid mit den Syrern - vier Erwachsene und ein Mädchen - und fuhr sie zur bayrischen Grenze.

31 Stunden in bayerischen Gewahrsam

"Dort fragte ich einen deutschen Polizisten, wo ich die Flüchtlinge hinbringen soll." Wurm wurde sofort festgenommen, verhört, bekam eine Leibesvisitation verpasst und verbrachte sieben Stunden lang in einer Gefängniszelle“, schreiben österreichische Medien. Dabei hatte Wurm noch Glück. Ein Wiener Wissenschaftler müsste gar 31 Stunden in einer bayerischen Zelle verbringen, wie der österreichische Publizist Robert Misik in der taz berichtete. Der Mann, der in dem Artikel Joachim genannt wird, zeigte in den Tagen, in denen die Zeitungen voll von Berichten über Geflüchtete waren, die sich auf dem Weg nach Deutschland machen wollten, einfach Zivilcourage.

"Es sind fünf Leute, eine Frau und vier Männer, jung, Mittzwanziger allesamt, schätze ich", schreibt Joachim in seinem Gedächtnisprotokoll. "Mit dabei auch eine kleine, süße Katze … Sie wollten sie nicht zurücklassen. Ich finde das schon mal super und sympathisch …"

An der bayerischen Grenze wurde ihm schnell klar, dass die Willkommenskultur, über die in diesen Tagen so viel geredet wird, für ihn und seine Mitfahrer nicht galt. Er muss sich nackt ausziehen, Handy und andere Utensilien wurden beschlagnahmt und dann kam der Mann in eine Gemeinschaftzelle mit anderen Menschen, die Freunde abholen wollten und ebenfalls als Fluchthelfer eingesperrt wurden.

In einer Container-Zelle trifft Joachim zwei Leute. "Er wohnt in Innsbruck, sagt der erste, ist nach Wien gefahren, arbeiten. Und heute Nacht zurück. Bei einer Tankstelle haben ihn zwei Leute gefragt, ob er sie nach Deutschland mitnehme. Er sei dann an der Grenze festgenommen worden. Der andere sagt nur: ‚Scheiße, scheiße, scheiße.’ Ich stimme ihm zu."
Ein anderer, der schon vorher in dem Container geschlafen hatte, wird wach. "Er ist Wiener, arbeitet in München. Er ist seit gestern 21 Uhr hier, wütend darüber, dass die Vernehmung noch nicht stattgefunden hat und überhaupt, dass er hier festgehalten werde. Er hat eine Filiale in München und muss diese spätestens um 10 Uhr öffnen." Er und seine beiden Freundinnen haben ihre Fahrgäste - nach Rücksprache mit der österreichischen Polizei! - sogar 300 Meter vor der Grenze aussteigen lassen. Die Freundinnen sitzen jetzt im Frauencontainer.

Zellen quellen über von verhafteten Fluchthelfern

Doch dabei handelt es sich keineswegs um Einzelfälle, die vielleicht durch übereifrige Beamte ausgelöst wurden.

"Helfer und Helferinnen, die Flüchtlinge aus Ungarn nicht bloß zum Wiener Westbahnhof chauffierten, sondern gleich über die bayerische Grenze brachten, werden in vielen Fällen von der Justiz verfolgt. Es liegen mehrere Berichte von Aktivisten vor, die Flüchtlingsfamilien bloß über die bayerische Grenze bringen wollten, dabei sogar direkt Polizeidienststellen ansteuerten, damit die Flüchtlinge Asyl beantragen konnten - und schnurstracks in Haft wanderten. Anschließend das komplette Programm: Handschellen, 48 Stunden U-Haft in den eher harmlosen Fällen, Freilassung gegen Kaution und eine Androhung von zwei Jahren Freiheitsstrafe", schreibt die Taz.

Nach diesen Angaben quellen die bayerischen Gefängnisse über von vermeintlichen Schleppern. 713 lautet die offizielle Zahl der Menschen, die gerade in Haft auf ihren Prozess.warten müssen. Auch Taxifahrer, die Flüchtende zu einem Solidaritätstarif oder zum ortsüblichen Beförderungstarif fuhren, sind in Bayern festgenommen worden. Dass erinnert an eine Kriminalisierungswelle von Taxifahrern aus Zittau, die 1998 angeklagt wurden, weil sie Geflüchtete in Deutschland im Taxi mitnahmen.

Die neuen Staatsfeinde

Es ist schon bezeichnet, dass in einer Zeit, in der ganz Deutschland ein einig Flüchtlingshelferland zu sein scheint und viele Menschen den Geflüchteten applaudierten, die in Sonderzügen über die Grenze gebracht werden, die große Kriminalisierungswelle gegen Fluchthelfer kaum wahrgenommen wird.

Nachdem die Taz über die Festgenommenen und Verhafteten berichtet hatte, warfen Leserbriefschreiber der Zeitung vor, den neuen Wohlfühlpatriotismus zu stören. "Der Erfahrungsbericht einer Einzelperson wird dazu missbraucht, den Umgang Bayerns mit Flüchtlingen und ihren Helfern zu diskreditieren“, heißt es in einem der Schreiben. Hier wird einmal mehr deutlich, wie jede Form von Patriotismus zur Ausgrenzung führt.

Dabei haben die Angeklagten und Verhafteten nur selber in die Hand genommen, was unter dem Label der Willkommenskultur unter den Augen der Weltöffentlichkeit tausendfach praktiziert wurde. Die harten Reaktionen sollen auch eine Warnung an alle sein, die ihren Umgang mit Geflüchteten nicht nach der Staatsraison ausrichten wollten. In der Flüchtlingskrise dürfen Ehrenamtliche viel Arbeit übernehmen, aber selber Entscheidungen dürfen sie nicht treffen.

Wer über die Grenze gewunken wird, darf ausschließlich in dem Ermessen des Staats liegen. Wenn da zivilgesellschaftliche Initiativen selber aktiv werden, müssen sie mit Verfolgung rechnen. Die reiht sich ein in einen langen Kampf gegen sogenannte Schleuser, wie Fluchthelfer genannt werden, wenn sie nicht im Interesse und Auftrag der Staatspolitik handeln.

Der Journalist Stefan Buchen nennt die "Schleuser" gar "die neuen Staatsfeinde". Dort beschreibt er wie Menschen, die syrische Geflüchtete unterstützen wollen, systematisch kriminalisiert werden. Aber es gibt auch nicht nur eine Geschichte der Verfolgung, sondern auch des Widerstands. Die schreiben die Migranten selber, die in den letzten Wochen, die zeitweise offenen Grenzen erkämpft haben.

Dazu gehören aber auch Initiativen wie das Peng-Kollektiv, die Tipps und Ratschläge zur Fluchthilfe geben und damit nicht nur für Aufmerksamkeit, sondern auch für eine Diskursverschiebung sorgten. Zeitweilig war auch in liberalen Medien die Frage zu lesen, warum einerseits Fluchthelfer geehrt werden, die Menschen aus der DDR schleusten und Menschen verfolgt werden, wenn sie Menschen den Weg nach oder in Deutschland zeigen. Die Repression in Bayern und anderswo kann auch als ein Versuch interpretiert werden, hier eine klare Kante zu zeigen und deutlich zu machen, dass der Staat bestimmt, was als Fluchthelfe belohnt und was als Schleuserei bestraf werden soll.