4W

Was war. Was wird. Von Einzäunungen und vom eierwollmilchsaulegenden Schicksalsjahr vor 60 Jahren

Freiheit, was ist das schon, wenn man sich stattdessen gemütlich hinter Stacheldraht einkuscheln kann. Hal Faber aber wird angesichts der Orbans und Seehofers dieser Welt wütend. Und erfreut sich an etwas seltsamer Historie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 51 Kommentare lesen
Stacheldraht, Freihei, Zaun
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Frei zu sein bedeutet nicht nur, seine eigenen Fesseln zu lösen, sondern ein Leben zu führen, das auch die Freiheit anderer respektiert und fördert." (Nelson Mandela) Den Orbans und Seehofers und Trumps dieser Welt ins Stammbuch geschrieben. Und den Pegida-Schreiern, die von der Welt noch so wenig gesehen haben, dass sie Freiheit nicht einmal buchstabieren können. Ebenso den Abmahnanwälten, die sich auch für nichts zu schade sind.

*** Tja, genau, was es nicht alles gibt. In dieser Woche habe ich gelernt, dass konstruktiver Journalismus der neueste Schrei ist. Er geht genauso wie diese Aufforderung zur "konstruktiven Kritik", mit der mich meine Lehrer in der Schule terrorisierten oder die Recep Tayyip Erdogan von türkischen Journalisten einfordert. Der neueste Schrei, ähem, der konstruktive Journalismus wird offenbar von Leuten betrieben, die beim "Aufzeigen von Lösungen" sich grafisch an das "Deutsche Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit" anlehnen. Ich glaube nicht, dass diese kleine Wochenschau konstruktiven Journalismus betreiben kann. Schließlich sind wir Journalisten nach einer hübschen Gemeinheit von Karl Kraus immer diejenigen, die nachher alles vorher gewusst haben. Da halte ich mich lieber an die Historiker, diese rückwärts gekehrten Propheten (nach einem Kompliment von Karl Kraus). Denn diese verkünden ungemein konstruktiv, dass man 1968 vergessen sollte und 1956 der heiße Schrei ist.

*** 1956 landete Fidel Castro auf Kuba und Nelson Mandela im Gefängnis, im Treason Trial. Das ist eine glasklare historische Kausalität, und wenn man noch die in dieser Wochenschau bereits erwähnten Aktionen von Chruschtschow hinzurechnet, ist alles gorillaglasklar. 1956 ist das neue 1789, mindestens. Die Beweise sind erdrückend: Im Januar 1956 wurde beispielsweise bei der Allianz-Versicherung der erste IBM-Computer in Europa eingeschaltet, ein IBM 650, der meistverkaufte Computer seiner Zeit. Ja, auch der Z 11 ist ein 1956er, wenngleich von der nicht so erfolgreichen Sorte. Noch ein Indiz gefällig? Genau, "brennend heißer Wüstensand" ist das Stichwort und Freddy Quinns Superhit Heimweh die Antwort. 1956 nationalisierte Ägypten den Suez-Kanal und machte sich daran, zusammen mit Syrien die Vereinigete Arabische Republik zu gründen, woraufhin sich der Iran und Jordanien zu einem eigenen Pan-Arabien zusammenfanden. Die syrische Katastrophe von heute hat eine Vorgeschichte .... und viele unverhoffte Nebeneffekte.

*** Hach, dieses 1956 hat es wirklich in sich: Genau heute vor 60 Jahren verabschiedete der Bundestag das 2. Wehrergänzungsgesetz und das Soldatengesetz. Wenig später verabschiedeten die Parlamentarier, dass die neue deutsche Armee ab dem 1. April "Bundeswehr" heißen sollte, außerdem bekam Deutschland ein Wehrpflichtgesetz für Männer. Man war wieder wer mit einer ordentlichen Wehr, auch wenn das in Ostdeutschland gar nicht gerne gesehen wurde und das "Neue Deutschland" von einer "Diktaurvollmacht Adenauers" schrieb. Augen Geradeaus! Das unscheinbare Datum schrieb auch deutsche IT-Geschichte, denn inmitten der allgemeinen Aufrüstung gelangte ein Pöstchen namens "Rechentechnik" in den Verteidigungshaushalt der BRD, dotiert mit 50 Millionen DM. Computer und Krieg sind unzertrennlich. Von den 50 Millionen gingen 27 Millionen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die das Geld an AEG-Telefunken und Siemens-Halske zur Lieferung von "Rechen-Großgeräten" weiterreichte: Die Zeit der universitären Basteleien mit der "Programmierbare Elektronische Rechenanlage München" oder der Göttingen 1 und 2 war vorbei, jetzt sollte die deutsche Industrie zeigen, was sie bauen konnte. So entstand die Siemens 2002 und später der TR 4.

