Wir kennen die Wahrheit nicht

Ein Gespräch mit dem Journalisten Joris Lujendjik über seine Zeit als Korrespondent im Nahen Osten und die Unmöglichkeit, innerhalb der Kriegswirren die Wahrheit herauszufinden

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Guten Morgen Joris, sind Sie da?

Joris Lujendjik: Ja, hallo, ich bin hier! Lassen Sie uns loslegen!

Üblicherweise nimmt der Leser eines Interviews an, die Gesprächspartner würden in einem Raum sitzen und sich in die Augen schauen, während sie miteinander sprechen. Wir beide aber sitzen rund 400 Kilometer voneinander entfernt und sind via Skype miteinander verbunden. Sie haben jahrelang unter anderem für das niederländische Fernsehen aus Krisengebieten berichtet. Sie kennen also diese Frage, die ein Anchorman seinem Korrespondenten stellt, wenn er um eine Analyse der Lage bittet: "Joris, wie ist die aktuelle Situation bei Ihnen?"

Joris Lujendjik: Vito, ich befinde mich in meinem Büro am Oudezijds Voorburgwal, einem der ältesten Kanäle von Amsterdam, mitten im Herzen des Rotlichtviertels. Während ich Ihnen meine Antworten tippe, sehe ich Menschen im "Erotic Cellar" (Kabinen, Videos, Leder, Präser und Spezialitäten) ein- und ausgehen. Ich frage mich gerade zum ersten Mal, was wohl die "Spezialitäten" dieses Kellers sind.

Vielleicht sollten Sie einige Recherchen in Amsterdam anstellen. Sie sind seit längerem wieder zurück in der Stadt.

Joris Lujendjik: Ja, ich bin im April 2003 nach Amsterdam zurückgekehrt, nach dem Fall beziehungsweise der Befreiung - ganz wie Sie es sehen wollen - von Bagdad. Danach habe ich drei Jahre benötigt, um das Buch zu schreiben, über das wir reden wollen. Das vergangene Jahr habe ich Lesungen gehalten und an Podiumsdiskussionen teilgenommen. Dann habe ich Artikel geschrieben über das Engagement der Niederländischen Armee in der afghanischen Provinz Uruzgan. Hier wurden alle Manipulationen der Öffentlichkeit wiederholt, wie damals während des Run-Ups der Amerikaner im Irak. Beispielsweise hat man von keinem holländischen Medium vermittelt bekommen, warum die Taliban den Westen eigentlich bekämpfen. Was sind ihre Motive? Welche Sicht der Welt haben sie? Welche Strategien verfolgen sie? Und was denken eigentlich normale Afghanen über die Krise, die militärischen Aktionen und die politische Konstellation in ihrem Land?

Joris Luyendijk, geboren 1971, studierte Arabistik und Politik in Amsterdam. 1998 ging er für fünf Jahre in den Nahen Osten. Sein erstes Buch "Die Kinder der Midaq-Gasse. Ein Jahr Kairo" (1998, Een goede man slaat soms zijn vrouw) beschreibt die ägyptische Gesellschaft aus westlicher Sicht und beruht auf Luyendijks Erfahrungen, die er während seiner Studentenzeit in Kairo gemacht hatte. Als Korrespondent berichtete er zudem für die Zeitungen de Volkskrant und NRC Handelsblad sowie die Rundfunkanstalt NOS aus ?gypten, dem Libanon und Israel. Die dabei gewonnenen Erfahrungen beschreibt er in dem 2006 erschienenen Buch "Wie im echten Leben. Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges" (deutsch im Tropen Verlag). Das Buch wurde in den Niederlanden ein großer Erfolg und verkaufte sich binnen eines Jahres 120.000 Mal, obwohl kaum Rezensionen darüber erschienen. Zur Zeit lebt Joris Luyendijk in Amsterdam.

Sie meinen, die Berichterstattung aus Krisengebieten wie Israel, Palästina, Irak oder Afghanistan ist verkürzt und entstellt Realitäten, so dass es unweigerlich zu - sagen wir einmal - Wahrnehmungsverzerrungen bei Mediennutzern im Westen kommen muss?

