Deutsche Journalisten rufen Krieg aus

Freiheit stirbt mit Sicherheit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Beim Stichwort "Terror" apportiert die deutsche Presse zuverlässig den Ruf nach Vergeltung und Kontrolle. Dies war schon zu Zeiten des Reichstagsbrands Tradition ("Das Maß ist voll! Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen!").

Die BILD-Zeitung ruft in ihrer heutigen Ausgabe sogar den Krieg aus, dem ja vielleicht das Kriegsrecht folgen wird. DER SPIEGEL schwört die Bevölkerung auf Verluste ein und zitiert unkritisch Innenminister de Maizière, der den Frank Underwood gibt. Wie stets bei solchen Anlässen, fordert de Maizière eine Ausweitung elektronischer Überwachung. BILD-Online-Chef Julian Reichelt empörte sich darüber, dass der US-Präsident "mit einem kommunistischen Diktator" ein Baseballspiel besucht, statt sich von Terroristen seinen Terminplan diktieren zu lassen.

Den Tagessieg im Rufen nach dem starken Staat dürfte jedoch sein Springer-Presse-Kollege Claus Strunz einfahren, der einen Polizeistaat fordert, den er so aber nicht nennen mag. So ruft Strunz nach Bundeswehr im Inneren und schlägt vor, bereits im Vorfeld von Flughäfen zu kontrollieren. Dass Kontrollen allenfalls den Tatort verlegen, aber nicht verhindern, zeigten die Anschläge von Paris. Folgt man der Strunzschen Logik, wird man bald auch Bahnhöfe nur noch durch eine Sicherheitsschleuse betreten können, am besten auch gleich U-Bahnhöfe und Bushaltestellen.

Demnächst debattiert der Landtag NRW über einen Antrag der CDU-Landtagsfraktion, die das Internet umfassend überwachen will. Doch selbst das Landeskriminalamt NRW sieht in seiner Stellungnahme keinen Bedarf für eine Veränderung bestehender Abläufe. Informatiker Prof. Rainer Böhme weist auf die technische Unmöglichkeit hin, sämtliche im digitalen Raum auffindbare Spuren aufzuspüren und effizient zu verarbeiten. Jede Bestrebung, dies umzusetzen, sei ineffizient, berge die Gefahr einer Vielzahl falscher Verdächtigungen und wäre nicht zuletzt wegen der extrem großen Streubreite der Maßnahme mit erheblichen Grundrechtseingriffen verbunden.

Der frühere technische Direktor der NSA William Binney hält die Methode der Massenüberwachung für unbrauchbar. Ex-NSA-Direktor Michael Hayden hatte zunächst 54 Fälle behauptet, welche die Datensammelwut der NSA gerechtfertigt hätten. Nach Überprüfung blieb jedoch ein einziger übrig: So hatte man einen Taxifahrer gefunden, der an eine nordafrikanische Terrororganisation mal 8.500 $ überwiesen hatte. Dies ist kaum verwunderlich, kommunizieren professionelle Terroristen schon seit vier Jahrzehnten nicht mehr per Telefon, Einzeltäter eher gar nicht.

Auch die umfassend elektronische Überwachung Frankreichs vermochte die Anschläge vom November nicht zu verhindern. Inzwischen wurde gemeldet, dass auch die Täter von Brüssel den Behörden polizeibekannt waren - so, wie schon die Täter von Paris. Dann aber fragt sich, was die Überwachung denn nutzt. Wie die Erfahrung mit dem Terror von IRA, Basken, Korsen, Linksterrorismus und diversen Parteien aus Nahost zeigt, lässt sich das Terrorproblem nicht durch Überwachung oder Eskalation, sondern nur politisch lösen.

So sieht denn auch der stellvertretende belgische Premierminister die Angriffe nicht als Rechtfertigung für Massenüberwachung. Warum die Zivilbevölkerung durch sinnlose massenhafte Kontrolle gegängelt werden sollte, leuchtet nicht ein. Was da reaktionär gefordert wird, bezeichnete einst der Publizist Sascha Lobo treffend als Sicherheitsesoterik.