Japan schrumpft

Und Deutschland auch. Langfristig. Trotz Einwanderung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Japan hat Medienberichten zur Folge seit 2010 eine knappe Million Einwohner verloren. Der jüngste Zensus habe ergeben, dass die Bevölkerung im Land der aufgehenden Sonne in den vergangenen fünf Jahren von 128,1 Millionen auf 127,1 Millionen zurück ging. Das sei der erste Rückgang, seit dem die alle fünf Jahre durchgeführten Erhebungen 1920 begonnen wurde.

Die Regierung ist alarmiert, denn wegen einer niedrigen Geburtenrate und einer praktisch fehlenden Einwanderung vergreist die Bevölkerung schnell. Ein Drittel der Japaner ist bereits über 65. Die Arbeiterschaft schrumpft. Ministerpräsident Shinzo Abe hat als Ziel ausgegeben, dass die Bevölkerung nicht unter 100 Millionen fallen dürfe. Die Geburtenrate müsse von dem jetzigen 1,4 auf 1,8 angehoben werden. Ob das gelingen kann, ist fraglich.

Das Problem liegt, entgegen des oft gemalten Schreckensbildes, gar nicht so sehr in den wachsenden Belastungen für die arbeitende Bevölkerung. In den 1960er Jahren haben die Arbeitenden in Japan wie in Deutschland unter Bedingungen wesentlich geringerer Produktivität einen ähnlich großen nichtarbeitenden Bevölkerungsteil unterstützt, was oft vergessen wird. Seinerzeit gab es zwar wesentlich weniger Pensionäre, dafür aber um so mehr Kinder und Jugendliche.

Und da die Produktivität weiter steigt, sollte es wirklich kein Problem sein, wenn 2045 in Japan ein Arbeitender 13 Prozent mehr zum Unterhalt der Rentner beitragen muss, wie prognostiziert wird. Die Frage wird dort wie hier höchstens sein, ob eine halbwegs gerechte Lastenverteilung politisch durchgesetzt werden kann. Daran hapert es ja in den letzten Jahrzehnten zunehmend.

Das eigentliche Problem liegt eher in der Verödung der Städte und in der Anpassung der Infrastruktur. Während die Zentren weiter wachsen und die jungen Menschen anziehen, werden vor allem die Dörfer und kleinen Städte zu unwirtlichen Orten, in denen die Busse nur noch selten fahren, Geschäfte schließen, Ärzte weit weg sind und der Betrieb von Schulen immer aufwändiger wird.

Dabei hat der seit langem vorhergesagte Schrumpfungsprozess gerade erst begonnen. Wenn das Land seine xenophobe Ablehnung der Einwanderung nicht aufgibt und die Geburtenrate nicht angehoben werden kann, dann werden 2050 auf dem Archipel nur noch 105 Millionen Menschen leben.

Und danach, wenn die Babyboomer zu sterben beginnen, wird es besonders schnell gehen. Bis 2060 werden vielleicht nur noch 87 Millionen Menschen auf den Inseln in Fernost leben. 18 Millionen weniger Bewohner innerhalb eines Jahrzehnts. Was das wohl mit einer Gesellschaft macht?

Und Deutschland?

In Deutschland hätte die Bevölkerung schon viel früher angefangen zu schrumpfen, gäbe es hier eine japanische Einwanderungspolitik . Doch zum Glück hat Mitteleuropa seit jeher ein sehr pragmatisches Verhältnis zur Migration, was Nachkommen von Einwanderern und Glaubensfüchtlingen wie Thilo Sarrazin, Heinz Buschkowsky oder die Familie de Maizière bezeugen können.

Hierzulande gibt es bereits seit 1990 einen wachsenden jährlichen Sterbeüberschuss. 2014 lag er bei rund 150.000; hochgerechnet auf ein Jahrzehnt ergebe sich daraus ein Minus von 1,5 Millionen. Doch in den meisten Jahren wird dieser Sterbeüberschuss bisher durch ein Einwanderungsplus mehr als ausgeglichen. Seit 1991 sind per Saldo 5,9 Millionen Menschen zugewandert, was knapp 250.000 pro Jahr entspricht.

Die Bilanz schwankt allerdings stark. Anfang der 1990er und derzeit wieder gab es große Einwanderungsschübe, Ende des letzten Jahrzehnts gab es aber auch zwei Jahre, in denen mehr Menschen aus- als einwanderten. Entsprechend schrumpfte die Bevölkerung in diesen Jahren durch das dopplete Minus.

Überhaupt herrscht ein einziges Kommen und Gehen in Deutschland: Seit 1991 sind 22,7 Millionen Menschen ein- und 16,8 Millionen ausgewandert. Alle Angaben stammen aus der Wanderungsbilanz des Bundesamtes für Statistik. Zuvor hatte es Anfang der 1980er Jahre, Mitte der 1970er und 1967 negative Wanderungsbilanzen gegeben. Auch von 1951 bis 1956 sind jeweils mehr Menschen aus Deutschland fort- als zugezogen, wie hier nachzulesen ist.

Die Frage ist, wie es in Deutschland weiter gehen wird. Die Prognosen der Bundesstatistiker sind da recht eindeutig. Deutschland hat mit 1,4 Kindern pro Frau eine ähnlich niedrige Geburtenrate wie Japan. Sollten im Schnitt 200.000 Menschen pro Jahr netto einwandern, dann würde die Bevölkerung – bei gleicher Geburtenrate – von 81,5 Millionen in 2014 auf 73,1 Millionen in 2060 schrumpfen. Beträgt die Einwanderung im Schnitt nur 100.000 pro Jahr, dann wird die Bevölkerung in den nächsten 45 Jahren auf 67,6 Millionen zurück gehen.

Ach ja, wer meint, durchschnittlich 200.000 Nettozuwanderer pro Jahr seien ein Kinderspiel bei den derzeitigen Flüchtlingszahlen, der sollte sich die Wanderungsbilanz der letzten Jahrzehnte noch einmal genauer ansehen: Nur wenige von denen, die jetzt als Flüchtling oder als Zuwanderer aus Südeuropa kommen, werden auf Dauer bleiben, und schon im nächsten Jahrzehnt werden wieder Zeiten kommen, in denen erneut über schrumpfende Städte, Leerstand und Abriss diskutiert werden wird.