* Ein Blick in die Geschichte der Bundeswehr zeigt, dass diese bereits im Schicksalsjahr 1956 im Juli an einem NATO-Manöver teilnahm, das im Raum Göttingen den Kampf gegen die Armeen des Ostblocks probte. 60 Jahre später ist das Blockdenken der NATO-Hardliner wieder hochmodern. Die eine oder andere Desinformation wird gestreut und das Putin-Verstehen für Fortgeschrittene bleibt auf die USA beschränkt. Was bei der NATO so passiert, wenn ein Nerd versucht, auf unsichere Passworte aufmerksam zu machen, gibt zu denken. Sieben Jahre Gefängnis wegen des Verrates von Staatsgeheimnissen, bei dem selbst das Urteil zum Staatsgeheimnis erklärt wird, damit eine Revision nicht möglich ist, so sieht das Lehrstück aus, wie Störenfriede mundtot gemacht werden. Übrigens mit tatkräftiger Hilfe durch Journalisten, die für den BND arbeiten und von Spähangriffen hochbezahlter Meisterspione fantasieren.

*** Bleiben wir doch im Wirtschaftswunderjahr 1956, wo das fröhliche, unbeschwerte Konsumieren oberste Bürgerpflicht war. In Nürnberg nahm das Informatik-System Quelle seinen Dienst in der "Paketfabrik" auf – und verhinderte ganz nebenbei, dass sich die neue Wissenschaft von der Informatik auch Informatik nennen konnte. In Abgrenzung von der Kybernetik, die Benzedrin- und Pervitin-süchtige Großtheoretiker entwickelten, sollte die Informatik als Ingenieursdisziplin bescheidener daherkommen. Hier hat sich in 60 Jahren doch viel getan, wie an dem aktuellen Brandruf der CCC-Sprecherin Constanze Kurz zu erkennen ist. Sie wünscht sich, dass Informatiker jetzt als öffentliche Intellektuelle auftreten, gar eine "neue Reflexionselite" stellen sollen. Also wortgewaltige IT-Habermase, die sich dem wohlfeilen Gerede vom Internet der Dinge widersetzen und sich nicht in den akademischen Kapitalismus fügen, der die abgehalfterte Soziologie als prekärer Beruf heute prägt.

*** Zu dumm aber auch, dass die gepriesenen Informatiker nicht den Mund aufmachen wie Émile Zola, sondern sich mit "myopischen Forschungsthemen" wie der klinischen Datenintelligenz beschäftigen. Folgt man der Stimme der deutschen Informatik, so ist die Schule daran schuld, weil sie Kinder nicht mit dem Bayduino spielen lässt. Ganz anders sieht das laut Kurz in Großbritannien aus, von wo aus bald eine Welle blendender Informatiker zu uns rüberschwappt, die obendrein als wache Intellektuelle den Massenprotest gegen das dortige Überwachungsgesetz anführen. Zum dumm nur, dass die große British Computer Society zur IP-Bill schweigt wie ein Plumpudding. Wenn überhaupt, dann äußern sich IT-Outsider wie Ross Anderson, der auch in der Lage ist, die Verdienste von Edward Snowden zu würdigen.

*** Ach ja, es geht voran, Geschichte wird gemacht. 1956 war das Jahr der beiden Aufnahmesessions, in denen das erste Quintett von Miles Davis zu ungeahnter Form auflief und vier klassische Jazz-Alben produzierte: "Cookin'...", "Relaxin'...", "Steamin'..." und "Working' with the Miles Davis Quintet". Ach ja. Eine ganz andere Form von Heimweh.

Was wird.

Konstruktiv kritisch schweift der Blick des Journalisten in die strahlende Zukunft, die auch nur ein handlicher Wochenkalender ist. Im lieblichen Hannover steht die CeBIT an und verbreitet bereits im Vorfeld viel feinen Fug mit Themen wie der D!conomy, mit D! wie Digitalisierung. Auch die "Datenklau-Verhinderungskunde" ist mit von der Partie, wobei dieser Übersetzungsvorschlag für Kryptologie im "Wörterbuch Fremd-Deutsch" etwas problematisch ist, denn sehr wohl können verschlüsselte Daten geklaut werden. Nur die Entschlüsselung kann verhindert werden, auf das man niemals erfahren kann, ob so ein iPhone einen gefährlichen schlafenden Cyber-Erreger enthält, ein Cyber-Pathogen, das hastunichtgesehen ganze Städte d!ahinrafft.

(Bild: Georg Mittenecker, Lizenz Creative Commons CC BY-SA 2.5)

Sogar einen echten Stapellauf wird es auf der CeBIT geben, verrät uns das Programm der Cyber Global Conferences. Allerdings wird kein Schiff ins Wasser gelassen, sondern die eierlegende Wollmilchsau der Verschlüsselung präsentiert, die offenbar Eier, Wolle, Milch und Kotelett vor unberechtigtem Zugriff einschließt. Angeblich soll das Wort aus der Sprache der Bundeswehr-Soldaten kommen und seit 1959 belegbar sein, womit ein leichter Bezug zu 1956 gegeben ist. Die Zukunft ist auch mit von der Partie, denn da sind ja diese Cyber-Pathogene, die vom Tarnfleck im Cyberraum bekämpft wird. Ich freue mich schon auf den taffen EiLegWoMilSauInf, den Eierlegendenwollmilchsau-Infanteristen mit der dreifach gekordelten Maus am Halfter und dem zackig gebrüllten "Alt F4!!". (jk)