Der Herrgott scheißt auf den größten Haufen

Erleuchtung kostet. Bild: S. Buron

Die Kirchen erhalten 2016 eine Rekordsumme von 510 Millionen Euro an verfassungswidrigen Staatsleistungen - CDU, CSU und SPD sträuben sich im Bundestag trotzdem gegen eine Abschaffung

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Alle Jahre wieder feiert man Ostern und die Auferstehung eines Wanderpredigers namens Jesus. Alle Jahre wieder darf man an diesen Tagen nicht tanzen. Immerhin, das Tanzverbot an den Osterfeiertagen gibt’s für umme. Teurer sind da schon die Millionen, die jährlich in den Klingelbeutel der Kirchen fließen: Alle Jahre wieder erhalten die katholische und die evangelische Kirche ihre sogenannten "Staatsleistungen".

Bis auf Hamburg und Bremen blechen alle Bundesländer an die Kirchen, an der Spitze steht Baden-Württemberg mit über 114 Millionen Euro, es folgen Bayern mit über 93 Millionen Euro und Rheinland-Pfalz mit knapp 55 Millionen Euro.

Aktuellen Zahlen zufolge werden die Kirchen 2016 eine Rekordsumme von 510 Millionen Euro Steuergeldern von den Bundesländern erhalten. Von 1949 bis 2016 haben die Kirchen insgesamt über 16,8 Milliarden Euro nur an Staatsleistungen eingesackt.

Diese Staatsleistungen haben nichts mit den 10 Milliarden Euro Kirchensteuer zu tun, die der Staat von den Steuerzahlerinnen und -zahlern jährlich eintreibt. Bei den Staatsleistungen handelt es sich um längst verjährte Entschädigungszahlungen: Im Jahr 1803 enteignete die Reichsdeputation die Reichskirche und gab hunderte Klöster und Ländereien von fast 100.000 Quadratkilometern an weltliche Fürsten, die ihren Besitz unter Napoleon verloren hatten. Im Gegenzug mussten die Kirchen entschädigt werden.

Das ist nun über 200 Jahre her. Doch auch im Jahr 2016 fühlt sich Vater Staat noch immer unterhaltspflichtig, obwohl Artikel 138 der Weimarer Verfassung ganz klar den Verfassungsauftrag formuliert, dass die Zahlungen abgeschafft werden müssen. Ebendieser Artikel wurde 1:1 ins Grundgesetz (Artikel 140) übernommen, weshalb viele Kirchenkritiker die Staatsleistungen als verfassungswidrig einstufen.

Sogar der Finanzchef der evangelischen Kirche, Thomas Begrich, betonte noch im März 2016, dass in Sachen Staatleistungen endlich Bewegung ins Spiel kommen müsse: "Es ist ein Verfassungsauftrag, Regelungen für eine Ablösung zu schaffen. Wir stehen dem natürlich nicht im Wege, aber: Die erste Handlung muss vom Bund ausgehen. Er muss - auch das steht im Grundgesetz - Grundsätze für die Ablösung durch die Länder schaffen."

Debatte im Bundestag über Staatsleistungen

Am 15. April 2016 wurde nun im Bundestag über den Antrag der Linken debattiert, der eine Kommission zur endgültigen Abwicklung der Staatleistungen fordert.

CDU, CSU und SPD sträubten sich vehement gegen eine Abschaffung der Staatleistungen. Der CDU-Abgeordnete Markus Koob sagte über die Idee einer einmaligen Ablöse-Zahlung in seiner Rede vor dem Bundestag:

Selbst wenn wir unterstellen […], dass der kleinste Ablösefaktor 18,6 angewendet werden würde, hätte das eine gewichtige Konsequenz. Wir würden dann über 9,5 Milliarden Euro reden, die den Bundesländern entzogen werden müssten. […] Wir sollten daher zunächst auf freiwillige, in Einzelfragen angemessene Lösungen zwischen den Beteiligten setzen. Der erste Schritt dazu ist, heute Ihren Antrag abzulehnen...

Hunderttausende Hauptamtliche und Ehrenamtliche in beiden Kirchen sorgen tagtäglich dafür, dass gesellschaftliches Leben in Deutschland funktioniert. In den Bereichen Pflege, Seelsorge, Betreuung, Bildung und Denkmalpflege sowie durch unzählige weitere Tätigkeiten tun Kirchen dies jeden Tag. Damit decken sie viele Bereiche ab, die für Staat und Gesellschaft von essenzieller Bedeutung sind.