Joris Lujendjik: Ja. Die heutige Berichterstattung über Afghanistan benötigt etwa, was schon in jener nach den Anschlägen auf das WTC oder in der über die Vorbereitungen der USA auf den Krieg im Irak nötig gewesen wäre: die Erkenntnis, dass die herkömmlichen Methoden der demokratisch verankerten Medienberichterstattung in undemokratischen Umständen nicht greifen können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Anders als die Presseabteilung des Niederländischen Verteidigungsministeriums geben die Taliban Ihnen keine druckfähigen Kommentare für das, was sie tun. Selbst wenn sie es täten, würde das TV-Publikum viele der Verlautbarungen nicht verstehen, weil die von ihnen verwendeten Terminologien im Niederländischen oder auch Deutschen befremdliche Assoziationen auslösen, wenn nicht etwas gänzlich anderes bedeuten würden.

Wie also müssten Medien auf derartig schwierige Umstände der Berichterstattung reagieren?

Joris Lujendjik: Korrespondenten müssen Zuschauern, Lesern und Zuhörern andere Formen des Journalismus bieten, in denen sie ihnen erklären: "Hört zu, die Taliban haben keine PR-Maschinerie laufen, wie etwa die Verteidigungsministerien der westlichen Alliierten. Aber dennoch haben die Taliban eine eigene Sicht der Dinge, wie sie in Afghanistan geschehen ..." Übertrage ich die Erfahrungen meiner Arbeit aus Israel und der arabischen Welt theoretisch auf Afghanistan, müsste ein Korrespondent dort Sympathisanten der Taliban in Pakistan treffen, deren Radiosender hören und Websites lesen und seine Berichterstattung danach ausrichten, indem man den Konflikt - auch - aus der Sicht der Taliban schildert, um sich auf diese Weise einem Gesamtbild der Angelegenheit zu nähern.

Ein Problem würden Sie als Journalist dort haben, wenn Sie Privatpersonen interviewen und die Informationen verifizieren wollen, was eine der zentralen Methoden des angelsächsischen Journalismus ist: Viele der Befragten würden die Unwahrheit sagen, weil sie sich nicht in Gefahr begeben wollen. Die klassischen Methoden dessen also, was wir im Westen als Journalismus verstehen, greifen in vielen Ländern des Nahen Ostens nicht.

Was westliche Korrespondenten demnach ihrem Publikum gleichzeitig sagen müssten, ist folgendes: "Wir sind hier zwar näher dran als ihr, wir sprechen auch mit vielen Menschen, aber in aller Konsequenz können wir euch nicht wirklich sagen, was vor Ort passiert, oder was die Einheimischen wissen. Unsere Berichterstattung ist verkürzt. Wir kennen die Wahrheit nicht.

Unser Journalismus stößt in den arabischen Ländern an seine Grenzen

In Ihrem Buch schildern Sie die Schwierigkeiten von Korrespondenten demokratischer Medien aus dem Westen undemokratische Verhältnisse in Staaten des Nahen Osten darzustellen. Man kann Ihr Buch aber auch so lesen: Es beschreibt nicht nur die Schwierigkeiten. Es schildert eigentlich die totale Bankrotterklärung des westlichen Korrespondenten-Journalismus im Nahen Osten.

Joris Lujendjik: Sie haben absolut Recht und es tut mir leid, es sagen zu müssen: Der Journalismus, wie wir ihn im westlichen Staaten kennen, ist in demokratischen Kontexten gewachsen, in denen Menschen sich in Parteien und Bewegungen organisieren. Korrespondenten beobachten hier die Parlamente, sie verfolgen die Meinungsführer und die nationalen Medien. Es findet ein Diskurs statt, der nachvollziehbar ist und damit auch kritisierbar und wandelbar. Was bei uns passiert, ist spiegelbildlich Ausdruck einer offenen Gesellschaft und auch journalistisch darstellbar.

In Ländern wie Afghanistan, Ägypten oder Saudi-Arabien dagegen werden wichtige oppositionelle Stimmen unterdrückt. Dissidenten werden in Gefängnisse gesteckt, aussortiert oder getötet. Die gewöhnlichen Menschen haben Angst, offen zu reden, oder werden von den staatlichen Medien manipuliert. Unsere Berichterstattung aber impliziert häufig, dass dort Parlamente regieren, die strukturiert und aufgestellt sind wie unsere. Auf diese Weise führt sie seine Nutzer hinters Licht. Aus diesem Grund muss ich Ihnen recht geben: Unser Journalismus stößt an seine Grenzen. Und was schlimmer ist, wir geben es nicht zu, sondern vermitteln ständig den Eindruck, als wüssten und verstünden wir, was da vor sich geht. Wir sollten dies erkennen, damit wir nicht weiterhin entstellte Bilder verbreiten.

