600 Seiten gegen Islamfeindlichkeit

Laut Wikipedia "ein Zeichen, das im Weltbild der Islamfeindlichkeit negative Deutungen von Islam und Muslimen transportiert, die zur Legitimation für deren Ablehnung dienen". Bild: Hijabis4ever/CC BY-SA 3.0

Wie groß der Problem der Islamfeindlichkeit wirklich ist, wurde bisher nirgends erfasst. Europäische Wissenschaftler wollen das nun ändern

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Sie hatten alles versucht. Schon lange vor Baubeginn war die Ahmadiyya-Gemeinde auf lokale Behörden zugegangen. Bei Bürgerversammlungen hatten ihre Vertreter versucht, Vorbehalte von Anwohnern abzubauen. Mit öffentlichen Aktionen warb die Gemeinde, die ohnehin als liberal gilt, für einen reformorientierten, friedlichen Islam. Es nützte nichts: Anfang des Jahres lag dennoch ein totes Schwein neben der Moscheebaustelle. Nicht zum ersten Mal: Schon im November 2013 hatten Unbekannte an gleicher Stelle fünf Schweineköpfe auf Holzpflöcke gespießt.

Islamfeindliche Übergriffe wie dieser im Leipziger Stadtteil Gohlis nehmen nicht nur in Deutschland zu. Doch wie groß das Problem der Islamophobie in Europa wirklich ist, konnte bisher niemand so genau sagen. Der European Islamophobia Report, der Anfang des Monats vor dem Europäischen Parlament in Brüssel vorgestellt wurde, soll das nun ändern. 37 Wissenschaftler geben in 25 Länderberichten einen Einblick in das Ausmaß von Islamfeindlichkeit in Europa und Empfehlungen, wie Politik und Gesellschaft mit dem Problem umgehen sollten.

"Es gab in der Vergangenheit eine Reihe guter Berichte zu Islamophobie, jedoch nur sporadisch und wenige Länder betreffend", sagt Farid Hafez. Zusammen mit seinem Kollegen Enes Bayraklı von der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul hat der Politikwissenschaftler von der Uni Salzburg die länderübergreifende Studie initiiert. Der Bericht, der von nun an jährlich erscheinen wird, soll "eine neue Grundlage zur Diskussion über Islamfeindlichkeit in Europa schaffen."

Für Muslimfeindlichkeit braucht es keine Muslime

Vor allem infolge der sogenannten Flüchtlingskrise und terroristischer Anschläge in Frankreich hätten Übergriffe auf und das Verbreiten von Stereotypen gegenüber Muslimen zugenommen, schreiben die Macher der Studie. So hätten sich infolge der Anschläge auf Charlie Hebdo islamfeindliche Angriffe in Frankreich verfünffacht. In vielen Ländern zeigten Meinungsumfragen, dass mittlerweile eine Mehrheit der Bevölkerung Muslimen feindlich gegenüber stünden.

Aber nicht nur in Ländern mit großen muslimischen Minderheiten wie Frankreich sei Islamfeindlichkeit ein Problem. Auch in Ländern, in denen der Anteil der muslimischen Bevölkerung verschwindend gering ist, hätten islamfeindliche Gruppen und Parteien massiv Zulauf bekommen.

So warnte in Ungarn der Anführer der rechtsradikalen Fidesz-Partei Antal Rogán vor einem "Vereinigten Europäischen Kalifat" und der ehemalige Kulturstaatssekretär László L. Simon rief Christen auf, mehr Kinder zu bekommen, um der vermeintliche Überfremdung entgegenzuwirken. Ungarn hat einen muslimischen Bevölkerungsanteil von nicht einmal einem halben Prozent.

Auch in Länder wie Litauen, Polen oder Slowenien sei Islamophobie ein "erfolgreiches Werkzeug, um Menschen zu mobilisieren", stellen die Wissenschaftler fest. Dabei würden Muslime nicht nur als krimineller und gewaltbereiter wahrgenommen werden, als es der Realität entspricht, sondern ihre Zahl auch deutlich überschätzt. Eine der wichtigsten Feststellungen des Berichts lautet deshalb: Für antimuslimischen Rassismus bedarf es keiner Muslime. Vom Phänomen Islamophobie ließen sich weniger Rückschlüsse auf Muslime ziehen als auf Islamophobe, so der Bericht.

In den meisten Ländern werden islamfeindliche Straftaten nicht gesondert erfasst

Auch für Deutschland listet der Bericht zahlreiche Fälle von Islamfeindlichkeit auf. Diese reichen von Pegida-Aufmärschen über den Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reger bis zur Verbreitung islamophober Klischees in deutschen Medien infolge der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht.

Aber auch konkrete Angriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen hätten zugenommen. 416 politisch motivierte Angriffe gegen muslimische Gebetsräume und Moscheen zählte das Bundesinnenministerium von Anfang 2001 bis März 2016. Die Dunkelziffer, das beklagen islamische Verbände und Anti-Rassismusinitiativen dürfte allerdings viel höher liegen.

Auf eine der Ursachen für die Diskrepanz weisen auch die Macher des European Islamophobia Reports hin:

Einer der schwierigsten Aspekte bezüglich der Entwicklung von Islamophobie ist das anhaltende Fehlen von zuverlässigen und flächendeckenden Daten von islamphobischen Vorfällen in Deutschland.

Der Grund: In Deutschland wie auch in vielen anderen europäischen Ländern werden islamfeindliche Straftaten wie der Angriff auf die Moschee in Leipzig nicht einmal polizeilich erfasst. Die Forderung der Wissenschaftler an die Politik, islamfeindliche Straftaten zumindest zu registrieren, zeigt dass nicht nur rechte Strafttäter, sondern auch Behörden zum Problem beitragen.

Das hat auch die Ahmadiyya-Gemeinde erfahren. Während vor ihrer Moschee in Leipzig Schweineköpfe landeten, brauchte es rund 100 Kilometer entfernt keine islamfeindliche Anwohner um den Neubau einer Moschee zu stoppen. Der Versuch der Gemeinde, im sächsischen Gemeinde Chemnitz, eine Moschee zu bauen, wurde vom dortigen Stadtrat blockiert.