Schmuckeremiten - die lebendigen Gartenzwerge

John Bigg: "An Eccentric Hermit", 1787. Bild: Wellcome Library/CC BY 4.0

Im Georgianischen Zeitalter bezahlte die englische Oberschicht Menschen dafür, dass sie ihren Park bewohnen

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Den englischen Adelsspross Charles Hamilton (1704-1786) als exzentrisch zu bezeichnen, dürfte stark untertrieben sein. Hamilton war verantwortlich für die Gestaltung des 80 Hektar großen "Painshill Park", einer der ersten Englischen Landschaftsgärten, der schnell zum Vorbild für viele Anlagen in Europa wurde. Obwohl der Park - der eine Grotte, eine gotische Abtei, ein Pantheon, allerlei Serpentinenwege und chinesische Pavillons hatte - viel Lob und Zuspruch erfuhr, hatte er aus der Sicht Hamiltons ein Manko: Es fehlte ein Mensch, der den Park dauerhaft bewohnte - schließlich galten die damaligen Parks als "begehbare Landschaftsgemälde".

Um das Kunstwerk seines Parks zu vollenden, veröffentlichte Hamilton eine Zeitungsannonce und bot jedem 700 Pfund, der bereit war, "sieben Jahre in der Eremitage zu bleiben, wo er mit einer Bibel, einer Brille, einer Fußmatte, einem Strohsack als Kissen, einer Sanduhr als Zeitmesser, Wasser als Getränk und Nahrung aus dem Haus versehen werden sollte. Er musste ein wollenes Gewand tragen und durfte sich unter gar keinen Umständen die Haare, den Bart und die Nägel schneiden, nicht jenseits der Parkgrenzen herumstreunen oder auch nur ein Wort mit dem Diener wechseln."

Kost und Logis waren frei, doch das Geld sollte es erst nach Erfüllung des Vertrags geben. Angesichts der hohen Summe fand Hamilton schnell jemanden, der in dem eigens dafür gebauten Baumhaus wohnen wollte. Doch die namentlich unbekannte Person wurde nach nur drei Wochen gefeuert, als sie beim Biertrinken im örtlichen Pub erwischt wurde.

So kurios die Zeitungsannonce klingen mag: Die englische Oberschicht bezahlte im 18. und 19. Jahrhundert (Georgianisches Zeitalter) tatsächlich sogenannte "Schmuckeremiten" (ornamental hermits), die ihre Gärten zieren sollten. Die reichen Parkbesitzer wünschten sich eine Art Robinson Crusoe, der als "Edler Wilder" mit verzotteltem Bart, wallendem Haar und abgerissenen Klamotten durch ihre feine Gartenlandschaft lustwandelt.

Nicht nur die Oberschicht annoncierte, auch die potentiellen Schmuckeremiten - manchmal auch Ziereremiten genannt - boten ihre Dienste an. Am 11. Januar 1810 erschien zum Beispiel in der Zeitung "Courier" folgende Anzeige:

Ein junger Mann, der sich aus der Welt zurückziehen und als Eremit in einem angenehmen Plätzchen in England leben möchte, ist bereit, sich von jedwedem Ehrenmann anheuern zu lassen, der einen Eremiten begehrt.

Annonce

Die englischen Gärten entstanden damals als Gegenpol zum verschmutzten und lebensfeindlichen Stadtbild der Industrialisierung. Fast jeder Garten hatte eine Eremitage, also einen Rückzugsort in Form einer einfachen Grotte oder Hütte. Hier sollte man entspannen und nachdenken können. Die ersten Eremitagen waren als Stillleben komponiert: Die Rückzugsorte sollten so aussehen, als ob dort jemand hauste. Erst später ging man dazu über, nach lebendigen Schmuckeremiten zu suchen.

Im Mittelalter verkörperte die Hofnarren das, was der König nicht ausleben konnte - ganz ähnlich stehen die Schmuckeremiten für all das, was die Oberschicht nicht sein konnte: Die Eremiten mussten sich keinen gesellschaftlichen Konventionen unterwerfen und konnten sich geradezu urwüchsig der Natur hingeben. Kurzum: Sie verkörpern die vielgewünschte Zivilisationsabkehr, die damals (wie heute) viele faszinierte.

Mithilfe der Schmuckeremiten wollten die Parkbesitzer auch ein Gefühl der Melancholie aufkommen lassen. Die "positive Traurigkeit" war bei den Gutbetuchten damals ziemlich angesagt. Der britische Historiker Gordon Campbell, der mit "The Hermit in the Garden: From Imperial Rome to Ornamental Gnome" das bislang umfassendste Buch zum Thema geschrieben hat, beschreibt die Parkbesitzer so: "Sie waren vielbeschäftige CEOs, die sich dazu entscheiden haben, die besinnliche Seite ihrer Persönlichkeit outzusourcen."

John Bigg: "An Eccentric hermit", Ende 18. Jh. Bild: Wellcome Library/CC BY 4.0

Die Praxis des Schmuckeremitentums erinnert an die damaligen "Völkerschauen", bei denen Angehörige von indigen Völkern als exotische Paradiesvögel vorgeführt wurden. Jedenfalls stellte man auch die Schmuckeremiten demütigend zur Schau, bloß, um die Reichen zu amüsieren.