Ein Haufen pseudostellarer Blindgänger

Astronomenteam spürte in Gaswolke 30 junge Braune Zwerge auf

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Mindestens einmal in der Woche kann irgendwo ein Astronomenteam auf diesem Planeten einen bedeutsamen Erfolg vermelden. Jetzt ist der Schwede Lennart Nordh an der Reihe, der mit einem internationalem Team gleich 30 Braune Zwerge innerhalb eines kleines Gebiets entdeckte, das nur 540 Lichtjahre von der Erde entfernt ist.

Antares and Rho Ophiuchi. D. Malin (AAO), AATB, ROE, UKS Telescope

Interessanterweise observierten die Forscher die Population der 30 Braunen Zwerge nicht direkt. Vielmehr stöberten sie das "Beweismaterial" im ISO-Archiv auf. Das kosmische Gesetz kennt keine Gnade: Hat ein Stern all seine Energievorräte aufgebraucht, ist sein vorprogrammiertes Schicksal besiegelt. Er stirbt, wobei allein seine Masse die Todesart bestimmt. Unsere relativ massearme Sonne etwa wird sich erst in ferner Zukunft (4-5 Milliarden Jahren) zu einem "Roten Riesen" aufblähen, um dann - wie es in der märchenhaften Sprache der Astronomen heißt - als "Weißer Zwerg" zu enden. Ohne den nötigen Kernbrennstoff, den sie für die Umwandlung von Wasserstoff in Helium benötigt, kann sie den drohenden Gravitationskollaps nicht länger in Schach halten. Die Schwerkraft gewinnt die Oberhand: Aus dem einstigen Licht- und Wärmespender wird eine sich langsam abkühlende Sternenleiche von einigen tausend Kilometern Durchmesser, in der die Atomkerne dicht an dicht gedrängt werden.

Fabelhafte Gestalten

Doch im Weltraum tummeln sich neben Roten Riesen und Weißen Zwergen noch andere fabelhafte Gestalten. Hierzu zählen fraglos auch die so genannten Braunen Zwerge, die – so die allgemein anerkannte Theorie – nicht genug Masse mitbringen, um die nuklearen Brennprozesse in ihrem Inneren zu zünden und die atomare Kettenreaktion zu entfachen.

Infrarot-Aufnahme der Sternentstehungsregion rho Oph. Nebst jungen Sternen und braunen Zwergen ist sehr viel Staub sichtbar, der durch die Sternstrahlung aufgewärmt wird. Quelle: ESA ISO/ ISOCAM/ Alain Abergel (Abergel et al. (1996) A&A 315, L329)

"Normale" Sterne hingegen, auf denen Wasserstoff zu Helium verbrannt wird, verdanken ihre Existenz einer derartigen Kettenreaktion. Braune Zwerge hingegen kühlen langsam ab, um zusehends zu verblassen. Wenngleich deren Masse kaum die acht Prozent-Marke unserer eigenen Sonne überschreitet, sind sie aber auf der anderen Seite deutlich massereicher als Planeten. Daher gehen viele Astronomen davon aus, dass diese Himmelskörper ein Verbindungsstück zwischen Sternen und Planeten darstellen, das viel über die Entstehung von Sternen und Planeten verrät. Wohl deshalb sind Braune Zwerge derzeit ein sehr beliebtes Forschungsobjekt, obgleich sie relativ kühl und leuchtschwach und daher nur schwer zu entdecken sind – und obwohl sie Wissenschaftler scherzhaft gerne als Versager im All hinstellen, da diese es nicht vermocht haben, sich selbst zu entzünden.

Aufnahmen aus dem Archiv gekramt

Gleich 30 solcher kosmischen Versager oder, besser gesagt, solcher pseudostellaren Blindgänger hat jetzt ein internationales Astronomenteam unter der Leitung des schwedischen Forschers Lennart Nordh von der Universität Stockholm in der nur 540 Lichtjahre entfernten Gaswolke Rho Ophiuchi aufgespürt.

Genau genommen entdeckten die Forscher die Braunen Zwerge auf Archivbildern, die der ESA-Infrarotsatellit ISO bereits zwischen November 1995 und Mai 1998 (dies war der Operationszeitraum der Sonde, die derweil nicht mehr im Einsatz ist) während einer Observation von Sternen, Gaswolken und Galaxien im langwelligen Infrarot-Bereich gemacht hatte. Nunmehr vermuten die Astronomen, dass sich weitere Braune Zwerge in der relativ nahen und jungen Rho-Ophiuchi-Region tummeln. "Wir haben Braune Zwerge mit einer Masse von bis zu fünf Prozent der Sonnenmasse oder 50 Jupitermassen hinab gefunden", erklärt Sylvain Bontemps von dem Observatoire de Bordeaux, Floirac in Frankreich, ein Mitarbeiter von Lennart Nordh.

ESA/ISO 96-6: 12 June 1996. Foto: ESA/ISO, CEA Saclay und ISOCAM Consortium

Da die in der Gaswolke eingebetteten Objekte mit einem Alter von gerade mal eine Million Jahre noch recht jung sind, strahlen sie auch entsprechend intensiv. Zum Glück für die Sternforscher, da sich Braune Zwerge für gewöhnlich in punkto Lichtintensität gerne in Zurückhaltung üben. Deshalb wollen die Forscher die Chance nutzen und das junge Sternentstehungsgebiet näher unter die Lupe nehmen. Dabei sollen möglichst große Teleskope zum Einsatz kommen: "We will clearly have to go back and search for more of these sub-stellar objects with current and future infrared telescopes, both in space and from the ground with the 10-metre class telescopes," so der Kommentar von Bontemps, der in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Astronomy and Astrophysics (372, 173, 2001) nachzulesen ist. Nicht zuletzt werden sich auch Planetenjäger für diese Ergebnisse interessieren, geben diese doch Auskunft über die genaue Grenze der Massen zwischen Braunen Zwergen und Planeten.

Bis vor fünfeinhalb Jahren war die Existenz von Braunen Zwergen im All noch höchst kontrovers. Erst als Shrinivas Kulkarni vom California Institute of Technology und sein Team das Vorhandensein dieser kühlen und schwach leuchtenden Objekte bestätigen konnten, fanden diese Gebilde, die ihren phantasievollen Namen der bekannten SETI-Forscherin Dr. Jill Tarter verdanken, in der Wissenschaft allgemeine Akzeptanz. Übrigens entdeckte schon einmal ein Forscherteam eine größere Population von den "brünetten Unholden" auf einen Schlag. Seinerzeit spürte eine US-Wissenschaftlergruppe im Trapez-Haufen des Orion-Nebels dank einer Aufnahme im nahen Infrarot rund 50 junge Braune Zwerge auf.