Markus Koob, CDU, Mitglied des Bundestages, 15. April 2016

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Ja, die katholische und die evangelische Kirche erfüllen wichtige soziale Aufgaben - darunter Aufgaben, für die eigentlich der Staat zuständig ist. Ohne die Arbeit engagierter Kirchenmitglieder und kommunaler Pfarreien wäre die Hilfe für geflüchtete Menschen hierzulande sicherlich schon zusammengebrochen. (Die kirchlichen Bundesverbände halten sich bei der Flüchtlingshilfe deutlich zurück. Und der milliardenschwere Vatikan hat 12 Syrern Asyl gewährt: Asyl für 12 Syrer in Rom.) Der springende Punkt ist aber: Weshalb sollten die Kirchen gegenüber weltlichen Hilfsorganisationen, Ehrenämtern und NGOs privilegiert sein? Wegen Gottes Segen?

Markus Koob verdreht in seiner Bundestagsrede jedoch einige Tatsachen: Richtig ist nämlich, dass die meisten Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, etwa Kindergärten, Sozialstationen oder Krankenhäuser, ohnehin schon direkt aus der Staatskasse und nicht über die Kirchen finanziert werden. Über den Eingangstüren hängt ein Kreuz, aber das Geld kommt vom Staat - zusätzlich zu den Staatsleistungen und zusätzlich zur eingetriebenen Kirchensteuer.

Hinzu kommen noch etliche Subventionen von staatlicher Seite. So finanzieren die Steuerzahler mit tausenden Euro die sogenannten Kirchentage. Nach Schätzungen des Kirchenkritikers Carsten Frerk blechen die Steuerzahler in Deutschland, egal ob gläubig oder nicht, jährlich 19,9 Milliarden Euro an die katholische und evangelische Kirche. "Wo Kirche drauf steht, ist meistens der Steuerzahler drin", bemerkt Frerk treffend.

Problematisch ist zudem, dass diese sozialen Einrichtungen oft nur Kirchenmitgliedern zur Verfügung stehen, sprich, Menschen ohne Konfession können die staatlich finanzierten Einrichtungen der Kirche häufig gar nicht nutzen.

Liberté, Egalité, Laïcité

Unter dem Slogan "Liberté, Egalité, Laïcité", der wiederum den Slogan der Französischen Revolution mit dem Aspekt des Laizismus variiert, hat der sächsische Landesverband der Linken nun einen Antrag an die Bundespartei gestellt. Die Unterzeichner des Appells fordern,

dass der Staat und seine Strukturen eine eindeutige bewusste Distanz zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wahren und somit nicht nur eine weitgehende Religionsfreiheit, sondern auch eine umfassende "Freiheit der Religionslosigkeit" garantieren. Dies ist in einer Gesellschaft, in der die Konfessionslosen inzwischen die "größte Konfession" bilden und die Glaubenslandschaft auch durch Zuwanderung immer pluraler wird, unabdingbar. Die konsequente Laizisierung ist dabei für uns auch ein wichtiges Mittel für den Abbau von Diskriminierung und für eine notwendige Offenheit gegenüber Migrantinnen und Migranten.

Die laizistische Verfasstheit unseres Staates würde den weltanschaulichen (religiösen und nichtreligiösen) Pluralismus am ehesten garantieren. Die von uns angestrebten Reformen sind eine klare Absage an jeden Versuch, eigene religiöse (und andere weltanschauliche) Ansprüche der gesamten Gesellschaft auf Kosten von Selbstbestimmung und persönlicher Freiheit der Einzelnen aufzuoktruieren. Die Laizität ist somit auch ein klares Stoppsignal an religiösen Fanatismus und Fundamentalismus.

Die Linke Sachsen, Sachanträge an den 12. Landesparteitag, "Liberté, Egalité, Laïcité"

Der Staat sollte sich aus kirchlichen Angelegenheiten einfach raushalten - und er sollte erst recht nicht für sie blechen. Abgesehen von den horrenden Staatsleistungen erhalten die Kirchen noch andere Privilegien, von denen normalsterbliche Steuerzahler nur träumen können: Die Kirchen sind von der Umsatz- und Erwerbsteuer befreit. Darüber hinaus zahlen sie auf ihre gigantischen Vermögen und dessen ebenso gigantische Zinsen keine Kapitalertragsteuer, und für ihre läppischen 800.000 Hektar Landbesitz auch keine Grundsteuer. Der liebe Herrgott scheißt auch hier auf den größten Haufen.

Nach derzeitigem Verständnis stellen Kirche und Staat hierzulande eine "res mixta" (gemischte Angelegenheiten) dar. Die "kooperative Trennung" muss zur einer richtigen Trennung werden, wir müssen die Vorschriften- und Geld-getränkte Nabelschnur zwischen Kirche und Staat ein für allemal kappen. Moderne Demokratien sind zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Also: Lasst die Kirche im Himmel!

Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.