Filmgeschichte beißt zurück

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Körperkult neu besehen: Freizeitschwimmer, Partygäste und Pornodarsteller als Opfer im Fischhorrorfilm "Piranha" von Alexandre Aja

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Horrorfilm-Remakes dienen nicht selten bloß dem Zweck der ästhetischen Aktualisierung der Vorlage, wobei die Narration weitgehend unberührt von dieser Aktualisierung bleibt. Im Fall von Alexandre Aja war allerdings kaum zu erwarten, dass der dieser Strategie bei der Neuadaption des Horrorfilmklassikers „Piranha“ folgen würde. Aja, der bereits für zwei Remakes verantwortlich zeichnete, nutzte hingegen die Gelegenheit zur weiter gehenden Reflexion auch dieses mal.

„Piranha“ ist nicht nur nicht das erste Remake, das Aja in die Kinos bringt. Seit er nach seinem fulminanten Serienmörderfilm "Haute Tension" von der US-amerikanischen Filmindustrie entdeckt und nach Hollywood geködert wurde, hat er ausschließlich Wiederauflagen älterer Horrorfilme gedreht.

Angefangen 2006 mit dem Remake von Wes Cravens Hinterwäldler-Horrorfilm "The Hills have Eyes" , über die darauf folgende Neuauflage des süd-korenanischen Gruselfilms „Into the Mirror“, von Aja als „Mirrors“ adaptiert, bis hin zum jetzigen Fischhorrorfilm „Piranha“ - Aja scheint sich auf Remakes spezialisiert zu haben. Und schon bei den vorherigen Neuadaptionen kann man eine markante Verschiebung von und Neu-Konzentration auf bestimmte Aspekte beobachten, auf die es dem französisch-stämmigen Regisseur anzukommen schien.

Urzeitfische, Freizeitschwimmer und Pornodarsteller

Bei „Piranha“ findet dies besonders anhand zweier Motive statt: Die Inszenierung der menschlichen Körper und die Herkunft des diese Körper bedrohenden und zerstörenden Grauens. Worum geht‘s? Durch ein Erdbeben öffnet sich im Grund eines großflächigen Sees eine Spalte, die eine Verbindung zu einem unterirdischen See herstellt. In diesem haben urzeitliche Raubfische (durch Kannibalismus) überlebt; Tiere, die sich durch besondere Aggression und Fressgier auszeichnen.

All das, was durch die ästhetische Chirurgie der Gegenwart zum zeitgenössischen Body-Image beigetragen wurde, wird schließlich wieder rückgängig gemacht.

Entdeckt werden sie in ihrer Höhle durch ein Geologen-Team, das dies bereits mit menschlichen Verlusten teuer bezahlt. Von da ab holen sich die Fische zunächst hier und da einen Angler oder einen unvorsichtigen Schwimmer, steuern dann aber auf den Urlaubsstrand am anderen Ende des Gewässers zu. Dort findet alljährlich eine studentische „Spring Break“-Party statt, zu der Hunderte junge Menschen anreisen, haufenweise Drogen und Alkohol konsumieren und sich dabei feucht-fröhlichen Spielen aller Art hingeben. Der einheimische Teenager Jake Forester (Steven R. McQueen), der eigentlich auf seine jüngeren Geschwister aufpassen soll, während seine Mutter Julie (Elisabeth Shue) – die Sheriffin des Ortes – einen vermissten Angler sucht, lässt sich von dem Pornofilm-Produktionsteam Derrick Jones (Jerry O'Connell) als Location-Scout anheuern, um seinem Schwarm Kelly (Jessica Szohr), die eingewilligt hat, beim Pornodreh mitzumachen, nah zu sein. Während er sich mit dem zynischen Produzenten und den drogenberauschten Porno-Models herumärgert, schippern seine beiden Geschwister auf den Piranha-verseuchten See umher und geraten in Seenot.

Zur selben Zeit erreichen die Piranhas die Party-Location und richten unter den Badegästen, die auf die Warnungen der örtlichen Polizei nicht hören wollen, ein Blutbad an. Als die Jacht des Pornoproduzenten die in Seenot geratenen Kinder aufsammelt, dabei jedoch auf ein Riff aufläuft, erfährt auch die Gesetzeshüterin von der misslichen Lage ihrer Kinder und weiß nun nicht mehr, wo sie zuerst helfen soll.

