Obergrenzen für Flüchtlinge als Angst vor Rechtsruck in Deutschland?

Zur Kritik an der Intervention des Zentralrats der Juden

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Die Debatte um eine Begrenzung die Zahl der Geflüchteten in Deutschland geht nach dem CSU-Parteitag weiter. Am Montag hat auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, eine Obergrenze als unvermeidlich bezeichnet. Zur Diskussion über die Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Deutschland erklärte er:

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist weiterhin der Überzeugung, dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen muss. Wer asylberechtigt ist, muss auch Asyl erhalten. Zum Grundrecht auf Asyl gehören meines Erachtens aber zwei Aspekte dazu: Wir müssen die Flüchtlinge auch menschenwürdig versorgen können und müssen in der Lage sein, sie erfolgreich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Daher werden wir um eine Begrenzung oder Kontingentierung der Zuwanderung auf die Dauer nicht herumkommen. Eine gerechte Verteilung in der EU sowie eine Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge müssen damit einhergehen.

In einem Welt-Interview begründete Schuster seine Initiative für Obergrenzen:

Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind. Denken Sie nicht nur an die Juden, denken Sie an die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder den Umgang mit Homosexuellen.

Kritik an dieser Intervention kam prompt von der zivilgesellschaftlichen Organisation Pro Asyl. Die Organisation warnt vor einer sich verselbstständigenden Debatte über Obergrenzen.

Die diffuse Forderung danach verschleiert die Tatsache, dass dafür die Grenzen geschlossen und Schutzsuchende abgewiesen werden müssten. Damit würde de facto die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) außer Kraft gesetzt.

Im Anschluss wird die Kritik härter: "Diese Debatte spielt Rechtspopulisten und Rechtsextremen in die Hände", sagt PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt.

Rechtsextreme zielen darauf, Menschenrechte für Asylsuchende außer Kraft zu setzen und damit die demokratische Grundordnung zu beseitigen. PRO ASYL fordert die Befürworter der "Obergrenze" auf, zu erläutern, wie ihre Forderung ohne Außerkraftsetzung von Menschen- und Völkerrecht umgesetzt werden soll.

Agiert der Zentralrat rassistisch?

Noch schärfer ging ein Kommentator in der Print-Ausgabe der Taz mit dem Zentralrat wegen seiner Initiative ins Gericht und endet mit einem Rassismusvorwurf:

Vergessen wir das idyllische Bild eines Zentralrats, der sich für die Unterdrückten dieser Welt einsetzt, der sich dem wichtigsten jüdischen Gebot der Nächstenliebe verbunden fühlt. Seien wir ehrlich miteinander: Mein Vorschlag wäre, dass sich der Zentralrat der Juden zum Zentralrat der rassistischen Juden umbenennt. Die Frage lautet dann: Wer wird, uns antirassistische Juden vertreten?

Nun braucht es in Deutschland oft jüdische Antirassisten wie den Kommentator, damit sie das über Israel und nun den Zentral der Juden in Deutschland sagen können, was viele Deutsche denken, sich aber noch nicht zu sagen trauen. Mit dem eben zitierten Kommentator haben sie einen jüdischen Gewährsmann, auf den sie sich dann gerne berufen können.

In diesem Fall wird das Dilemma des jüdischen Antirassisten Armin Langer besonders deutlich, der sich natürlich mit Recht auf die kosmopolitische jüdische Tradition beruft. Sie hat dazu geführt hat, dass beispielsweise in den USA viele Jüdinnen und Juden in den 1960er und 1970er Jahren auf Seiten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung standen. Dass auch dort die Bündnisse zerbrochen ist, liegt auch am Rechtsruck in den großen jüdischen Gemeinden, aber auch daran, dass in den Teilen der schwarzen Bewegungen virulenter Antisemitismus herrschte.