In den Niederlanden besitzen Tageszeitungen wie Volkskrant oder NRC Handelsblad großes Vertrauen bei den Lesern. In Deutschland sind es Medien wie die Tagesschau, Der Spiegel oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die vertrauenswürdig sind, weil sie seit Jahrzehnten glaubenswürdige Berichterstattung liefern. Der Glauben der Verbraucher an das Wissen, das über Medien verbreitet wird, basiert auf Vertrauen. Damit sie Vertrauen in Medien aufbauen, müssen diese sehr lange Zeit fundierte Arbeit leisten. Rechtfertigen diese vermeintlichen Qualitätsmedien das Vertrauen nicht, das in sie gesetzt wird?

Joris Lujendjik: Das Problem liegt darin, dass Medienmacher ein Versprechen implizieren, das sie nicht einhalten und auch nicht einhalten können. Sie sind weder objektiv, noch wissen sie alles. Wir können nicht alles wissen, weil vieles von dem, was wir in Krisengebieten in Erfahrung bringen, strukturell undurchsichtig ist. Zum Beispiel der Irak unter Saddam. Wir konnten nicht wissen, wie der normale Iraker über den Einmarsch der amerikanischen Truppen gedacht hat, weil diese Form der authentischen Berichterstattung unter Saddam nicht möglich war.

Stellen Sie sich vor, wir von den Medien hätten dies von vorneherein ehrlich gesagt: "Wir wissen nichts Genaues, wir kennen die Stimmungen im Land nicht und haben keine Ahnung, worauf der ganze Konflikt im Irak zusteuert!" In diesem Moment hätten wir die politischen Führungen der Alliierten fragen müssen: "Wenn die Strukturen und gesellschaftlichen Begebenheiten undurchsichtig sind, wie glauben Sie, werden die Iraker den Einmarsch aufnehmen? Und wenn sie gegen eine Invasion sind, wie sehen in diesem Fall Ihre Szenarien aus?" Das wären damals kluge, angebrachte Fragen gewesen. Die Amerikaner und die politischen Leader der Alliierten - darunter auch die niederländische Führung - hätte antworten müssen: "Wir haben keine Szenarien dafür, falls wir Befreiungsmächte anstelle mit Reis und Blumen mit Bomben und Granaten empfangen werden ..."

Könnte die Berichterstattung objektiver sein, wenn man Konfliktparteien gleiche Anteile an Zeit und Formaten in den Medien zur Verfügung stellen würde?

Joris Lujendjik: Nein. Wir können auch nicht objektiver sein, wenn wir beispielsweise den Israelis und den Palästinensern die gleiche Gesprächsdauer einräumen, weil die israelische PR-Arbeit unvergleichbar gut ist, während die der Palästinenser stümperhaft ist. Sie macht die Dinge aber nicht wahrer, die Israelis verbreiten, und jene nicht unwahrer, die Palästinenser kommunizieren. Es besteht ein absolutes Ungleichgewicht zwischen den Lagern darüber, mit welchen Methoden, welcher Finanzkraft und welchen strategischen Kanälen Informationen gestreut und verzerrt werden.

Um dieses massive Ungleichgewicht an Möglichkeiten journalistisch aufzufangen, kenne ich keine Lösung: Den Palästinensern mehr Gesprächszeit einzuräumen, würde bedeuten, eine neue subjektive Position zu beziehen, was wieder neue PR-Strategien der Gegenseite auslösen würde, auf die man als Berichterstatter wiederum reagieren müsste. Die Sache ist verzwickt. Die Qualitätsmedien sollten sich also ihre Subjektivität eingestehen und den Zuschauern, Zuhörern und Lesern transparent machen.

Die journalistische Arbeit wird in keinem Medium wirklich reflektiert

Das Streuen von verdrehten, verzerrten oder vernebelten Informationen ist allerdings nicht nur Instrument der politisch Verantwortlichen im Nahen Ostens. Nehmen Sie etwa die Vorbereitungen auf den letzten Irak-Krieg: Der britische Premier Tony Blair behauptete am 24.9.03, Saddam Husseins Raketen seien in 45 Minuten einsatzbereit. Einen Tag später ließ Bush-Beraterin Condoleezza Rice verlautbaren, es gäbe eindeutige Kontakte zwischen dem Irak und der Al-Qaida. US-Außenminister Colin Powell hatte zur gleichen Zeit vor der UNO Beweise ins Feld geführt für Saddams Waffenarsenal, die nicht glaubwürdig waren. Dennoch infiltrierten diese Lügen alle internationalen Medien. Ähnliches könnte man also auch über westliche Systeme diagnostizieren.