Tits and Ass meet Blood and Guts

Das zunächst auffälligste am „Piranha“-Remake ist die scheinbare Besessenheit der Optik für weibliche Rundungen. Von Beginn an des Films hält Ajas Kameramann John R. Leonetti auf jedes Paar Brüste und jeden Hintern, der ihm vor die Linse gerät, drauf. Der Zuschauer bekommt Hip-Hop-Clip-artige Inszenierungen der weiblichen Anatomie in Großaufnahme, Zeitlupe und nicht selten bewegt und geschnitten im Takt der Source-Musik zu sehen und man fragt sich bereits nach ein paar Minuten, was wohl aus dem bitterbösen Horrorfilm-Regisseur von „High Tension“ und „The Hills have Eyes“ geworden sein könnte ... bis der Film in seinem letzten Drittel eine Brutalität bei der Zerstörung dieser Körper an den Tag legt, die man bis dahin wohl nur sehr selten im Mainstream-Horrorfilm zu Gesicht bekommen hat.

Einerseits sind es natürlich die Fraßspuren der Piranhas, die immer wieder in allen Details ins Bild kommen: bis auf die Knochen abgenagte Beine, zur Hälfte aufgefressene Körper, deren unversehrte andere Hälfte aus dem Wasser ragt oder von Helfern gezogen wird, Körperteile – nicht selten Geschlechtsteile –, die durchs Wasser treiben und von vorbei schwimmenden Piranhas gefressen werden.

Dann richtet der Film aber auch ein besonderes Augenmerk auf die Gewalt, die bei der Massenpanik der Badegäste um sich greift, nachdem die Fische am Partystrand angelangt sind. Was man hier zu Gesicht bekommt, verschlägt wahrscheinlich selbst hartgesottenen Splatterfilm-Fans die Sprache und ist von der deutschen FSK erstaunlicherweise sogar weitgehend unberührt gelassen worden.

Kein Zweifel: Zum Ende von „Piranha“ gewinnt die bekannte Handschrift Ajas wieder die Oberhand. Dass das davor gezeigte allerdings keineswegs bloß ein Zugeständnis an die Ästhetik des misogynen Teenhorror-Films neuerer Machart gewesen ist, sondern sich der Logik der Narration anpasst, ist der besondere Witz dieses ästhetischen Bruchs.

Der Angriff der Vergangenheit auf die übrige Zeit

Diese Logik ließe sich als eine ästhetisch-historische Auseinandersetzung nicht nur mit der Vorlage Joe Dantes, sondern auch mit der Ästhetik des 70er- und 80er-Jahre-Horrorfilms überhaupt interpretieren. Ihre Methodik reicht dabei von der Abwandlung der Plot-Motivation bis hin zu der Tatsache, dass Ajas „Piranha“ als „unechter 3D-Film“ in die Kinos kommt.

Bei Joe Dante waren die Killerfische noch das Ergebnis genetischer Experimente des US-Militärs, das diese als biologische Waffe im Vietnam-Krieg einzusetzen beabsichtigte. Dass die Fische in die freie Wildbahn gelangen konnten, war das Resultat eines Unfalls – man könnte sagen: Die immer noch vorhandene, latente Aggression der jüngeren Kriegsvergangenheit (als Dantes Film in die Kinos kam, war der Krieg gerade drei Jahre vorüber) hat hier einen Kanal in die Gegenwart gefunden; das Kriegstrauma konnte sich auf diese Weise weiter durch die Kultur fressen.

Dante hatte damit schon wesentlich mehr abgeliefert als eine bloße Parodie (oder „Kopie“, wie manche behaupten) von Spielbergs "Jaws" das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Anspielungen auf andere Horrorfische und -meeressäuger im Plot.

Alexandre Aja geht mit der Herkunft der Fische viel weiter in die Vergangenheit: Seine Piranhas sind prähistorische Vorfahren der heutigen Arten, die als Atavismus abgeschieden im Untergrund die Jahrmillionen überdauert haben. Sie stehen mit ihrer ganzen Biologie motivisch als eine Verkörperung jenes uralten Grauens, das seit H. P. Lovecraft zum Inventar des Horror-Genres gehört. Und sie treffen auf eine Gegenwart, in der Dekadenz und Hedonismus scheinbar an vorderster Stelle des menschlichen Miteinanders stehen – ein äußerst produktiver Konflikt im reaktionären Horrorfilm, den bereits Dante in seiner Vorlage aufgegriffen hatte.

Aja belässt es jedoch nicht dabei, sondern rekrutiert zum Einen Ikonen der Horrorfilmgeschichte (so ist eines der ersten Opfer im Film ein Fischer, der von „Jaws“-Hauptdarsteller Richard Dreyfuss gespielt wird) und des Science Fiction (der Biologe, der die Geheimnisse der wiederentdeckten Art nach und nach enträtselt, wird von Christopher Lloyd gespielt, der mit „Back to the Future“ bekannt wurde). Diese Besetzungen scheinen in Anbetracht der Story weit mehr als bloße Hommagen oder Allusionen, geschweige denn Zufall zu sein: Diese Nebenfiguren erscheinen als Statthalter für eine alte Art von Genrefilm, ihre Regeln, Strukturen und Motive, durch die sich die Fische nach und nach fressen werden.