Immer gegen Rassismus ausgesprochen

Der Zentralrat der Juden hat sich in der Vergangenheit immer gegen Rassismus engagiert. Der Zentralrat der Juden hatte nie die Aufgabe, sich für alle Unterdrückten der Welt, sondern für die Belange der Jüdinnen und Juden in Deutschland einzusetzen. Dass er sich in der Ära von Ignaz Bubis und Michel Friedman besonders exponiert als Teil einer Zivilgesellschaft gegen Rechts verstand, war von der politischen Analyse bestimmt, dass Antisemitismus und Rassismus nicht identisch, aber oft miteinander verwoben sind.

So sorgte es für große Aufmerksamkeit, dass Anfang der 1990er Jahre der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignaz Bubis, das von Neonazis und besorgten Bürgern angegriffene Wohnheim für Migranten in Rostock besuchte. Die liberale Zivilgesellschaft schätzte diese Geste, die Rechten hassten Bubis dafür umso mehr.

Auch in der jüngsten Vergangenheit hat sich der Zentral der Juden immer gegen Rassismus und Rechtspopulismus ausgesprochen und auch die Pegida-Aufmärsche heftig kritisiert. Gleichzeitig wurde beim Zentralrat auch die Sorge artikuliert, dass durch die Zuwanderung aus dem arabischen Raum der dort virulente Israelhass und der Antisemitismus exportiert werden könnten.

Führende Mitglieder des Zentralrats der Juden betonten immer, dass einer solchen Gefahr vorgebeugt werden könnte, wenn die Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft integriert werden. Dazu gehört auch der Umgang mit der NS-Geschichte und der Shoah. Ist die jüngste Erklärung des Zentralrats der Juden also ein Bruch mit der bisherigen Politik? Wohl kaum.

Es scheint eher so, dass dort der Optimismus, dass die Integration relativ reibungslos vonstatten geht, beim Zentralrat verlorengehen könnte. Es wächst die Angst, dass der Rechtspopulismus in Deutschland erstarken könnte. Selbst wenn auf Pegida-Demonstrationen gelegentlich Israel-Fahnen gezeigt werden, wird der Antisemitismus dort nur notdürftig versteckt. So dürfte beim Zentralrat der Juden auch die Sorge bestehen, dass der Rechtspopulismus und so auch der Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft zunehmen könnten, wenn keine Obergrenze für Geflüchtete benannt wird.

Diese Sorge teilt der Zentralrat auch mit dem rechtspolitischen Korrespondenten der Taz, Christian Rath, der seine Forderung nach Obergrenzen für Geflüchtete so begründet:

Falls aber auf eine Obergrenze verzichtet wird und die Flüchtlingszahlen weiter steigen, wäre der gesellschaftliche Rechtsruck kaum aufzuhalten. Sollte erst einmal die AfD in Sachsen regieren und sie im Bund 23 Prozent erzielen, so würde wohl auch die dann dekretierte Obergrenze ganz anders aussehen. Allenfalls würden dann noch 10.000 Christen aus dem Irak aufgenommen. Wenn jetzt auf Obergrenzen verzichtet würde, brächte dies also wohl nur einen recht kurzfristigen humanitären Vorteil.

Nun steht sein Kommentar auf der gleichen Seite in der Taz wie der Rassismusvorwurf an den Zentralrat der Juden, weil er die gleiche Forderung aufstellte. Da kann man sich schon fragen, warum dort statt der Angriffe auf den Zentralrat nicht eine Gegenposition zu Rath platziert wurde. Dabei wäre eine antirassistische Kritik an den Forderungen nach Obergrenzen genau so wichtig, wie an der Kontingentlösung, die manche als humanere Alternative, manche als Synonym oder Ergänzung für die Obergrenzen, verstehen.

Doch um welches Modell auch immer es sich handelt, die Rechte der Geflüchteten werden eingeschränkt. Die Kritik an solchen Positionen sollte, egal von welcher Seite die Vorschläge kommen, klar benannt werden. Nun aber besonders und explizit auf den Zentralrat der Juden einzuschlagen, ist sicher kein Beitrag zum Antirassismus.