Weiterer Fall eines Beinahe-Atomkriegs aus Versehen während der Kubakrise

Heute vor 53 Jahren erkannte Captain William Bassett einen falschen Einsatzbefehl

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Zu den bislang bekannten Zwischenfällen, Eigenmächtigkeiten und Missverständnissen, welche die Kubakrise beinahe in ein nukleares Ende geführt hätten, muss offenbar ein weiterer Vorfall gerechnet werden. The Intercept und das Bulletin of the Atomic Scientists berichten vom Fall des Air Force Captain William Bassett, der am 28.10.1962, einen Tag nach dem fatalen "Schwarzen Samstag", im entscheidenden Moment seiner Intuition mehr vertraute als den Befehlen.

Bassett war Senior Field Officer der 498th Tactical Missile Group auf einer geheimen Raketenabschussbasis Basis in Okinawa, wo er für 32 mit nuklearen Gefechtsköpfen bestückte Cruise Missiles verantwortlich war. Der Zeitzeuge John Bordne, heute 74 Jahre alt, berichtete gestern anlässlich einer Veranstaltung bei den Vereinten Nationen zur Kubakrise über die angespannten Situation.

So sei es damals üblich gewesen, dass routinemäßig eine Wettermeldung und ein Zahlencode von der benachbarten Zentrale gefunkt wurde. Normalerweise habe der der erste Teil des Zahlencodes nicht zu denen der Codebücher gepasst, sondern nur im Ausnahmefall zu Trainingszwecken oder im Ernstfall. Doch an jenem Sonntag habe der erste Teil gepasst. Dies habe signalisierte, dass ein Einsatz zu erwarten sei. Auch der zweite Teil der Zahlenreihe stimmte mit dem Code überein - erstmals. Dies autorisierte die Crew, die versiegelten Codes für den dritte Teil sowie den Umschlag für die Ziele zu öffnen. Dieser dritte Code enthielt die Autorisierung, die Raketen zu starten. Auch der dritte Teil der Zahlenreihe stimmte mit dem versiegelten Code überein.

Bassett jedoch wurde misstrauisch, weil der scheinbare Abschussbefehl während der zweithöchsten Alamrstufe DEFCON 2 eintraf, obwohl im Kriegsfall DEFCON 1 zu erwarten gewesen wäre. Seinem Befehl, den Abschuss zu verzögern, widersprach ein Lieutenant, der Bassets Autorität hierzu anzweifelte und die ihm unterstehenden vier Raketen dennoch starten wollte. Bassett drohte dem Mann mit Erschießung.

Statt das nukleare Inferno abzuschießen, hielt Basset telefonisch Rücksprache mit dem Major, der die Codes versandt hatte. Nachdem dieser seine Fehler eingeräumt hatte, bestätigte der Major den Rückzieher. Für sein Versagen musste sich der Major vor einem Militärgericht verantworten. Bassett verstarb 2011. Die Dokumente zu dem Vorfall sind noch immer geheim. Da seinerzeit die Militärs des Pentagon eigenmächtig Kennedys Weisungen hintertrieben und etwa Air Force General Le May offen einen Nuklearangriff forderte, könnte eine Aktenfreigabe über die Ursache des irrtümlichen Befehls interessant werden.

Die vom Nuklearsicherheitsexperten Bruce Blair bestätigte Leistung Bassetts steht einer Linie mit der des russischen Marineoffiziers Wassili Alexandrowitsch Archipow, der einen Tag zuvor den Einsatz eines Nukleartorpedos verhinderte. Archipows getauchtes U-Boot war von der US-Marine mit nicht als solchen erkennbaren Übungswasserbomben angegriffen worden, wobei die beiden anderen der drei an Bord Verantwortlichen für den Einsatz gestimmt hatten. Noch dramatischer waren die Verhältnisse 1983, als während einer auf eine halbe Stunde begrenzten Vorwarnzeit der russische Offizier Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow einen Fehlalarm zutreffend deutete und keine ggf. nur schwer aufhaltbare Befehlskette riskierte.