Joris Lujendjik: Ja. Leider wissen viele der Journalisten mehr über die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, als sie durchblicken lassen. Der Nutzer bekommt eine falsche Vorstellung dessen, wie Informationen entstehen und unter welchen Bedingungen sie weitergeben werden. Oft werden Abmachungen mit Politikern abgestimmt: die lassen Informationen durchdringen, dafür erhalten sie im Gegenzug eine prominente Berichterstattung auf den Aufmacherplätzen.

Ich konnte auch ein anderes Phänomen beobachten: Häufig sind Foto- und Fernsehjournalisten nicht an einem Ort, weil dort etwas passiert. Es geschieht etwas an diesem Ort, weil hier diese vielen Foto- und TV-Kameras platziert sind. Ich nenne diesen Effekt in meinem Buch "Die versteckte Kamera". Sie versteckt sich in diesem Fall allerdings nicht vor den Menschen, die man auf dem Bildschirm sieht, um sie hinters Licht zu führen. Sie ist vor denen versteckt, die vor den Bildschirmen sitzen, und nicht wissen, dass diese Ansammlung von Journalisten der Auslöser für die Ereignisse ist, die sie gerade sehen. Wären sie nicht da, hätten beispielsweise palästinensische Steinewerfer, an deren Bilder wir uns in den TV-Nachrichten gewöhnt haben, nicht das öffentliche Forum für ihre Aktionen, das sie suchen.

In meiner Zeit als Nahost-Korrespondent war es verwirrend, feststellen zu müssen, dass unsere journalistische Arbeit, all unsere Entscheidungen also, unsere blinden Flecken, unsere absurde Macht und unsere Korruption in keinem Medium reflektiert und untersucht wird. Wenn ein Politiker lügt, machen Journalisten damit auf der Titelseite auf. Lügt CNN oder berichtet es falsch, ist es eine Meldung irgendwo auf den hinteren Seiten einer Tageszeitung. Gerät ein Berichterstatter in eine Szene, in der Demonstranten Steine werfen und er trifft dort mehr Journalisten als Steinewerfer, sollte er unweigerlich über die eigene Präsenz an diesem Ort ins Grübeln kommen. Das geschieht aber nicht.

Die Kritiker Ihres Buchs halten Ihnen vor, Sie seien naiv. Sie hätten ein solches Buch auch über Europa schreiben können ...

Joris Lujendjik: Mag sein. Ich habe nicht viel in Europa gearbeitet. Manipulation, Lagerdenken, ausgrenzendes Vokabular, die Art, wie einigen Stimmen Gewicht verliehen wird, während andere ausgeschlossen werden, oder wie Terminologien geprägt werden - das ist kein alleiniges Phänomen in der Berichterstattung des Westens über den Nahen Osten.

Heißt es etwa "genetische Manipulation" oder "genetische Modifikation"? Nennen wir es "Europäische Einigung" oder "Europäische Zentralisierung"? Ist es das "Öffentliche Fernsehen" oder das "Staatliche Fernsehen"? Und wer erklärt unseren Lesern, Hörern und Zuschauern eigentlich, was die Motive der Dschihadis sind? Oder die Motivationen der Neo-Kommunisten in Ost-Europa? Bewusstsein wird auch durch Sprache ständig geprägt, verschoben, manipuliert. Nicht immer sind wir uns dessen bewusst. Wir brauchen nicht nach Nahost zu schauen. Es passiert vor unserer eigenen Haustür.

Ein neuer Journalismus müsste ein Gegenserum gegen die Verschleierungsmechanismen entwickeln

Medien, die lügen, werden von niemandem in westlichen Demokratien sanktioniert, obwohl sie auf eklatante Weise falsche Realitäten produzieren. Wenn man so will, erziehen sie zu falschem Denken, woraus nur falsches Bewusstsein über die Dinge folgen muss. Zielt Ihre Kritik darauf ab, Medien schärfer zu kontrollieren?

