NSU-Angeklagter Ralf Wohlleben: Aussagen werden zum Bumerang

Statt einer Entlastung bestätigt der Jenaer Neonazi unfreiwillig die Vorwürfe gegen ihn

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Ralf Wohlleben hat sich vor Gericht um Kopf und Kragen geredet. Die Befragung, der er sich freiwillig gestellt hat, ging am Donnerstag (14. Januar) weiter und endete am Nachmittag. Das Gericht hatte genug gehört. Dass danach die Ankläger der Bundesanwaltschaft keinerlei Fragen an den Angeklagten hatten, muss nicht überraschen. Aber auch für die Nebenkläger, die den Prozess mit ihren Initiativen immer wieder antreiben, hatte sich Vieles erledigt – im Sinne der Anklage.

Was von der Wohlleben-Verteidigung als Befreiungsschlag gedacht war, erwies sich als Rohrkrepierer oder schlimmer: als eine Aktion, die anzunehmender weise auf den Angeklagten zurückfallen wird. Unfreiwillig hat er viele Sachverhalte bestätigt, vor allem im Zusammenhang mit Geld- und Waffenbeschaffung für das untergetauchte Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe.

„Der Wahrheit eine Gasse: Ralf Wohlleben wird sein Schweigen brechen“ – so hatten seine drei Verteidiger Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfgang Nahrath Ende November 2015 die Einlassung ihres Mandanten angekündigt. Eine eigene Wahrheit hat der aber nicht geliefert.

Durchgängiges Merkmal des wohllebenschen Aussageverhaltens war nicht, zu sagen: ‘So war es nicht‘, oder: ‘Ich war nicht dabei‘ - und dafür Belege zu liefern. Sondern er bekundete: „Kann sein, dass es so war, aber ich habe keine Erinnerung mehr“ (vgl. NSU-Prozess: Stress für Ralf Wohlleben). Er hat also Sachverhalte nicht ausgeräumt, sondern indirekt bestätigt.

Zu einer Suizidabsicht passt der Schalldämpfer nicht

Schon am ersten Tag gestand Wohlleben ein, von der Lieferung einer Pistole zumindest gewusst zu haben. Er gab zwar vor, davon ausgegangen zu sein, Böhnhardt wolle die Pistole, um sich im Falle einer drohenden Festnahme zu erschießen. Nur: Zu einer Suizidabsicht passt der Schalldämpfer nicht, der bei dem Schießgerät dabei war und den er eigenhändig aufgeschraubt hat. Einen Schalldämpfer braucht man, wenn man die Waffe gegen jemand anderes richten will.

Am zweiten Tag ging der unfreiwillige Bestätigungsreigen Wohllebens rundum weiter. Er gab zu, auch vom Transport einer zweiten Waffe nach Chemnitz durch Holger Gerlach gewusst zu haben. Er bestätigte, in Geldbeschaffungen involviert gewesen zu sein. Nannte Namen von Kurieren, wie Jürgen H. oder Carsten Schultze und schloss nicht aus, den Dreien selber eine Summe überbracht zu haben. Er bestätigte die Fluchtpläne Böhnhardts und Mundlos‘ und den Plan Zschäpes, sich zu stellen. Erwähnte Personen, die die Flucht mit organisieren sollten, unter anderem André Kapke und Torsten Heise. Gab zu, gewusst zu haben, dass die Eltern Böhnhardt ihren Sohn im Untergrund trafen. Und dass das Trio ein Umfeld hatte: Leute, die in die Illegalität eingeweiht waren, bei denen die drei aus Jena wohnten.

Wohlleben selber will noch bis zum Frühjahr 2001 persönlich in Verbindung zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gestanden haben, also mehr als drei Jahre nach ihrem Abtauchen. Doch danach will er dann keinerlei Kontakt mehr gehabt haben. Der Zeitpunkt fällt auffällig mit der Enttarnung und der Abschaltung Tino Brandts als V-Mann 2001 zusammen. Bis dahin existieren zahlreiche Meldungen Brandts an den thüringischen Verfassungsschutz unter anderem zur Frage der Finanzierung der drei und der Rolle Wohllebens dabei. Auch Inhalte dieser Meldungen bestätigte er. Alles in allem: Wohlleben wurde zum Zeugen der bisher bekannten Geschichte des Trios in Sachsen – er inbegriffen. Er gab eine Art unerklärtes Geständnis ab.

Ein "prozessualer Selbstmord" und viele ungeklärte Fragen

Wie Beate Zschäpe habe nun auch Ralf Wohlleben „prozessualen Selbstmord“ begangen, urteilten Nebenklage-Anwälte nach Ende der Sitzung. Sie hatten deshalb keinen großen Nachfragebedarf an den Angeklagten. Für sie hatte sich die Sache erledigt.

Viele andere Fragen des NSU-Komplexes bleiben aber weiter unbeantwortet. Für die Zeit nach 2001 werden die Spuren des Trios, aber vor allem der zwei Uwe, dünner. Wie nahe war Tino Brandt dem Trio? Warum wurde er enttarnt und dadurch aus dem Verkehr gezogen? Mit der Abschaltung Brandts enden die Belege für die Verbindung Wohllebens zum Trio – Zufall?

Oder Fragen zum Beispiel zur „Operation Rennsteig“, mittels der das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen in der Neonazi-Szene V-Leute rekrutierten. Auf der Liste der insgesamt 73 Zielpersonen finden sich unter anderem die Namen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Holger Gerlach und Ralf Wohlleben - sowie von Marcel Degner, der V-Mann war. Vor Degners Name befinden sich zwei Häkchen – ebenso wie vor den Namen von Mundlos, Gerlach und Wohlleben. Vor dem Namen von Böhnhardt dagegen steht eine durchgestrichene Null. Was bedeutet das? Wurden Mundlos, Gerlach und auch Wohlleben auf eine Zusammenarbeit angesprochen? Und was folgte daraus? Fragen, die in München nicht gestellt wurden, aber denen die Untersuchungsausschüsse nachgehen sollten.

Der Prozess geht am 20. Januar weiter. Dann will die Verteidigung von Beate Zschäpe deren Antworten auf die etwa 60 Fragen des Gerichtes verlesen. Sie enthielten auch Überraschendes, hieß es im Umfeld der Zschäpe-Verteidigung. Manchmal dauert es lange, aber nun hat der Dampfkessel begonnen zu pfeifen.