China: Yuan unter Druck

Wirtschaft wuchs 2015 um 6,9 Prozent. Exporte stabilisieren sich. Hoher Kapitalabfluss aufgrund von Abwertungserwartungen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Chinas offizielle Wirtschaftsdaten für 2015 liegen vor, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Demnach wuchs die Wirtschaft der Volksrepublik im vergangenen Jahr um 6,9 Prozent und verfehlte damit knapp die Zielmarke von 7,0 Prozent. Das war der geringste prozentuale Zuwachs seit den Krisenjahren Anfang der 1990er. In absoluten Zahlen ist es aber noch immer eine beachtliche Expansion.

Der Agenturtext weist außerdem daraufhin, dass im vierten Quartal das Wachstum nur 6,8 Prozent betragen habe und es Anzeichen gebe, die Konjunktur könnte im Dezember weiter zurückgegangen sein. Schwache Exporte, Überkapazitäten, weniger Investitionen, ein schwacher Immobilienmarkt und ein hohes Verschuldungsniveau werden als Probleme benannt, wobei die Immobilienpreise im Dezember weiter angezogen haben, wie China Daily berichtet.

Über die jüngste Entwicklung der Ausfuhren gibt es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Berichte. Die Nachrichtenagentur Bloomberg vermeldet für den Dezember nach neun Monaten des Rückgangs einen leichten Anstieg der Exporte im Verhältnis zum Vorjahresmonat. An anderer Stelle ist hingegen von einem weiteren Rückgang die Rede.

Beide Angaben sind richtig und zeigen, dass man bei ökonomischen Daten auf die Details achten muss: Bloomberg rechnet in Yuan, die andere Quelle (tradingeconomics.com) in US-Dollar. Um die Dynamik der chinesischen Wirtschaft besser zu verstehen, ist sicherlich der Blick auf die Angaben in Yuan wichtiger, um das Gewicht der chinesischen Wirtschaft zu begreifen hingegen die Dollar-Angaben.

Allerdings muss auch da genauer hingeschaut werden. Immerhin hat der Yuan wegen seiner engen Bindung an den US-Dollar gegenüber den meisten Währungen, insbesondere auch gegenüber dem Euro, in den vergangenen eineinhalb Jahren stark aufgewertet. Das erklärt vermutlich zum Teil die Exportschwäche, bedeutet aber auch, dass ein chinesischer Exporteur im Dezember 2015 für 100 eingenommene US-Dollar Waren im Wert von 92,1 Euro kaufen konnte, während er ein Jahr zuvor nur Waren im Wert von 81 Euro bekam. Gegenüber dem Euroraum hat sich die chinesische Kaufkraft also verstärkt.

Das wiederum könnte neben den zurückgehenden Investitionen und der lahmen Entwicklung des produzierenden Gewerbes ein weiterer Grund für den Rückgang der chinesischen Importe sein. Die ließen – in US-Dollar gerechnet – im Dezember um 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat nach. Auch in den Vormonaten waren die Einfuhren stärker als die Ausfuhren geschrumpft, so dass der Handelsbilanzüberschuss 2015 auf knapp 600 Milliarden US-Dollar anwuchs.

Das hilft dem Land offensichtlich, die Kapitalabflüsse der letzten Monate zu verkraften. Anleger stoßen, wie es aussieht, derzeit chinesische Wertpapiere ab, weil sie von einer Überbewertung des Yuan ausgehen. Im November hatte sich die Absatzbewegung verdreifacht und im Dezember noch einmal zugelegt. Von Milliarden US-Dollar die derzeit monatlich das Land verlassen würden, ist die Rede. (Gleichzeitig gab es aber, wie berichtet, einen Rekordzufluss von ausländischen Direktinvestitionen.)

Die Regierung befindet sich also in einer Zwickmühle

Zum einen will die chinesische Regierung den Yuan zur frei konvertierbaren Währung machen, wozu sie unter anderem auch durch seine im Herbst erfolgte Aufnahme in den Korb der Referenzwährungen des Internationalen Währungsfonds verpflichtet ist. Zum anderen muss sie aber die Kursschwankungen dämpfen, wenn sie größere ökonomische Turbulenzen verhindern will. (Womit sie übrigens auch einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Stabilität der Weltwirtschaft leistet.)

Entgegen der Wahrnehmung im Westen ist sie daher nicht dabei, den Yuan in einer Art Währungskrieg abzuwerten. Sondern sie verhindert vielmehr mit Stützkäufen, dass seine Talfahrt zu steil nach unten geht. Chinesische Banken kaufen derzeit wie wild Yuan auf, wodurch sich der chinesische Devisenbestand seit dem Sommer um umgerechnet rund 600 Milliarden US-Dollar verringert haben dürfte.

Erschwerend kommt hinzu, dass es derzeit lohnend erscheint, Kredite in Yuan aufzunehmen und damit US-Dollar zu kaufen. Genau das ist in den letzten Wochen offenbar in Hongkong exzessiv geschehen. Wenn der Yuan weiter abwertet, ist der Kursverlust der Gewinn des Spekulanten. Die Behörden haben die Banken, die mit Yuan handeln dürfen, daher angewiesen, einen Teil ihrer Yuan-Reserven sozusagen als Mindesteinlage zurückzuhalten.

Vielleicht sollte man sich im Westen eher über diese Geschäfte als über Chinas Handelsbilanz und Wirtschaftswachstum Sorgen machen, und froh sein, dass China noch über ein breites Sortiment von Instrumenten zur Kontrolle der Kapitalflüsse verfügt.

Vor 19 Jahren war in Ost und Südostasien eine schwere Krise ausgelöst worden, als ökonomische Überhitzung, Liberalisierung der Kapitalmärkte und ein Gemenge interner Strukturprobleme Finanzspekulanten zum Großangriff auf die Währungen der Region einlud. Viele Schwellenländer wurden quasi über Nacht für Jahre zurückgeworfen und die soziale Lage der unteren Bevölkerungsschichten dramatisch verschlechtert. Nur Westeuropa und Nordamerika waren seinerzeit von den Folgen verschont geblieben, worauf man sich diesmal lieber nicht verlassen sollte.

Update: Die Financial Times zitiert einen Bericht des Institute of International Finance in Washington wonach 2015 676 Milliarden US-Dollar aus China abgeflossen seien. Als Gründe werden das verlangsamte Wachstum und die Eingriffe zur Stabilisierung des Yuans angeführt. Für 2016 wird die Fortsetzung der Abflüsse in ähnlicher Größenordnung prognostiziert.