Sichere Herkunftsstaaten Marokko, Algerien und Tunesien?

Die Menschenrechtssituation in den Maghreb-Ländern hat größere Defizite. Der Bundesregierung geht es um die innenpolitische Lage in Deutschland

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Es genügen ein paar Mausklicks, um zu erfahren, dass marokkanische, algerische oder tunesische Staatsbürger auf willkürliche Polizeigewalt gefasst sein müssen. Schnell ist ein Fall einer willkürlichen Verhaftung in Algerien gefunden ("Die Polizisten urinierten auf mich"), verbunden) mit der Einschätzung einer miserablen Menschenrechtslage in dem Land seitens der UN. Auch mit der Freiheit der kritischen Presse steht es nicht zum Besten.

In Tunesien sind willkürliche Polizeigewalt und Folter auch fünf Jahre nach dem Aufstand gegen Ben Ali, der einen Polizeistaat führte, nach wie vor "ein ungelöstes Problem", das auf taube Ohren stößt, empörte sich das Portal Nawaat Ende April. Im Fall Marokko wies US-Außenminister Kerry in der jährlichen Einschätzung seines Ministeriums zur Menschenrechtslage des Landes auf "hartnäckige Probleme" hin. Aufgezählt werden auch hier: "willkürliche Verhaftungen", die "Anwendung exzessiver Gewalt", Folter und üble Haftbedingungen.

"Weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung"

Sichere Herkunftsstaaten sind laut Bundesamt für Migration "Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet". Im Fall der genannten Staaten sieht es nicht danach aus, also ob diese Defintion zuträfe. Am Ende der Definition erfolgt ein Verweis auf § 29a AsylVfG.

Dort ist niedergelegt, worum es der Bundesregierung geht: Ein Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsland ist "als offensichtlich unbegründet abzulehnen". Es sei denn der Antragsteller kann Beweismittel für seine politische Verfolgung vorlegen.

Kippmoment Übergriffe in Köln

"Defizite im Hinblick auf die Menschenrechte", stellt auch Innenminister de Maizière für die Maghreb-Länder fest. Spätestens seit Silvester ist aber die innenpolitische Lage in Deutschland viel wichtiger. Die Reaktionen auf die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und anderswo führten zu einem ernstzunehmenden Kippmoment in der Flüchtlingspolitik. Die Kritik an Merkels Politik der offenen Grenzen wuchs enorm.

Im Mittelpunkt standen Migranten aus Nordafrika, die deutsche Frauen belästigen. Es folgten in den Tagen nach Bekanntwerden der Vorgänge, die ein schlechtes Bild auf Polizei und Medien warfen, beinahe im Stundentakt Meldungen über Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe von Migranten aus dem Maghreb, dazu Kriminalstatistiken und Gerüchte. Die Kontroverse über die Vorgänge wurde auch international sehr heftig geführt (vgl. den Fall Kamel Daoud). Der Schluss daraus ist, dass Migranten aus Marokko, Algerien und Tunesien nicht mehr mit einer "Willkommenskultur" rechnen können.

Härte zeigen

Die Regierung Merkel will hier Härte und Entschlossenheit zeigen, um wettzumachen, was ihr seit September 2015 vorgeworfen wird, und um keinen Boden mehr an die AfD zu verlieren. De Maizère reiste zu Anfang des Jahres in die nordafrikanischen Länder, um mit Versprechen finanzieller Hilfe, die Rückführungen zu garantieren.

Heute stimmte der Bundestag mehrheitlich für den Regierungsantrag, Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Der Innenminister versprach, dass das Recht der individuellen Prüfung von Asylanträgen nicht abgeschafft werde. "Jeder bekommt ein faires Asylverfahren."

Die Rolle der Grünen

Die Oppositionsparteien, die Grünen und die Linken, trauen diesem Versprechen nicht über den Weg. Es steht noch die Entscheidung im Bundesrat aus. Dort könnten die Grünen eine entscheidende Rolle spielen. Für die absolute Mehrheit im Bundesrat sind 35 Stimmen nötig.

Gemäß der gegenwärtigen Zusammensetzung vereinigen Bayern und die Länder, die von großen Koalitionen regiert werden, 20 Stimmen. Man schaut nun darauf, wie sich Winfried Kretschmann in der Frage positionieren wird. De Maizière setzt auf "die Pragmatiker bei den Grünen".