TTIP - "Tricksen und Täuschen in Perfektion"?

Anti-TTIP-Demonstration in Hannover, 23. April 2016. Foto: Bernd Schwabe/CC BY-SA 4.0

Die Greenpeace-Leaks liefern keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse, bestätigen aber Gegner und Skeptiker des Abkommens

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Von der Politik in Deutschland bislang nahezu einhellig als eine für die Zukunft Europas unentbehrliches Instrument gefordert, stößt die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft in der Zivilgesellschaft auf beachtliche Skepsis.

Während die Position der USA bei den Verhandlungen in Amerika einem Kreis von etwa 5.000 Personen bekannt ist, die sich zur absoluten Verschwiegenheit verpflichten mussten und gewissermaßen als Stellvertreter der Öffentlichkeit agieren, sind die Informationen in der EU nur einer sehr eingeschränkten Zahl von Personen zugänglich.

Selbst Abgeordnete dürfen sich die Verhandlungstexte nur in besonderen TTIP-Leseräumen ansehen. Jegliche Aufzeichnungen in den Leseräumen sind verboten. Belege für die dort vorgefundenen Positionen können somit schon aus rein technischen Gründen von den Leseberechtigten nicht vorgelegt werden.

Keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse

Mit den von Greepeace Niederlande veröffentlichten knapp 250 Seiten der TTIP-Leaks wurde die Diskussion um TTIP in der Öffentlichkeit jetzt wieder verstärkt aufgenommen. Auch wenn die Veröffentlichungen von Greenpeace keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse liefern, haben sie dennoch eine zunehmende Skepsis bei denen hervorgerufen, die TTIP wie auch andere Freihandelsabkommen kritisch gegenüberstehen und das Kürzel TTIP eher als "Tricksen und Täuschen in Perfektion" interpretieren.

Die Hoffnung, dass aus Europa oder zumindest der EU und den USA ein einziger gewaltiger Wirtschaftsraum werden könnte, scheint jetzt ganz plötzlich wieder zur Utopie zu gerinnen. Wer von gewaltigen Märkten träumt, muss jetzt feststellen, dass die beiden Atlantik-Anrainer doch sehr unterschiedlich gestrickt sind. Wo Europa sich eher als Gärtner versteht, der die Umwelt hegt und pflegt, ist in Nordamerika eher die Mentalität des Jägers zuhause, der sein Opfer erlegt und dann weiterzieht.

Wo zwei Kulturen aufeinanderprallen

Diese unterschiedliche Denkweise zeigt sich auch im Umgang mit neuen Produkten. Hierbei gilt in den USA das Risikoprinzip, dem das europäische Vorsorgeprinzip konträr gegenüber steht. Das Risikoprinzip gilt dabei als deutlich innovationsfreudiger, weil dabei nicht vorab nachgewiesen werden muss, dass ein neues Produkt keine Schäden verursacht. Die Produkte sind in den USA daher schneller marktreif (ready to market) als in Europa, wo erst die Unbedenklichkeit nachgewiesen werden muss.

Das europäische Reach-System zählt zu den regulatorischen europäischen Spezialitäten, für die Amerikaner kaum Verständnis haben und die sie als staatliche Gängelung der Unternehmen und der Verbraucher betrachten, welchen Profite, bzw. Nutzen vorenthalten werden. In den USA löst man nachgewiesene Unverträglichkeiten lieber mit teilweise horrenden Schadessersatzzahlungen, wie sie in Europa nicht vorgesehen sind. Hier will die staatliche Verwaltung mit ihrer Aufsicht dafür sorgen, dass die Produkte der Industrie keine Schäden hervorrufen, und der Bürger glaubt, sich in den meisten Fällen auch darauf verlassen zu können.

Es sind keinesfalls die unterschiedlichen Normen oder im Amerikanischen "Standards", die, wie oftmals argumentiert wird, den Handel behindern. Denn auf die Normen haben Behörden nur einen ganz marginalen Einfluss. Die Normen werden auch heute schon von Einrichtungen der Industrie diskutiert und entschieden. Auch die als übermächtig beschriebene EU-Kommission kann den Normungsgremien nur ein Mandat zur Formulierung einer Norm erteilen. Ob die so entwickelte Norm dann die Vorstellungen der Politik erfüllt hat, wird in einem Monitoring-Verfahren ermittelt, das häufig von sogenannten Experten im stillen Kämmerlein überprüft wird.

