Sadiq Khan: Wofür Londons neuer muslimischer Bürgermeister sonst noch steht

London City Hall. Bild: Garry Knight/CC-BY-SA-2.0

London hat seinen neuen Bürgermeister. Doch während Sadiq Khans Herkunft weiterhin in den Vordergrund steht, gerät seine teils fragwürdige politische Haltung in den Hintergrund

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Kurz nachdem bekannt wurde, dass Sadiq Khan, ein Brite mit pakistanischen Wurzeln und muslimischer Konfession, dank einer demokratischen Wahl der neue Bürgermeister von London wird, war es nicht nur Euphorie, die in Erscheinung trat.

In den Sozialen Medien schwadronierten Rechtsextreme, Populisten und selbsternannte Abendlandverteidiger vom "Fall Londons". Abstruse Theorien gerieten schnell in Umlauf. Manche meinten etwa, die Wahl sei manipuliert worden. Anderen hingegen waren sich sicher, dass die "Multikulti-Diktatur der EU" auf irgendeine Art und Weise ihre Finger im Spiel habe. "Die Mehrheit Londons ist doch sowieso muslimisch", meinten etwa nicht wenige verwirrte Geister in den Kommentarspalten der Gazetten.

Natürlich, der Bürgermeister Londons ein Muslim? Da muss doch etwas nicht stimmen. Wohl gemerkt, teils nahmen die Verschwörungstheorien groteske Züge an. Kurzzeitig hieß es, dass Khans Frau, anscheinend bekannt dafür, kein Kopftuch zu tragen, schon am Tag nach der Wahl verschleiert neben ihren Gatten gesichtet wurde. "Ha, erwischt!", denken immer noch zahlreiche Anhänger dieses Schwachsinns. Das Problem ist nur, dass es sich bei der verschleierten Frau auf dem besagten Foto gar nicht Khans Ehefrau handelt. Die läuft übrigens weiter herum wie gewohnt.

Gerüchte wie diese machen allerdings deutlich, dass antimuslimische Verschwörungstheorien neben antisemitischen sehr wohl existieren und schnell die Runde machen. In den Kommentarspalten zahlreicher namhafter Zeitungen sowie in den Sozialen Medien lassen sich viele Menschen finden, die tatsächlich glauben, Khan habe seine muslimische Identität verstellt, um gewählt zu werden. Nun, nach seinem Erfolg, kann er in aller Seelenruhe eine "islamische Rechtsordnung" in London einführen.

Oft wird in diesem Kontext mit Begriffen aus der islamischen Theologie, etwa Taqqia oder Scharia, gespielt. Da neben den einfachen Internettrollen selbst etablierte Medien selten Ahnung von deren Bedeutung haben, sie allerdings immer wieder inflationär in Gebrauch nehmen, soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden.

Stattdessen sollten einige andere Dinge klargestellt werden. Sadiqs Khan Wahl zum Bürgermeister einer der bedeutendsten Metropolen der westlichen Welt hat sicherlich ein historisches Ausmaß. Es liegt nicht allzu lange zurück, als das britische Imperium Indien und damit auch das heutige Pakistan kolonialisierte. Wie in ihren anderen Kolonien betrachteten die Briten die indischen Einheimischen als ihrer nicht ebenbürtig. Sie wurden missachtet, ausgebeutet und unterdrückt. Wohl kaum hätte man damals damit gerechnet, dass ein Mann namens Sadiq Khan im Jahr 2016 Bürgermeister jener Stadt wird, von der aus einst das Imperium geführt wurde.

Die Wahl Khans spricht vor allem für die Bürger Londons. Diese ließen sich nicht von rechten Demagogen und Stimmungsmachern ablenken. Für viele Menschen spielte Khans Herkunft und Religion keine Rolle. Bei der darauffolgenden Berichterstattung war dies jedoch nicht der Fall. Teils gewann man den Eindruck, dass "Muslim" der Vorname Khans sei. Währenddessen wurde nur selten klar, was für politische Standpunkte Khan eigentlich vertritt.

Khan gehört zwar der Labour-Partei an, steht allerdings weit rechts vom Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn. Dies wird vor allem anhand seiner Haltung in außenpolitischen Fragen deutlich. So gehörte Sadiq Khan zu jenen Abgeordneten, die mehrmals gegen eine juristische Untersuchung des illegalen Irak-Krieges stimmten. Dadurch machte er vor allem seinem Parteikollegen Tony Blair, der gemeinsam mit George W. Bush de facto als Kriegsverbrecher zu behandeln und für den Tod von über eine Million Iraker verantwortlich ist, einen Gefallen.

Auch für das Chaos in Libyen gab Sadiq Khan seine Stimme. Im März 2011 stimmte er für die Errichtung einer Flugverbotszone, an der sich das britische Militär beteiligen sollte. Was danach über das Land hereinbrach, ist mittlerweile bekannt.

2014 befürwortete Khan für eine Beteiligung des britischen Militärs im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat". Interessanterweise war dies im Fall von Syrien anders. Diesbezüglich stimmte er Ende 2015 zwei Mal gegen den militärischen Einsatz Großbritanniens.

Eine besonders heikle Position vertritt Sadiq Khan jedoch in jener Antisemitismus-Debatte, welche die Labour-Partei seit einigen Wochen heimsucht. Nachdem Parteichef Corbyn, der unter anderem die populäre Boykottkampagne BDS (Boycot, Divestment and Sanctions) gegen Israel unterstützt, sich gezwungen sah, mehrere Mitglieder seiner Partei aufgrund von Antisemitismus-Vorwürfen zu entlassen, meinte Khan in einem Interview, dass Corbyn zu spät gehandelt habe. Nach seinem Sieg bekräftigte Khan in einem Artikel im Guardian seine Kritik an Corbyn. Seit der Bürgermeisterwahl ist Sadiq Khan kein einziges Mal mit seinem Parteivorsitzenden öffentlich in Erscheinung getreten.

Berichten zufolge wurden 50 Labour-Mitglieder rausgeschmissen. In vielen Fällen wurde jedoch nicht klar, ob die Aussagen tatsächlich antisemitisch gewesen sind oder nur antizionistischer Natur waren. Auf diesen wichtigen Unterschied, den es ohne Zweifel gibt, hat vor allem das propalästinensische Corbyn-Lager bis zuletzt Wert gelegt.

Via Twitter bekundete Khan außerdem, kein Unterstützer der BDS-Kampagne zu sein. Der betreffende Tweet wurde nach kurzer Zeit gelöscht, da er kurzzeitig einen Shitstorm auslöste und viele von Khans Followern sich mit ihrer Kritik an ihm nicht zurückhielten.

Schon seit einiger Zeit wird Jeremy Corbyn aufgrund seiner kritischen Haltung zur israelischen Politik auch innerhalb der Labour-Partei als Antisemit verunglimpft. Die meisten dieser Kritiker kommen aus dem neokonservativ geprägten Blair-Flügel, die bekannt dafür sind, jegliche Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichzustellen. Mit seiner Haltung hat sich Sadiq Khan diesem Flügel angeschlossen - was keine Überraschung ist, wenn man seine anderen außenpolitischen Entscheidungen und Ansichten in Betracht zieht.