Schichten und Häutungen

Im Unterschied zu bereits in 3D gedrehten Filmen, ist „Piranha“ erst in der Postproduktion in das immer beliebtere Format konvertiert worden. Dieses Schicksal teilt er mit etlichen Filmen, schlägt allerdings auch einen Gewinn daraus. Insbesondere die Unterwasseraufnahmen wirken in der 3D-Version wie diskontinuierliche Schichtungen des Bildraums, bei denen die Flüssigkeit wie ein Medium den Bildhinter- vom -vordergrund trennt. Optische Übergriffe in den Zuschauerraum gibt es hingegen kaum, dafür aber immer wieder derartige räumliche Untiefen, die den Zuschauer das, was sich da in der Tiefe – also im Bildhintergrund – verbirgt, fürchten lassen.

In dieser Bildschichtung eine Homologie des Fressprinzips der Killerfische zu sehen, erscheint nicht schwer. In Dantes Vorlage gab es zumeist oberflächliche Verwundungen zu sehen oder die angegriffenen Körper sind von den Piranhas in die Tiefe gezogen worden und sozusagen von der Bildfläche verschwunden. Einzig eines der ersten Opfer, ein Freund des Helden, wird als Leiche gezeigt – mit bis auf die Knochen abgefressenen Füßen.

Diese nur wenige Sekunden dauernde Szene wird von Aja dutzendfach variiert und wiederholt. Erscheinen die Körper der angegriffenen Studenten, Pornostarlets oder ihres Produzenten äußerlich auch noch so unnatürlich aufgehübscht; die Piranhas reduzieren sie in kürzester Zeit ihr natürliches Maß zurück. Dass nach solch einer Reduktion dann schon einmal Silikonimplantate, die vorher für größere Brüste gesorgt haben, durchs Wasser gleiten, ist der sarkastische Kommentar dazu. All das, was durch die ästhetische Chirurgie der Gegenwart zum zeitgenössischen Body-Image beigetragen wurde, wird so schließlich wieder rückgängig gemacht.

Things from the Deep

Fischhorror, das war sozusagen das basale Wirkprinzip von Spielbergs „Jaws“ und ist erfolgreich von Dante und anderen übernommen worden. Er ist vor allem deshalb so wirkungsvoll, weil es mit so genannten Urängsten spielt. Nicht nur erscheint das Gefressenwerden als eine der nachhaltigsten Horrorvisionen kultureller Angstproduktion, auch bereits die Tiefe des Wassers selbst – und erst recht, wenn sich, wie in Ajas „Piranha“, unter ihr eine weitere, noch tiefere Tiefe auftut – trägt schon ein Wesentliches zum Grusel bei.

Psychoanalytisch motivierte Filmwissenschaften haben dies angesichts von Spielbergs Hai-Film deutlicher herausgestellt: Die Meerestiefe ist der ausgewiesene Ort archaischer Ängste und gleichzeitig eine treffende topoloigsche Metapher für das „Unterbewusstsein“ (von dem Freud nie wollte, dass es derartig räumlich aufgefasst wird, weshalb er den Begriff recht früh gegen das „Unbewusste“ tauschte). Was aus dieser Tiefe als Hai, Piranha, Barracuda (so heißt übrigens auch die Yacht des Pornoproduzenten), weißer Pottwal oder Orca auftaucht, ist also nie bloß ein „Monster from the Deep“, sondern stets auch ein „Monster from the Id“.

Ajas „Piranha“ spielt gekonnt auch mit dieser Konnotation des Fischhorrors, gerade, wenn er die Herkunft seiner Fische als besonders alt, ihre Herkunft aus einer besonders tiefen Tiefe und das Alter der phänotypischen Fische zugleich als besonders jung definiert. Baby-Fische sollen es nämlich sein, die da mit sozusagen infantiler Aggression auf die Menschheit los schwimmen. In ihnen steckt also das Potenzial zum ausgewachsenen Monster. Dass dieses Monster in einem Remake des zweiten Teils von „Piranha“ (bei dem niemand geringeres als James Cameron mehr oder weniger selbstständig 1981 Regie führte) oder in einem Sequel noch einmal auf die Filmleinwand kommt, erscheint ziemlich wahrscheinlich. Die Vorlage böte hierfür eine Menge Anschlussmöglichkeiten. Dass es allerdings trotzdem nur schwer möglich ist, ihr gerecht zu werden, hat Martin Weisz bereits 2007 mit seiner Fortsetzung von „The Hills have Eyes“ bewiesen – auch wenn „Piranha“ ein Horrorfilm ist, ist er keinesfalls ein Oberflächenphänomen.

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