Die derzeit größten dokumentierten Baustellen

Der Teufel steckt auch bei den TTIP-Verhandlungen im Detail und das kann meist nur im Gesamtzusammenhang fundiert beurteilt werden. Im Augenblick werden die folgenden Komplexe als besonders problematisch dargestellt.

Im Zusammenhang mit der in Deutschland für besonders wichtig gehaltenen Automobilindustrie, die auf massive Zollerleichterungen beim Export in die USA hofft, pokert die amerikanische Seite mit der Forderung nach Senkung der europäischen Zölle für Agrarprodukte und die verstärkte Einfuhr US-amerikanischer Agrarprodukte nach Europa. Im Zusammenhang mit genmanipulierten oder geklonten Produkten ist hier fest damit zur rechnen, dass das europäische Vorsorgeprinzip unter die Räder kommt.

Dass auf der anderen Seite die vielfach sehr kleinteilig organisierte europäische Agrarwirtschaft gegen die US-Agrarfabriken keine Überlebenschance besitzt, ist kaum von der Hand zu weisen.

Ein weiterer Knackpunkt sind die für global agierende Unternehmen durchaus vorteilhaften privaten Schiedsgerichte, in welchen weder einzelne Staaten noch die sogenannten KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) eine Chance haben, ihre Vorstellungen durchzusetzen und bei welchen es nach den amerikanischen Vorstellungen auch keine Berufungsmöglichkeiten geben soll.

Da nach den amerikanischen Vorstellungen auch künftiger Gewinn schon zum Vermögen eines Unternehmens gehört, sieht sich so manches amerikanische Unternehmen durch europäische Regulierungen gewissermaßen enteignet und wird auf Schadensersatz klagen, wenn es in Europa nicht die erhofften Gewinne einstreichen kann. Der Vorschlag, die Verhandlungen der Schiedsgerichte im Internet stattfinden zu lassen, mag für Historiker von Interesse sein. Mangels Berufungsinstanzen ist der praktische Nutzen eher gering.

Wozu dient TTIP?

Mit dem Freihandelsabkommen TTIP soll die hergebrachte, weitgehend atlantisch dominierte Weltwirtschaftsordnung so fortgeschrieben werden, dass sie nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, obwohl sie sich im Zeitalter der Globalisierung schon längst überlebt hat und neue Spieler auf den Markt drängen, die nicht nur als Rohstofflieferanten oder verlängerte Werkbänke dienen wollen. Die atlantische Gemeinschaft will jetzt ihre weltwirtschaftliche Führungsposition absichern.

Mit dem Ratched-Prinzip soll sichergestellt werden, dass die geforderte Entwicklung zur als besonders effizient bezeichneten Privatisierung von bislang in Öffentlicher Hand befindlichen Aktivitäten nicht rückgängig gemacht werden kann. Stellt man fest, dass man sich mit einer Privatisierung auf den Holzweg begeben hat, gibt es dennoch keinen Weg zurück.

Findet sich kein privater Unternehmer für eine von den Bürgern gewünschte Dienstleistung, darf die nach der Ausverhandlung von TTIP nicht mehr durch ein kommunales Unternehmen angeboten werden. Nach Abschluss der Verhandlungen kann TTIP ohne Zustimmung der Parlamente schon vorläufig in Kraft gesetzt werden, auch wenn eine parlamentarisch Zustimmung noch lange auf sich warten lassen sollte. Die in allen Freihandelsverträgen vorhandene Meistbegünstigungsklausel sorgt dafür, dass Vorteile in künftigen Freihandelsabkommen mit anderen Partnern automatisch auch für die TTIP-Vertragspartner gelten.

Das aktuell in Verhandlung befindliche Freihandelsabkommen ist keinesfalls vom Himmel gefallen, sondern lässt sich zurückführen auf zahlreiche andere bestehende Freihandelsabkommen. Das bekannteste dürfte dabei das Ende der 1990er Jahre am Widerstand Frankreichs gescheiterte MAI (Multilateralen Investitionsabkommens) sein (Noch eine Anstrengung, ihr Globalisierer!). In diesem Zusammenhang setzt so mancher TTIP-Kritiker jetzt wieder große Hoffnungen auf die Durchsetzungskraft der Franzosen.