Bundesregierung will islamfeindliche Straftaten erfassen

Von islamfeindlichen Straftaten wollte das Bundesinnenministerium bisher in seiner Kriminalitätsstatistik nichts wissen. Das soll sich nun ändern

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CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder will Moscheen überwachen lassen. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen fordert mehr Geheimdienstbefugnisse gegen Islamisten. Und die AfD würde den Islam am liebsten gleich ganz verbieten.

Fast täglich stellen Partei- und Behördenvertreter neue Forderungen, nach einer stärkeren sicherheitspolitischen Kontrolle von Muslimen. Geht es hingegen um Straftaten, die sich gegen Muslime richten, waren Behörden in der Vergangenheit hingegen weit weniger aktiv. Dies zeigt sich unter anderem in der Kriminalitätsstatistik des Bundesinnenministeriums. Denn dort tauchen islamfeindliche Straftaten als eigene Kategorie gar nicht auf.

Bild: Albert Mestre/CC-BY-SA-3.0

Wurden Moscheen bisher mit Graffiti beschmiert, Schweineköpfe vor islamischen Kulturzentren abgelegt oder Frauen auf offener Straße verprügelt, weil sie ein Kopftuch tragen, hatte all das für die Bundesregierung bisher nichts mit Islamfeindlichkeit zu tun. Das soll sich nun ändern. Dies hat die Bundesregierung dieser Tage auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet, die "Telepolis" vorliegt.

Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke hatte gefragt, wann die Kategorie "islamfeindlich" in die Kriminalitätsstatistik aufgenommen wird. Die Antwort des Innenministeriums: Die Innenministerkonferenz wird sich bei ihrer Sitzung im Juni mit dem Thema befassen. Ab dem 1. Januar 2017 soll dann "islamfeindlich" als Unterkategorie zur bereits bestehenden Rubrik "Hasskriminalität" als Form der politisch motivierten Kriminalität aufgenommen werden.

Islamverbände und Antirassismusinitiativen hatten jahrelang gefordert, Islamfeindlichkeit zu erfassen

Nach Jahren der Kritik kommt die Bundesregierung damit einer Forderung nach, die Grüne und Linke, Islamverbände und Antirassismusiniativen seit Jahren auf der Agenda haben. Zuletzt hatte der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, im Dezember 2015 eine solche Forderung aufgestellt. In einen Gespräch mit der taz verwies er auf die Bekämpfung von Antisemitismus als er sagte: "Bei der Muslimfeindlichkeit begreift man erst jetzt, dass man ähnliche Sanktionsmechanismen braucht. Wir diskutieren deshalb gerade mit den Behörden darüber, wie man islamfeindliche Straftaten gesondert erfasst."

Offenbar mit Erfolg. Denn noch vor rund einem Jahr war das Desinteresse der Bundesregierung am Thema unübersehbar. Als Ulla Jelpke im April 2015 beim Innenministerium versuchte, die Anzahl islamfeindlicher Straftaten herauszufinden, verriet die Antwort wenig über Straftaten gegen Muslime, dafür umso mehr darüber, wie unwichtig der Bundesregierung das Thema ist. Die genaue Anzahl islamfeindlicher Übergriffe? "Lassen sich aus der Polizeilichen Kriminalstatistik ... schon systembedingt nicht herausfiltern." Islamfeindliche Übergriffe? "Kein eigenständiges Delikt". Der materielle Schaden der Angriffe auf Moscheen? "Keine Erkenntnisse". Gezielte polizeiliche bundesweite Aktionen gegen Islamfeindlichkeit? "Der Bundesregierung liegen keine Informationen im Sinne der Fragestellung vor."

Schon 2015 hatten Experten der Bundesregierung zu dem Schritt geraten

Ein Jahr später will die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Jelpkes Anfrage zumindest von sechs Angriffen auf Moscheen im ersten Quartal 2016 wissen. Doch auch diese Zahlen kritisiert Jelpke, schließlich hätten Islamverbände schon für die ersten Wochen des Jahres über einen "massiven Anstieg islamfeindlicher Übergriffe" berichtet.

Und auch in der Erweiterung der Kriminalitätsstatistik sieht Jelpke keinen Grund zur Freude und verweist auf die zögerliche Einführung der neuen Kategorie. So habe sich bereits 2015 ein zuständiges Fachgremium der Bundesregierung für die gesonderte Erfassung islamfeindlicher Straftaten ausgesprochen. "Angesichts der drängenden Brisanz des Themas ist dieser langwierige bürokratische Prozess nur schwer nachzuvollziehen", sagt Jelpke.

Und noch etwas anderes deutet daraufhin, dass Jelpke mit ihrer Skepsis hinsichtlich des Engagements der Bundesregierung gegen Islamfeindlichkeit Recht behalten könnte. Danach gefragt, infolge wie vieler mutmaßlich antimuslimischer Straftaten im ersten Quartal 2016 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, lieferte das Innenministerium ausnahmsweise eine konkrete Antwort: bei keiner einzigen.