Kurdische Autonomieregierung verweigert humanitären Helfern die Einreise nach Rojava

Die Blockade trifft die Gesundheitsversorgung und gilt speziell für das selbst verwaltete autonome Gebiet Rojava. Die Bundesregierung kümmert das nicht

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Seit drei Wochen sitzen 13 internationale Helfer und Helferinnen in der kurdischen Autonomieregion fest. Die drei Frauen und zehn Männer aus Marokko, Tunesien und Deutschland wollen zur Fertigstellung des Gesundheits- und Sozialzentrums nach Kobanê. Sie führen nicht nur das dort dringend benötigte Material mit, auch die notwendigen Fachleute sind mit dabei. Die meisten Helfer und Fachleute haben sich für diesen Einsatz Urlaub genommen, alle arbeiten ehrenamtlich und tragen ihre Kosten selbst.

In einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel bitten sie um Unterstützung:

…Als Bundesregierung unterstreichen Sie berechtigt die Bedeutung, die Fluchtursachen zu beseitigen. Genau darauf zielt unser Projekt. Inzwischen gibt es aber sogar ein faktisches Einfuhr-Embargo gegen das selbst verwaltete autonome Gebiet Rojava. Bisher haben wir von Ihnen keinerlei Unterstützung erhalten, obwohl Sie über unsere Situation informiert sind!...2.Damit die Menschen nach Kobanê zurückkehren können, brauchen sie eine Gesundheitsversorgung. Dabei leistet unser Zentrum einen wichtigen Beitrag, unter anderem mit fünf ärztlichen Praxen, Apotheke, einem OP-Saal. Es gibt in ganz Kobanê keinen Zahnarzt. Wir wollen eine Praxis einrichten...3. Es ist völkerrechtlich verbrieftes Recht, humanitäre Hilfe zu leisten und zu erhalten. Es geht uns nicht um Abenteuer, sondern um einen völkerrechtlich abgesicherten humanitären Einsatz.…4. Die französische Regierung versprach allen Kämpfern gegen den IS Unterstützung. Gilt das für die deutsche Regierung nicht? Den Opfern des terroristischen Anschlags von Paris wurde völlig zu Recht jede medizinische Hilfe zuteil. Durch das Embargo gegenüber Rojava geht den Lazaretten der YPG/YPJ das Material aus. Es droht sogar Hunger….“ (Auszug aus dem Offenen Brief)

Der Solidaritäts- und Förderverein "Gesundheitszentrum Kobanê“ hat offiziell Klage gegen die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt wegen unterlassener humanitärer Hilfeleistung eingereicht.
In einer Pressemitteilung vom des Vereins heißt es dazu:

Mit dem Eilantrag soll erreicht werden, dass die deutsche Regierung diplomatische Maßnahmen ergreift, um den humanitären Helfern den Zugang zu der Stadt Kobanê in Rojava/Nordsyrien zu ermöglichen. Mit rund 20 Anfragen an das Auswärtige Amt, die Deutsche Botschaft in Ankara sowie das Deutsche Generalkonsulat in Erbil/Nordirak wurde jeweils um praktische Unterstützung für die Entsendung der Helfer oder den Transport von Hilfsgütern gebeten. Die Anfragen wurden überwiegend nicht beantwortet. Eine praktische Unterstützung erfolgte in keinem Fall.
Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die völkerrechtliche Verpflichtung, die auch auf EU-Ebene im "Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe" (Amtsblatt der EU 2008/C/25/01) ihren Niederschlag gefunden hat. Dazu heißt es in Teil I 1. (Abschnitt 8):
„Die humanitäre Hilfe der EU umfasst neben Hilfs-, Rettungs- und Schutzaktionen zur Rettung und Erhaltung von Menschenleben in und unmittelbar nach humanitären Krisen auch Maßnahmen, die den ungehinderten Zugang zu bedürftigen Bevölkerungsgruppen und die ungehinderte Beförderung der Hilfe erleichtern oder ermöglichen.“
Aus alledem resultiert die völkerrechtliche Verpflichtung, die Regierung der Autonomen Region Kurdistan-Irak um die Genehmigung des Grenzübertritts für das humanitäre Hilfspersonal des Antragstellers zu ersuchen und hierzu die erforderlichen diplomatischen Schritte durch die deutsche Bundesregierung zu ergreifen.

Es ist eine fadenscheinige Argumentation des Auswärtigen Amtes mit der Reisewarnung für Touristen von humanitären Hilfsaktionen abzuraten. Welchen Sinn hat eine humanitäre Hilfsorganisation, wenn sie nicht in die Krisengebiete reisen darf, um vor Ort zu helfen? Warum gilt dies nicht für die humanitäre Hilfe im Irak und bzw. in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak?

Auch medico international klagt über das Embargo seitens der Türkei und der kurdischen Autonomieregierung. Die Hilfsorganisation ist seit dem Beginn der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava und speziell in Kobanê aktiv. Auch sie arbeitet mit den lokalen Ärzten und der Stadtverwaltung am Aufbau eines Gesundheitssystems in Rojava. Sie lieferte Medikamente und medizinisches Gerät vorwiegend über die Türkei in alle drei Kantone.

Die medico-Mitarbeiter wurden dabei immer wieder von den türkischen Behörden an der Einreise gehindert, so dass ihnen oft nur der lebensgefährliche Weg über die "grüne Grenze blieb". Über die irakische Autonomieregion versorgten sie ezidische Flüchtlinge in der Region Cizire/Rojava mit Lebensmittelpaketen. Zurzeit arbeiten sie an einer städtischen Gesundheitsstation in Kobanê. Medico international finanziert viele Projekte in Krisengebieten zum großen Teil über Spenden wie auch über Stiftungen und andere öffentliche und private Institutionen (Heinrich Böll Stiftung, Rosa Luxemburg Stiftung, Misereor, Brot für die Welt). Zuschüsse für Projekte z.B. im Libanon oder Algerien wurden auch vom Auswärtigen Amt und BMZ genehmigt, aber Projekte in Rojava werden mit Hinweis auf Krisensituation als nicht förderwürdig abgelehnt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Auswärtige Amt vor wenigen Tagen ein neues Projekt zusammen mit dem Technischen Hilfswerk (THW) angekündigt hat, mit dem syrische Flüchtling in Deutschland u.a. als spätere Wiederaufbaukräfte in Syrien ausgebildet werden sollen. Das AA schreibt zu diesem Projekt:

Flüchtlinge in diese Ausbildungsangebote einzubinden, ist nicht nur ein Beitrag zur Integration in unseren Gemeinden. Es ist auch eine Investition in den Wiederaufbau Syriens, damit Städte und Dörfer schnellstmöglich wieder bewohnbar gemacht werden und Menschen nach Hause zurückkehren können, sobald das zumindest in Teilen des Landes wieder möglich wird.

Das Auswärtige Amt sollte nun aber auch sicherstellen, dass die Türkei nach Rojava, dem Teil Syriens, in den viele Flüchtlinge bereits zurückkehren können, endlich im notwendigen Umfang humanitäre Hilfsgüter durchlässt.