Taiwan: Schwere Niederlage für nationalchinesische Partei

Erstmalig wird der Inselstaat von einer Frau regiert werden, der eine schwierige Gratwanderung zwischen den Unabhängigkeitswünschen ihrer Basis und dem Druck Chinas bevorsteht

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Auf Taiwan wurde am Samstag Tsai Ing-wen, die Kandidatin der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), zur neuen Präsidentin gewählt. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Nach Angaben der Taipeh Times erhielt sie 56,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ihr wichtigster Konkurrent Eric Chu von der Nationalistischen Partei (Kuomintang, KMT) erhielt hingegen nur 31 Prozent. 12,8 Prozent stimmten für James Soong von der People First Party (PFP), einer ebenfalls konservativen Partei, die sich 2000 von der KMT abgespalten hat.

Bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen gewann Tsais DPP 68 der 113 Sitze und somit eine komfortable Mehrheit. Die KMT stürzte hingegen von 64 auf 35 Sitze ab. Einen spektakulären Achtungserfolg erzielte die erst vor einem knappen Jahr gegründete New Power Party (Shidai Liliiang), die alle drei aufgestellten Direktkandidaten durchbringen und zwei weitere Mandate erzielte, da sie landesweit die Fünf-Prozent-Hürde übersprang. Die Partei war aus der jüngsten Studentenbewegung des Landes hervorgegangen, die sich an einem Handelsabkommen mit der benachbarten Volksrepublik China entzündet hatte. Sie tritt vor allem für demokratische und Bürgerrechte sowie die formelle Unabhängigkeit des Landes ein.

Die offizielle Bezeichnung Taiwans ist Republik China. Der Staat steht damit in der Tradition der im chinesischen Bürgerkrieg 1945 bis 1949 unterlegenen und von der KMT geführten Regierung, die sich seinerzeit mit zahlreichen Anhängern auf die dem Festland vorgelagerte Insel flüchtete. Bis starke Studenten- und Arbeiterunruhen in den 1980er Jahren eine Demokratisierung erzwangen, regierte die KMT mit einer eng mit dem Westen verbündeten Militärdiktatur und richtete gegen Kriegsende auch einige Massaker an der Zivilbevölkerung an, um ihre Macht zu festigen.

Während die Regierung in Beijing (Peking) in Taiwan eine abtrünnige Provinz sieht und zum Beispiel dessen Mitgliedschaft in der UNO verhindert sowie Taiwans diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten hintertreibt, ist die taiwanesische Öffentlichkeit und ihre politische Parteien gespalten. Vor allem die KMT und PFP halten in der Fiktion eines einheitlichen Chinas fest und haben daher in den letzten Jahren eine verstärkte Zusammenarbeit mit Beijing gesucht.

Die DPP ist hingegen seinerzeit aus dem Kampf gegen die Militärdiktatur hervorgegangen, auch wenn ihre Politik sich heute oft gegen Gewerkschaften richtet. Ihre Mitgliedschaft befürwortet meist die Unabhängigkeit, allerdings haben sich die bisherigen DPP-Regierungen aufgrund des Drucks der Volksrepublik weitgehend zurückgehalten und lediglich versucht, den Status quo zu festigen.

Entsprechend sind auf diesem Gebiet die größten Unterschiede der Präsidentschaftskandidaten zu sehen. Daneben vertreten die drei großen Parteien vor allem Wirtschaftsinteressen, wobei die KMT mit diesen sozusagen organisch verwachsen ist. Sie gilt als die weltweit reichste Parteiorganisation. Ansonsten gilt die Präsidenten in spe - Amtseinführung wird erst am 20. Mai sein - als Bewunderin der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, deren Regierungszeit sich durch zahlreiche Privatisierungen öffentlicher Betriebe, Abbau sozialer Errungenschaften ihrer sozialdemokratischen Vorgängerregierungen, heftige Angriffe auf Gewerkschaften und einen Krieg gegen Argentinien auszeichnete.

Nur rund zwei Prozent der Taiwanesen stammen von malaiischen Einwohnern ab, die bis ins 17. Jahrhundert die Mehrheit darstellten. Zu dieser Zeit wanderten in verschiedenen Wellen Chinesen vom benachbarten Festland ein, sodass heute das südchinesische Hokkien die am meisten gesprochene Sprache ist. 84 Prozent der Taiwanesen stammen von diesen neuzeitlichen Immigranten ab. Weitere rund 14 Prozent der 23,4 Millionen Einwohner sind Nachfahren der Militärs und KMT-Anhänger, die nach dem Ende des Bürgerkriegs auf die Insel kamen.