Anspannung vor Antritt des neuen Parlaments in Venezuela

Streit um vorübergehende Suspendierung von Abgeordneten überschattet politischen Wechsel in der Nationalversammlung. Beide Seiten wollen demonstrieren

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In Venezuela stehen am heutigen Tag der Vereidigung eines neuen Parlaments die Zeichen auf Sturm: Grund dafür ist die Entscheidung der Wahlkammer des Obersten Gerichtshofes (TSJ), eine Beschwerde aus den Reihen der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei (PSUV) über mutmaßliche Unregelmäßigkeiten in südlichen Bundesstaat Amazonas anzunehmen. Dort soll es zum Kauf von Stimmen gekommen sein.

In Folge der Entscheidung vom Mittwoch wurde allen am 6. Dezember gewählten Abgeordneten aus Amazonas die Vereidigung am Dienstag untersagt. Die PSUV-Fraktion verkleinert sich damit bis zur Klärung des Sachverhalts von 55 auf 54 Mandate. Das oppositionelle Bündnis "Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD) muss vorerst auf drei Abgeordnete verzichten – und verliert damit die Zweidrittelmehrheit, die ihr weitgehende Eingriffsrechte in das Gesetzgebungsverfahren und die staatliche institutionelle Ordnung gegeben hätte.

Angesichts der Entscheidung des TSJ geht der MUD nun auf Konfrontationskurs. In einem Kommuniqué widersprach das Bündnis der vorübergehenden Suspendierung der Abgeordneten aus Amazonas nun direkt. Der Oberste Gerichtshof habe kein Recht, in die Zusammensetzung des vom Volk gewählten Parlaments einzugreifen.

Bei der heutigen konstituierenden Sitzung der neuen Nationalversammlung will die oppositionelle Mehrheit geschlossen mit 112 Abgeordneten antreten – also auch mit den drei suspendierten Mandatsträgern aus Amazonas.

Begleitet werden sollen die neuen Abgeordneten von einer Demonstration ihrer Anhänger, die bis vor den Sitz des Parlaments im Zentrum von Caracas führen wird. Das Problem: Auch die Anhänger der PSUV und Präsident Nicolás Maduro haben mobilisiert. Zwei Demonstrationen der gegnerischen Lager im Zentrum der Hautstadt – im April 2002 hatte das zu blutigen Auseinandersetzungen und einem Putschversuch gegen den damaligen Präsidenten Hugo Chávez geführt.

Viel Beachtung fand vor diesem Hintergrund der Aufruf führender Vertreter der Opposition an die Armee, sie möge das ihrer Meinung nach legitime Wahlergebnis vom 6. Dezember verteidigen. Die Streitkräfte müssten der "offenen Rebellion" gegen das Wahlergebnis entgegentreten, forderte der mehrfache Präsidentschaftskandidat der Opposition und Gouverneur des Staates Miranda, Henrique Capriles.

Einem Eingreifen der Armee in den politisch-juristischen Streit erteilte Verteidigungsminister Vladimir Padrino Lopez aber bereits eine Absage. Die Streitkräfte würden sich nicht dafür hergeben, die Legitimität der demokratischen Institutionen des Landes abzuerkennen, kommentierte er über den Kurznachrichtendienst Twitter. Im Übrigen sollten die politischen Akteure die Armee aus dem Streit um die Etablierung der Nationalversammlung heraushalten.

Präsident Maduro rief beide politische Lager indes zur Ruhe auf. Er habe Innenminister Gustavo González dazu gebeten, einen ruhigen und friedlichen Übergang im Parlament zu gewährleisten. Bei einer im Fernsehen übertragenen Rede sagte Maduro, alle Akteure sollten "Provokationen vermeiden".