Joris Lujendjik: Nein. Wir müssen unterscheiden zwischen Lügen, die bewusst verbreitet werden, um vorsätzlich falsche Realitäten zu konstruieren, und jenen Informationen, die unvorsichtig, unsensibel, nicht durchdacht oder schlampig aufbereitet werden und so zur Diffusion von Realität führen. Im zweiten Fall wird etwas vernebelt, aber nicht vorsätzlich manipuliert.

Dann gibt es noch Meldungen, die verdreht werden, unvollständig sind oder gefiltert werden - darauf richtet sich mein Augenmerk. Diese Meldungen sind besonders vorsichtig zu genießen, weil sie weder vorsätzlich gelogen sind, noch gänzlich wahr. Ein neuer Journalismus müsste gewissermaßen ein Gegenserum gegen diese Verschleierungsmechanismen entwickeln und als Thema der Berichterstattung integrieren. Eine grundsätzliche Kontrolle der Medien aber lehne ich ab. Ich habe gesehen, wohin das in Diktaturen führt. Du kannst Politikern dort nicht trauen. Es gehört zu ihrem Job, innerhalb einer Diktatur ihre Macht in den Medien zu festigen, um darüber die politische Macht auszubauen.

Dennoch bin ich aber der Meinung Medien in demokratischen Systemen sollten sich etwas auferlegen, was Präsidenten von Staaten, Vorstände von Weltkonzernen, Geschäftsführer von mittelständischen Unternehmen, Betriebsräte von Gewerkschaften und selbst Kassenwarte von Fußballmannschaften auch tun müssen - sie sollten in regelmäßigen Abständen über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen müssen.

Wie könnte das praktisch umgesetzt werden?

Joris Lujendjik: Schwer zu sagen. Ich kann an dieser Stelle kein ganzheitliches Medien-System skizzieren, das in sich kohärenter wäre, das irgendwie aufrichtiger und sich den Ereignissen gegenüber, wie sie sich wirklich zutragen, angemessener verhalten würde. Ich denke, der erste Schritt liegt bei den Journalisten selbst. Sie müssen Teil der Geschichte werden, über die sie berichten. Sie sollten klarstellen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten. In manchen Fällen müssen wir sogar Teil der Geschichte selbst werden, um den Zuschauern zu berichten, woher wir Informationen beziehen, wie wir an die Informationen gelangen, ob sie vollständig, parteiisch oder möglicherweise manipuliert sind.

Zum anderen könnten auch die Nutzer von Medien einschreiten: Sie könnten etwa die Websites einzelner Medien studieren und die Verantwortlichen in Briefen und Mails fragen, warum die bestimmte Terminologien verwenden oder Themen besetzen, während andere Sujets außer Acht gelassen werden. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Warum etwa widmen sich westliche Medien den Menschenrechtsverletzungen der Israelis in Palästina und denen der Russen in Tschetschenien nicht, obwohl diese schwerwiegender sind? Am Ende eines Jahres würde sich eine Liste von Anfragen ergeben, die Chefs der Verlage, Agenturen und TV-Anstalten zu rechtfertigen hätten.

Werden Sie demnächst wieder als Berichterstatter in den Nahen Osten zurückkehren?

Joris Lujendjik: Vielleicht, die Region fasziniert mich. Zur Zeit aber genieße ich lieber Amsterdam und den Ausblick aus meinem Büro auf dieses Rotlichtviertel.

Ok Joris, wie ist denn die aktuelle Situation bei Ihnen?

Joris Lujendjik: Hier ist alles unter Kontrolle: Der erotische Keller hier neben meinem Wohnhaus hat gerade zwei weitere Kunden angezogen, die sehr deutsch aussehen. Sie wirken auf mich, als fühlten sie sich irgendwie schuldig für das, was sie da tun. Sonst erwartet das Viertel gerade die nächste Welle von englischen Männergruppen, die hier mit Billigfliegern einfallen, eine Menge Alkohol trinken und viel Haschisch rauchen werden, um dann am Ende mit ihren Billigfliegern wieder abzureisen. Vielleicht werden wir sie auch alle vorher noch zum Ausnüchtern in die Kanäle kippen müssen, mal sehen. Sie wirken alle sehr robust, anders als die beiden Deutschen, die im Erotik-Keller gerade verschwunden sind. Damit gebe ich zurück zu dir, Vito.

Das Gespräch wurde als Chat mit Skype geführt.